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LesePeter Februar 2024

Jugendroman über das Finden der eigenen Identität(en)

Der LesePeter des Monats Februar geht an einen intensiv erzählten Jugendroman über die Begegnung und Freundschaft mit einer Persönlichkeit, die Viele ist.

Jecinta will nur noch J. heißen und sich in keiner Sache festlegen. J. beschließt, erst einmal NICHTS zu sein – unter anderem weder Mädchen noch Junge – und NICHTS zu tun. Letzteres gelingt nur so lange, bis Leo in J.‘s Leben tritt. Leo verhält sich oft merkwürdig, doch J. wird den Grund für dieses Verhalten herausfinden.

Für „Ich sage Hallo und dann NICHTS“ wird Lilly Axster mit dem LesePeter im Monat Februar 2024 ausgezeichnet.

Nachdem sich Jecinta nur noch J. – gesprochen ‚Jay‘ – nennen lassen möchte, hadern ihre Eltern mit diesem Entschluss. In der Schule sorgt J. damit für wenig Irritationen. J. steht ohnehin eher abseits. Gleiches gilt für Leo, auch wenn sie sich von den anderen Schülerinnen und Schülern stark unterscheidet. Sie trägt jeden Tag dieselbe gelbe Jacke, lebt in einer Wohngruppe und sieht ihre Eltern nur an manchen Wochenenden. Leo und J. finden zusammen, obwohl sich J. gerade von allen abkapseln möchte. J. will keine Apps mehr benutzen und nur noch in Präsenz oder über SMS mit ihren Freundinnen und Freunden kommunizieren. J. will auch keine Hausaufgaben mehr erledigen, philosophiert stattdessen über das stets in Großbuchstaben geschriebene NICHTS und schreibt kurze Prosatexte, in denen Hunde die Hauptrollen spielen. Die aktuelle Lebensphase ist für J. mit weiteren Umbrüchen verbunden. J.‘s Eltern wollen sich zwar nicht voneinander scheiden lassen, aber an verschiedenen Orten wohnen. J.‘s ältere Schwester, Kim, möchte aus dem Elternhaus ausziehen, weshalb J. befürchtet, dass sich die beiden noch stärker auseinanderentwickeln, als das durch den Altersunterschied ohnehin passiert.

Der Jugendroman weist eine außergewöhnliche Erzählweise auf. Im Fließtext wird mit J.‘s Worten erzählt. Die Sätze sind hier stark verkürzt, kommen oft ohne Verb aus und gleichen so zum Teil einem Bewusstseinsstrom. Der Fließtext wechselt sich mit Nachrichten ab, die in verschiedenen, an Comic-Lettering erinnernden Schriftarten gesetzt sind. Diese Nachrichten scheinen von Leo geschrieben worden zu sein. An wen sie tatsächlich gerichtet sind, ist jedoch kaum zu ermitteln. Darüber hinaus hat man den Eindruck, als wären die Nachrichten von verschiedenen Persönlichkeiten verfasst worden. Dieser Eindruck täuscht nicht. Leo hat als Kind Gewalt erlebt, auf die ihr Bewusstsein mit einer Ich-Spaltung reagierte. Es gibt eine coole Leo, eine Kleinkind-Leo und weitere Persönlichkeiten, die J. nach und nach kennenlernt.

Die Qualität des Romans resultiert insbesondere aus der Art und Weise, wie mit diesen Themen umgegangen wird. So wie J. neue Lebensweisen ausprobiert, tasten sich auch die Leserinnen und Leser in ungewohntes Terrain vor. Keine Zeile des Romans ist in einem unliterarischen Sinne pädagogisch; es wird nie vereindeutigend gesagt, was richtig und falsch sei oder wie sich wer zu verhalten habe. Viele Themen, wie zum Beispiel J.‘s Identität als nichtbinäre Person oder die ausländische Herkunft ihrer Mutter, werden lediglich angerissen und laufen im Hintergrund mit. In einer Zeit sich verschärfender gesellschaftlicher Auseinandersetzungen ist es genau dieser unaufgeregte Umgang mit Individualität und Heterogenität, von dem Leserinnen und Leser viel lernen können. „Ich sage Hallo und dann NICHTS“ ist ein gelungener Jugendroman, der das Ausprobieren und das Finden der eigenen Identität(en) lakonisch und doch einfühlsam literarisch erkundet.

Die Autorin

Lilly Axster, geboren 1962 in Düsseldorf, wirkte nach dem Studium der Theaterwissenschaft, Philosophie und Frauenforschung in der Theaterszene Wiens. 2012 erschien mit „Dorn“ ihr erster Prosatext. Neben dem Schreiben einer Vielzahl von Theaterstücken, Bilderbüchern, Kinder- und Jugendromanen sowie der Mitarbeit an einem Dokumentarfilm namens „Yeter Güneş – Sechs Jahre / Altı Yıl“ ist sie seit 1996 beim Wiener Verein SELBST-LAUT zur Prävention von sexuellem Kindesmissbrauch tätig.

Die AJuM vergibt den LesePeter monatlich abwechselnd in den Sparten Kinderbuch, Jugendbuch, Sachbuch und Bilderbuch.

Lilly Axster, „Ich sage Hallo und dann NICHTS“, Innsbruck: Tyrolia, Hardcover, 200 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-7022-4153-7, ab 14 Jahren