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Studentenverbindungen

Jobmaschine für Burschenschafter

Studentenverbindungen sind durch den Aufstieg der AfD im Aufwind. Vor allem die extrem rechten Burschenschaften wirken als Kaderschmiede für die Partei. Entsprechend selbstbewusst treten sie auf.

Karikatur: Christiane Pfohlmann

Michael Büge musste sich entscheiden: entweder aus der Berliner Burschenschaft Gothia austreten oder seinen Posten als Staatssekretär im Berliner Senat verlieren. Weil die Studentenverbindung wegen ihrer Zugehörigkeit zum ultrarechten Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) allzu sehr ins Gerede gekommen war, hatte ihm sein Chef die Pistole auf die Brust gesetzt. Und Büge entschied sich: für die Burschenschaft. „Ich werde mein Rückgrat nicht brechen lassen“, ließ er sich markig zitieren.

Seine politische Karriere opferte er damit jedoch keineswegs. Dafür sorgte die AfD. In der neuen Rechtsaußenpartei, gegründet 2013 nur wenige Monate vor Büges Aus als Staatssekretär, fand der langjährige CDU-Politiker und stolze Burschenschafter nicht nur eine neue politische Heimat, sondern auch einen Arbeitgeber. Erst begleitete der heute 54-Jährige als Wahlkampfkoordinator den Einzug der AfD in den Bundestag, dann wurde er Fraktionsgeschäftsführer in Rheinland-Pfalz.

„Eine burschenschaftliche Vita ist bei der AfD offensichtlich ein gutes Entrée für eine politische Karriere.“ (Andreas Speit)

Im Fall Büge offenbaren sich die zwei gegenläufigen Entwicklungen, denen sich Korporierte heute gegenübersehen. War die Mitgliedschaft in einer Verbindung, ganz gleich ob konfessioneller Bund, Landsmannschaft, Corps oder stramm rechte Burschenschaft, jahrzehntelang ein Trumpf auf dem Arbeitsmarkt, so wird sie jetzt immer öfter zum Handicap. Männerbündische Bierseligkeit und Deutschtümelei passen nicht zu dem modernen Image, um das sich in Politik und Wirtschaft inzwischen fast überall bemüht wird.

Erst kürzlich wurde einem Geschäftsführer des Mannheimer Energieversorgers MVV seine Mitgliedschaft in der wegen antisemitischer Gewalt in die Schlagzeilen geratenen Heidelberger Burschenschaft Normannia zum Verhängnis. Als ein Foto auftauchte, das ihn mit Burschenband und Mütze neben einem hitlergrüßenden Bundesbruder zeigte, wurde er postwendend gefeuert. Das ist die eine Seite.

Die andere ist die AfD. Mit dem rasanten Aufstieg der Partei und ihrem Einzug in den Bundestag sowie sämtliche Landesparlamente waren nicht nur Mandate zu vergeben, sondern auch Mitarbeiterstellen in großer Zahl zu besetzen. Eine Jobmaschine, wie gemacht für Korporierte, vor allem aus den Burschenschaften. „Eine burschenschaftliche Vita ist bei der AfD offensichtlich ein gutes Entrée für eine politische Karriere“, sagt der Journalist und Rechtsextremismusexperte Andreas Speit. „Den Herren aus rechtsextremen Burschenschaften kommt entgegen, dass keine der studentischen Verbindungen auf der Unvereinbarkeitsliste für eine AfD-Mitgliedschaft steht.“ Nicht einmal jene wenigen Bünde, die, wie die Hamburger Germania oder die Münchner Danubia, sogar vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

„Bei der AfD müssen sie sich nicht verbiegen, um Karriere zu machen.“ (Alexandra Kurth)

Sieben der derzeit 89 AfD-Bundestagsabgeordneten sind „Alte Herren“, wie im Lebensbund der Studentenverbindungen die Ehemaligen genannt werden, die mit ihrem Geld und ihren Beziehungen die Aktiven unterstützen sollen. Vier von ihnen sind Burschenschafter, mindestens zehn weitere wurden in Landtage gewählt. Wie viele Burschenschafter als Fraktionsreferenten, Wahlkreismitarbeiter oder Pressesprecher bei der AfD in Lohn und Brot stehen, ist nicht genau bekannt. Doch ihre Zahl dürfte in die Dutzende gehen. Von einer „erheblichen Größenordnung“ spricht die Gießener Politikwissenschaftlerin und Korporationsexpertin Alexandra Kurth: „Bei der AfD müssen sie sich nicht verbiegen, um Karriere zu machen.“

Die meisten stammen aus der völkisch-nationalistischen DB mit in Deutschland aktuell noch 45 Mitgliedsbünden. Die etwas gemäßigteren Verbindungen waren im Streit um eine als „Ariernachweis“ kritisierte Aufnahmeregelung vor einigen Jahren ausgetreten und hatten ihren eigenen Verband gegründet: die Allgemeine Deutsche Burschenschaft (ADB) mit derzeit 27 Mitgliedsbünden. Die Affinität zur AfD teilen aber auch sie. „Erstmals seit Jahrzehnten scheinen Burschenschafter in Deutschland politisch wieder aus der Defensive zu kommen“, jubelte die ADB-Verbandspostille nach der Bundestagswahl 2017. „Die Zeichen stehen auf Aufbruch.“

