LesePeter April 2024
Auszeichnung für das Bilderbuch „Der Garten meiner Baba“
„Der Garten meiner Baba“ ist ein berührendes, biografisch motiviertes Bilderbuch über eine warmherzige Enkel-Großmutter-Beziehung, die nahezu ohne Sprache auskommt und stattdessen durch liebevolle, einprägsame Gesten geprägt ist.
Ein namenloser Junge ist täglich bei seiner Baba, die ihm ein Frühstück, Ruhe und für immer in Erinnerung bleibende Rituale schenkt. Sie lebt in einem ausgebauten Hühnerhaus mit einem Garten, in dem sie alles selbst anbaut, was sie zum Leben braucht. Doch als sie aus ihrem Häuschen ausziehen, den geliebten Garten verlassen und in die Wohnung ihres Enkels ziehen muss, drehen sich die Zuständigkeiten um. Eindrücklich erzählen Text und Bild von Verlust, Heimat und einer einzigartigen Beziehung zwischen Enkelkind und Großmutter.
Daher geht der LesePeter des Monats April 2024 an Jordan Scott und Sydney Smith für das Bilderbuch „Der Garten meiner Baba“.
Rituale, Erinnerungen und Prägungen – eine besondere intergenerationelle Beziehung
Großeltern können – insbesondere nach ihrem Arbeitsleben – ihren Enkelkindern besondere Zuwendung und Erlebnisse bieten und dabei anderen Regeln und Ritualen als der Kernfamilie folgen. Diese sind in der Retrospektive oft positiv besetzt und werden gerne erinnert. So ist es auch im vorliegenden Bilderbuch. In einem Vorwort gedenkt der Autor den Besonderheiten und den schönen Momenten mit seiner aus Polen stammenden und während des Zweiten Weltkriegs nach Kanada migrierten Baba. Dass diese Generation viel Leid und Verzicht erleben musste, merkt man ihr an. So spielen das Horten und Zubereiten von Essen, die Gartenarbeit, das Zufußgehen und allgemein ein einfaches Leben ohne Abstriche in Zufriedenheit und Glück in dieser Darstellung eine große Rolle.
Der namenlose Protagonist im Grundschulalter erlebt all das mit seiner Baba. Diese wohnt in einem ausgebauten Hühnerhaus voller Essensvorräte aus ihrem Garten: eingelegte Essiggurken, zum Trocknen aufgehängter Knoblauch oder im Schuhregal gelagerte Rote Rüben. Sie kocht voller Leidenschaft, summt dabei stets, bereitet dem Jungen ein üppiges Haferbrei-Frühstück zu und bringt ihn zur Schule. Besonders in Erinnerung bleibt jedoch der elementare Kontakt zur Natur: Bei Regenwetter klaubt sie alle Regenwürmer auf und transportiert sie in einem Marmeladenglas, das sie stets bei sich trägt, um ihnen in ihrem Garten ein neues Leben zu schenken. Doch bald schon drehen sich die Verantwortlichkeiten um. Als die Großmutter nicht mehr in ihrem Häuschen bleiben kann und bei ihm einzieht, ist es der Enkel, der ihr das Frühstück bringt und die Rituale der Großmutter fortführt – genau wie auch das Sammeln der Regenwürmer – bis heute.
Walfischbauchhügel und Stechmückensummen – pointierte Bilder und Sprache
Mit Vergleichen, wonach beispielsweise die Hügel wie „Walfischbäuche“ erscheinen, die Baba wie „Stechmücken in einer Sommernacht“ summt oder die Frühstücksschüssel so „groß wie ein Badeteich“ wirkt, wird eine eingängige Bildhaftigkeit erzeugt. Besonders gelungen ist auch der durch drei Punkte angekündigte und mit einem größeren Zeitsprung versehende Page-Break, der die zwei unterschiedlichen Zeitpunkte – das (erinnerte) Leben im Hühnerhaus und das aktuelle Erleben in seinem Zuhause – verbindet: „Das machen wir jeden Tag …//… bis meine Baba nicht mehr in ihrem Hühnerhaus bleiben kann und bei uns einzieht.“ Vom gemeinsamen Verteilen der Regenwürmer im Garten der Baba wird im Bild zu einem Blick durch die Fensterscheibe gesprungen, in der der deutlich nachdenkliche, sogar traurige Protagonist vor seiner Frühstücksschüssel sitzt – dabei spiegelt sich auch die triste, graue Stadt im Glas wider.
Sydney Smith illustriert in seinem unverkennbaren Stil mit Gouache- und Aquarelltechnik, wobei die dicken Pinselstriche gut erkennbar bleiben. Neben großflächigen doppelseitigen Bildern, die die Atmosphäre sehr gut einfangen, gibt es auch viele kleinere Tableaus, die Gegenstände oder Handlungen in den Fokus setzen. In interessanten Perspektiven und einem Spiel mit Licht und Schatten laden die in gedeckten Farben gemalten Bilder zum gemeinsamen Entdecken und Einfühlen ein. Bedächtig, ergreifend, kunstvoll – großartig in Bild und Text!
Autor und Illustrator
Jordan Scott ist ein mehrfach ausgezeichneter kanadischer Dichter und Schriftsteller. Neben vier Gedichtbänden legt er mit „Im Garten meiner Baba“ sein zweites Bilderbuch vor. Sein Debüt „Ich bin wie der Fluss“, ebenfalls eine Zusammenarbeit mit Sydney Smith, in dem er seinen lebenslangen Kampf gegen das Stottern verarbeitet, wurde u. a. für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2022 nominiert und mit dem Lesepeter April 2022 ausgezeichnet. Jüngst erschien im Englischen sein neustes Bilderbuch „Angela‘s Glacier“ (2024, illustriert von Diana Sudyka).
Sydney Smith ist ein renommierter kanadischer Bilderbuchillustrator, dessen Bücher mehrfach für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert bzw. prämiert („Unsichtbar in der großen Stadt“) wurden. Er lebt mit seiner Familie in Halifax, Nova Scotia/Kanada.
Die AJuM vergibt den LesePeter monatlich abwechselnd in den Sparten Kinderbuch, Jugendbuch, Sachbuch und Bilderbuch.
Scott, Jordan und Smith, Sydney, Der Garten meiner Baba, Stuttgart: Aladin, 2023, ISBN: 978-3-8489-0224-8, 18 Euro, 40 Seiten, ab 4 Jahren