LesePeter Januar 2024
Geschichte einer besonderen Freundschaft
Anne Becker erzählt in „Luftmaschentage“ einfühlsam und variantenreich von Freundschaft, vom Schweigen, vom Außenseitertum, von Armut und häuslicher Gewalt. Dafür gibt es den LesePeter im Monat Januar 2024.
Das im Bauch von Matea (Mats) lebende Monster, eine Tiefseekrake namens Madame Schüchtern, hindert das Mädchen daran, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Klar, dass Mats, die in ihrer Freizeit einem ungewöhnlichen Hobby frönt – sie häkelt u.a. Pullover für Bäume – auch in der Schule von ihren Mitschülerinnen und -schülern als sonderbar eingestuft und folglich als Außenseiterin abgestempelt wird.
Das ändert sich jedoch, als die vorlaute Riccarda (Ricci) in Mats Klasse auftaucht und sich langsam eine Freundschaft zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Mädchen anbahnt. Doch kann Mats Ricci tatsächlich bedingungslos vertrauen?
Anne Becker erzählt mit einfühlsamen Worten und mit variantenreichen erzählerischen Kniffen von Freundschaft, vom Schweigen, vom Außenseitertum, von Armut und häuslicher Gewalt.
Das im Bauch von Matea (Mats) lebende Monster, ein Tiefseekrake namens Madame Schüchtern, hindert die Protagonistin in Anne Beckers „Luftmaschentage“ daran, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Klar, dass Mats, die in ihrer Freizeit einem ungewöhnlichen Hobby frönt – sie häkelt beispielsweise „Pullover“ für Bäume – auch in der Schule von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern als sonderbar eingestuft und folglich als Außenseiterin abgestempelt wird. Das ändert sich jedoch, als die vorlaute Riccarda (Ricci) in Mats Klasse auftaucht und sich langsam eine Freundschaft zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Mädchen anbahnt. Doch Ricci bleibt teilweise auch Mats gegenüber verschlossen und scheint Geheimnisse zu haben, die sie aus Scham unter keinen Umständen Preis geben möchte.
Der Roman beginnt mit den Sprachnachrichten von Mats an Ricci am letzten Tag mit Ricci, die jedoch allesamt unbeantwortet bleiben. Anschließend wird der erste Tag mit Ricci beschrieben. Sodann erfolgen die Sprachnachrichten von der verzweifelten Mats am ersten Tag ohne Ricci – auch hier wartet das Mädchen vergeblich auf Antworten von ihrer neuen besten Freundin. In diesem Changieren zwischen Rückblenden und Sprachnachrichten ist die besondere narrative Struktur des Textes aufgebaut. Mithilfe dieser erzähltechnischen Strategie wird aufgrund des Lebensweltbezugs und der evozierten Empathie die Identifikation der kindlichen Leserinnen und Leser mit der Hauptprotagonistin Mats erleichtert. Diese stammt im Gegensatz zu Ricci aus einer wohlbehüteten Familie. Zu Hause traut sich Mats auch zu sprechen, insbesondere wenn sie sich mit ihrem Bruder Anton zofft. Anders verhält es sich jedoch, wenn sie sich in der Öffentlichkeit befindet. Aber einen gewaltigen Schritt hat Mats dennoch erreicht, indem sie sich in der Vergangenheit Frau Lose anvertraut hat. Die mittlerweile verstorbene ältere Dame ist Namensgeberin des Tiefseekrakens und zudem dafür verantwortlich, dass Mats in ihrer Freizeit häkelt.
Warum die Ich-Erzählerin Matea in der Öffentlichkeit sich nicht zu sprechen getraut, wird in „Luftmaschentage“ nicht aufgelöst. Denkbar wäre es, dass das Mädchen an Mutismus leidet. Darunter ist das Schweigen bzw. die Sprachlosigkeit trotz erhaltener Sprechfähigkeit zu verstehen. Doch Anne Becker gelingt es mit Hilfe der Konzeption von Madame Schüchtern auf sehr bildliche Art und Weise zu veranschaulichen, wie sich Mats in den Momenten fühlt, in denen sie ihre Gedanken nicht auszusprechen vermag. Diese werden den Rezipientinnen und Rezipienten mithilfe der Innensicht offengelegt, sodass es keine „Leerstellen“ zu füllen gibt. Ein geschickter Schachzug, wenn man kindlichen Rezipient:nnen und Rezipienten an dieser Stelle nicht überfordern möchte. Auch die im Roman enthaltenen weiteren Themen, wie Gewalt und soziale Diversität, werden von Anne Becker behutsam, aber nicht wertend implementiert. Die Stigmatisierung der aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Ricci, die sich teilweise mit Gewalt behauptet, wird wiederum seitens der negativen Reaktionen des Umfelds demonstriert.
Anne Becker erzählt mit einfühlsamen Worten und mit variantenreichen erzählerischen Kniffen von Freundschaft, vom Schweigen, vom Außenseitertum, von Armut und häuslicher Gewalt.
Somit ist ihr mit „Luftmaschentage“ ein klug geschriebener Kinderroman gelungen, der als „Sprachrohr“ für eine verletzte Kinderseele fungiert.
Die Autorin
Anne Becker studierte Sonderpädagogik in Heidelberg. Sie arbeitet als Förderschullehrerin und lebt mit ihrer Familie im Ruhrgebiet. Mit ihrem ersten Roman („Die beste Bahn meines Lebens“) war sie für den Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis und den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert.
Die AJuM vergibt den LesePeter monatlich abwechselnd in den Sparten Kinderbuch, Jugendbuch, Sachbuch und Bilderbuch.
Anne Becker, Luftmaschentage, Beltz & Gelberg, Weinheim 2023, 173 Seiten, 13 Euro, ab 11 Jahren, ISBN 978-3-407-75759-3