Identitäre Bewegung bis neonazistisches Spektrum

Offensive also. Das Beispiel der Marburger Burschenschaft Germania macht plastisch, was das heißt. Allein aus dieser besonders umtriebigen DB-Burschenschaft kommen: Torben Braga, Landtagsabgeordneter und Sprecher der Thüringer AfD. Robert Offermann, Sprecher der Hamburger AfD. Zwei Vorstandsmitglieder der AfD-nahen Friedrich-Friesen-Stiftung in Sachsen-Anhalt, die zugleich als Landtagsreferenten tätig sind. Und auch Marcel Grauf, ein einstiger NPDler, dessen offen neonazistische Chats von der Karlsruher Kontext-Wochenzeitung veröffentlicht wurden und der trotzdem nach wie vor für die AfD im Stuttgarter Landtag tätig sein darf, ist ein Marburger Germane.

Vermittelt hat ihm den Job wohl sein Bundesbruder Philip Stein. Der Sprecher der Deutschen Burschenschaft soll Grauf laut den Chatprotokollen schon 2014 eine Karriere in der AfD nahegelegt haben: „Jetzt haben wir die Chance, da Leute zu platzieren.“ Neben Strippenzieher Stein, im Hauptberuf inzwischen Leiter des rechtsextremen Kampagnennetzwerks „Ein Prozent“, finden sich führende Aktivisten der „Identitären Bewegung“ in den Reihen der Germania. Und wenn die Verbindung wieder einmal zum Vortrag eines rechten Vordenkers lädt, erstreckt sich das Publikum bis ins neonazistische Spektrum.

Wichtige Scharnierfunktion

Für das neue rechte Milieu, das sich unter dem Dach der AfD zusammengefunden hat, erfüllen Burschenschaften eine Scharnierfunktion. In ihren Häusern – Stein pries sie einmal als „ideologische Panzerdeckungslöcher“ gegen die Moderne – ist die äußerste Rechte in all ihren Schattierungen traut vereint. „Vielen von ihnen“, sagt Politikwissenschaftlerin Kurth, „ist die AfD eigentlich zu weichgespült.“ Doch sie hätten erkannt, dass sie die Partei über die Besetzung von Posten und Mitarbeiterstellen in ihrem Sinne beeinflussen könnten. Denn die AfD schöpft, was akademisch gebildetes Personal mit einschlägiger politischer Sozialisation angeht, nicht gerade aus dem Vollen. Oder wie ein „Identitärer“ in der rechtsextremen Zeitschrift „Sezession“ spottete: „Heute gilt: Wer rechts ist, lesen und schreiben kann und einen Job sucht, der findet in der Regel auch einen.“ Dank der AfD.

Vor zwei Jahren hoben Korporierte den AfD-nahen „Deutschen Akademikerverband“ aus der Taufe. Öffentlich tritt die Vereinigung zwar kaum in Erscheinung, doch darauf, erklärt Expertin Kurth, komme es auch gar nicht an. „Es geht darum, sich institutionalisierte Strukturen zu schaffen, um den Einfluss in der Partei zu vergrößern.“ Um die korporativen Kernkompetenzen der Netzwerkarbeit und Protektion also. Je heftiger dieser Tage die Grabenkämpfe in der AfD toben, je rücksichtsloser um Listenplätze und Ämter gerungen wird, weil vor dem Superwahljahr 2021 die Umfragewerte gesunken sind, desto mehr könnte sich diese Vernetzung bezahlt machen.

„Grenzen des Sagbaren“ verschieben sich

Das Selbstbewusstsein von Burschenschaftern & Co. jedenfalls scheint mindestens im selben Maß gewachsen zu sein wie die AfD. Von Facebook-Beiträgen voller Größenwahn, Omnipotenz- und Gewaltfantasien berichtet Kurth. „Das ist durchaus beängstigend.“ Verändert sich dadurch auch das Klima an den Hochschulen? Schwer zu sagen, antwortet Jonathan Dreusch, Mitglied im Vorstand des freien zusammenschlusses von student*innenschaften (fzs), schon weil das öffentliche und universitäre -Leben wegen der Corona-Pandemie -gerade weitgehend darniederliegt.

Dreusch, der in Tübingen Geschichte und Politikwissenschaft studiert, registriert, dass sich die „Grenzen des Sagbaren“ wie in der Gesellschaft auch an der Hochschule nach rechts verschoben haben. „Insbesondere in Diskussionen über Migration oder Geschichtspolitik fällt das auf.“ Und er beobachtet, nicht nur in seiner Stadt, dass rechtsextreme Verbindungen immer weniger mit ihren Ansichten hinter dem Berg halten. Breitenwirkung aber entfalte das bislang eher nicht. Und vielleicht ist das auch gar nicht das Ziel. „Studentenverbindungen“, sagt Dreusch, „verstehen sich ja als elitäre Zirkel.“