Sofern der Parteitag der SPD dafür kommenden Sonntag in Bonn grünes Licht gibt, können die Parteien die Koalitionsverhandlungen für die Bildung der neuen Bundesregierung aufnehmen. Mit gemischten Gefühlen hat der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der Bildungsgewerkschaft GEW, Andreas Keller, die wissenschaftspolitischen Ergebnisse aufgenommen. „Verstetigung des Hochschulpakts, Verbesserung des BAföG – in manchen Bereichen scheinen Union und SPD weiter gehen zu wollen, als es die gescheiterten Jamaika-Koalitionäre vermochten. Beim Themen wie ‚Gute Arbeit in der Wissenschaft’ oder ‚Hochschulzulassung‘ weist das Sondierungspapier allerdings weiße Flecken auf. Und die versprochenen Mehrausgaben könnten sich als Tropfen auf den heißen Stein entpuppen. Bei den Koalitionsverhandlungen müssen CDU, CSU und SPD daher noch eine Schippe drauflegen und konkreter werden, damit es am Ende nicht heißt: Wirtschaftspolitik und Steuersenkungen first, Hochschule und Forschung second“, mahnte der GEW-Vize.
Gegenüber der bisherigen Finanzplanung des Bundes plant die Große Koalition für die Jahre 2018 bis 2021 Mehrausgaben in Höhe von 45,95 Milliarden Euro ein. Davon sind für Bildung, Forschung, Hochschulen und Digitalisierung gerade mal 5,95 Milliarden Euro vorgesehen, das sind nicht einmal 1,5 Milliarden jährlich. Zum Vergleich: Für die schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlages sind allein zehn Milliarden Euro vorgesehen. Insgesamt betragen die öffentlichen und privaten Ausgaben für Bildung und Forschung in Deutschland derzeit über 275 Milliarden Euro jährlich.
„Wie in diesem Rahmen der ‚Ausbau’ des BAföG und eine ‚deutliche Verbesserung’ seiner Leistungen finanziert werden sollen, wie es Union und SPD zu recht in Aussicht stellen, ist daher fraglich“, gab Keller zu bedenken. „Nur noch 15 Prozent aller Studierenden erhalten Leistungen nach dem BAföG. Die Fördersätze und Freibeträge müssen umgehend erhöht werden, und zwar um mindestens zehn Prozent. Weiter muss das BAföG endlich wieder zu einem Vollzuschuss werden und auch Schülerinnen und Schülern an allgemeinbildenden Schulen wieder zugutekommen. Wir brauchen daher eine BAföG-Reform, die sofort und spürbar wirkt. Eine ‚Trendumkehr’ erst 2021, also am Ende der Wahlperiode, greift zu kurz und kommt zu spät“, kritisierte der GEW-Vize.
Positiv bewertete Keller die Absicht der Groß-Koalitionäre, die Finanzierung von Studienplätzen über den Hochschulpakt zu verstetigen. „Schon heute lässt das Grundgesetz eine auf Dauer und in der Fläche angelegte Finanzierung der Hochschulen durch den Bund zu – höchste Zeit, dass die Bundesregierung diese Möglichkeit nutzt! Der Hochschulpakt darf aber nicht einfach nur fortgeschrieben, er muss darüber hinaus auch ausgebaut werden: In vielen Studienfächern gibt es schon heute zu wenige Studienplätze – mit der Folge eines flächendeckenden Numerus clausus, den soeben das Bundesverfassungsgericht beanstandet hat. Um die Qualität von Lehre und Studium zu verbessern, müssen außerdem die Betreuungsrelationen zwischen Lehrenden und Studierenden verbessert werden“, mahnte der GEW-Hochschulexperte.
Enttäuscht zeigte sich Keller von den Leerstellen des Sondierungspapiers in Sachen „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ sowie „Hochschulzulassung“. „Das Karlsruher Numerus-clausus-Urteil vom 19. Dezember hat deutlich gemacht, dass die Hochschulen und die Länder damit überfordert sind, das Grundrecht auf freie Hochschulzulassung durchzusetzen und allen Studienberechtigten faire Zulassungschancen zu eröffnen. Der Bund muss daher endlich von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen und ein Bundes-Zulassungsgesetz erlassen“, forderte der GEW-Sprecher.
„Mit der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes und dem Tenure-Track-Programm hat die letzte Bundesregierung erste Schritte in die richtige Richtung eingeleitet. Gut so, doch diesen Schritten müssen in der kommenden Legislaturperiode weitere folgen. Doch schon die Ankündigung von Noch-Bildungsministerin Johanna Wanka, ein Tenure-Track-Programm für die Fachhochschulen nachzulegen, droht nun zu versanden. Ganz zu schweigen von der dringend erforderlichen Entfristungsoffensive für den akademischen Mittelbau. Die neue Regierung muss weitere Impulse für faire Beschäftigungsbedingungen und verlässliche Karrierewege in Hochschule und Forschung geben – darauf pocht die GEW und wird auch die künftige Regierung mit der Kampagne für den ‚Traumjob Wissenschaft’ unter Druck setzen“, machte Keller deutlich.
Keller machte darauf aufmerksam, Union und SPD hätten sich bereits darauf verständigt, dass die außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) über den Pakt für Forschung und Innovation weiterhin Jahr für Jahr mit einem Aufwuchs ihrer Haushalte um drei Prozent rechnen könnten. „Das bedeutet aber auch: Über die DFG werden Jahr für Jahr drei Prozent mehr befristete Drittmittel ins Hochschulsystem gepumpt, mit denen die Hochschulen Forscherinnen und Forscher immer wieder befristet anstellen. Auch deshalb werden heute neun von zehn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit einem Zeitvertrag abgespeist – eine Fehlentwicklung! Dem muss endlich mit einer deutlichen Steigerung der Grundfinanzierung der Hochschulen entgegengewirkt werden, damit es mehr Dauerstellen für die wachsenden Daueraufgaben in Forschung, Lehre und Wissenschaftsmanagement gibt. Der Bund muss den Ländern unter die Arme greifen und sich für eine bessere Grundfinanzierung der Hochschulen engagieren – hier müssen Union und SPD noch nachlegen“, betonte der GEW-Vize.