Martina schreibt ihre Doktorarbeit. Eigentlich gar keine schlechte Zeit, um ein Kind zu bekommen. Und so hat sie dem „Betriebsunfall“ Bert einigermaßen gelassen entgegengesehen. Ihre Mutter wohnt in der Nähe, die Doktormutter hat Verständnis. Doch als Bert dann da ist, hört sie von ihrer Mutter regelmäßig: „Aber du willst ihn doch jetzt nicht schon wieder zu mir abschieben?“ Und die Doktormutter berücksichtigt Martina nicht mehr, wenn es Vorträge oder Kongressbesuche zu verteilen gibt: Mit einem kleinen Kind solle sie erst mal halblang machen.
Martina bekommt Angst. Wird sie beruflich den Anschluss verpassen? Wird sie dem Kind gerecht? Ihr Mann, der Ingenieur, sagt: „Du machst dich ja kaputt. Willst du nicht ein Weilchen kürzer treten? Das holst du später wieder auf.“ Weil es billiger ist, ziehen sie aufs Land. Dass die Kita im Dorf bereits um 12 Uhr schließt, stellt Martina erst später fest. Heute hat sie einen Doktortitel, drei Kinder und arbeitet für wenig Geld als freie Autorin. Das Haupteinkommen? Verdient ihr Mann.
Es ist reines Glück, ob man in einer Gegend mit ausreichender Betreuung landet oder eben nicht.
Wer kennt es nicht? Das schlechte Gewissen dem Kind gegenüber, oft verstärkt durch westdeutsche Großmütter. Den Pragmatismus: Aufs Land ziehen, Papa arbeitet weiter, weil er mehr verdient. Und dann eine Betreuungssituation, die schlecht passt. Trotz des Kita-Ausbaus ist Deutschland ein Flickenteppich geblieben: Es ist reines Glück, ob man in einer Gegend mit ausreichender Betreuung landet oder eben nicht.
Das Ergebnis des Ganzen spiegelt sich immer wieder in den Statistiken: ungleiche Löhne, ungleiche Renten, ungleiche Vermögen. Sogar in Ostdeutschland greift dieses Modell wieder um sich, obwohl die Familien hier 40 Jahre lang anders strukturiert waren. Nach der Wende allerdings waren schnell die Jobs für Frauen weg und die Kitas runtergespart.
Diese Rahmenbedingungen verstärken Geschlechterklischees. Denn immer wieder gewöhnen sich alle an die Situation, dass die Berufstätigkeit der Mutter eher disponibel ist als die des Vaters. Die Frauen qualifizieren sich in unbezahlter Care-Arbeit, die Männer qualifizieren sich im Beruf. Und die Gefahr ist groß, dass sie weiterhin ihr weinendes Baby hilflos der Partnerin in den Arm drücken. Weil ihnen dafür die Qualifikation fehlt. Von nichts kommt nichts.
Arbeitszeitverkürzungen mit finanziellem Ausgleich müssen ebenso normal werden wie Homeoffice.
Doch insbesondere am Backlash im Osten kann man sehen, welchen Unterschied politische Entscheidungen machen: Die Arbeits- und Gleichheitsideologie des Sozialismus sorgte für Arbeitsplätze für Frauen und Kitas für Kinder. Und schon zeigten die Gleichheitsindikatoren im Einkommen und der Rente nur noch wenige Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Allerdings schulterten die Frauen trotz Vollzeitberuf immer noch den Großteil der Care-Arbeit. Ein Grund, warum sie selten in Führungspositionen aufstiegen. Ihr Arbeitsethos war so hoch, dass sie sich über die Doppelbelastung nur selten beklagten.
Was bedeutet all das für eine moderne gleichstellungsorientierte Familienpolitik? Wir brauchen in einer Hinsicht mehr DDR: Die Berufstätigkeit von Frauen muss weiter erleichtert, gleichzeitig aber der Arbeitsbegriff vervollständigt werden: Die Gesamtheit der Sorgearbeit muss benannt und gerecht verteilt werden. Männer, die so ein Modell leben, berichten immer wieder von einer besseren Verbindung zu den Kindern, weniger Stress in der Beziehung und einer gesunden Distanz zum Beruf. Sollen alle von dieser wunderbaren Erweiterung profitieren, dann muss es jetzt losgehen: Arbeitszeitverkürzungen mit finanziellem Ausgleich müssen ebenso normal werden wie Homeoffice. Und zuallererst sollte den Männern die Qualifikation im Care-Bereich ermöglicht werden. Der Staat muss ihnen 50 Prozent der Elternzeit garantieren – per Gesetz.