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"Finanzierung ist letztlich immer eine Frage der politischen Prioritäten."

Weiterhin steht der Forderung nach Aufwertung im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) die Behauptung der Kommunen gegenüber, die Kassen seien leer. Dass das so nicht stimmt, erklärt uns Prof. Dr. Ralf Haderlein anhand konkreter Beispiele. Der Professor für Sozialmanagement an der Hochschule Koblenz ist langjähriger Experte für frühkindliche Bildung und hält die Forderungen der SuE-Beschäftigten für berechtigt und finanzierbar.

Herr Haderlein, im Streik 2015 haben sich die ErzieherInnen deutlich Gehör verschafft. Die Streikbeteiligung war beachtlich hoch. Wie beurteilen Sie das Engagement der ErzieherInnen?

Vor allem in den ersten drei Wochen war das Engagement beeindruckend und effektiv. Die Angestellten der Einrichtungen haben gezielt Kontakt zu Politikern und Bildungsexperten gesucht, um ihre Position argumentativ zu vertreten. Sie haben mit gut überlegten Aktionen auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht. In Koblenz etwa demonstrierten Streikende vor dem Fenster, während im Rathaus die Stadtratssitzung tagte. Der Oberbürgermeister brach die Sitzung ab, um spontan mit den ErzieherInnen zu sprechen. Während des gesamten Streiks wurden die Eltern intensiv informiert, lange Zeit war die große Mehrheit auch solidarisch. Je schwieriger es für die Eltern wurde, während des Streiks eine Betreuung für ihre Kinder zu organisieren, desto mehr drehte sich die Stimmung allerdings leider irgendwann gegen die Erzieher. Absurderweise nicht gegen die Politik, die ja verantwortlich für diese Situation ist.

Die Finanzierung ist ein Knackpunkt in der Diskussion über eine bessere Bezahlung von Erziehern. Die Kommunen verweisen immer wieder auf ihre leeren Kassen.

Natürlich muss man das Argument der leeren Kassen ernst nehmen. Viele Kommunen haben eine sehr dünne Finanzdecke. Und doch. Mir hat ein Haushaltspolitiker mal gesagt: "Wenn der politische Wille da ist, diskutieren wir nicht über Geld." Die Regierung möchte Betreuungsgeld einführen? Dann sind drei Milliarden Rücklagen da. Finanzierung ist letztlich immer eine Frage der politischen Prioritäten. Die meisten Kommunen haben trotz knapper Kassen dafür durchaus noch Spielraum. Und manche nutzen diesen Spielraum bereits. So hat Frankfurt am Main freiwillig die Gehälter aller städtischen ErzieherInnen auf S8 erhöht. Die freien Träger mussten nachziehen. Darüber hinaus sollten wir aber dringend über andere Finanzierungswege nachdenken.

Welche alternativen Finanzierungsmodelle sehen Sie?

Eine Möglichkeit ist das Fondsmodell, das mein Kollege Stefan Sell entwickelt hat. Das ist eine Art Kitakasse, in die alle einzahlen, die von der Kindertagesbetreuung profitieren. Der Staat, der von gut ausgebildeten, erwerbstätigen Eltern Steuern einnimmt; die Unternehmen, denen dadurch Arbeitskräfte zur Verfügung stehen; die Sozialkassen, die von den Beiträgen erwerbstätiger Eltern profitieren. Ein guter Ansatz, aber zum einen ist er zurzeit nur schwer politisch durchsetzbar. Zum anderen ist unklar, ob auf diesem Weg genug zusammenkommt, um eine hohe Qualität frühkindlicher Bildung finanzieren zu können oder ob wir dann nur Durchschnitt bezahlen können.

Alternativ könnte man die Kitafinanzierung zur Ländersache machen. Bayern übernimmt schon etwa 40 Prozent, Rheinland-Pfalz 45 Prozent. Die Kommunen werden also durch Lohnerhöhungen weniger belastet, wenn der Länderanteil ähnlich wie bereits jetzt in den Stadtstaaten auf 90 Prozent steigen würde. Wenn die Kommunen dagegen 70 bis 80 Prozent der Kosten tragen müssen wie in Hessen, werden sie sich gegen Erhöhungen sträuben.

Denkbar ist auch, den Bund stärker in die Pflicht zu nehmen. Bislang übernimmt er projektweise Investitionen und Betriebskosten in Kitas. Deutschland gibt nur 0,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Bildung der unter Sechsjährigen aus, das sind 0,2 Prozent weniger als der Durchschnitt aller OECD* Länder. Auch wenn der Bund aufstocken würde, habe ich allerdings Zweifel, ob damit Spitzenqualität finanziert werden könnte.

Welchen Weg schlagen Sie vor?

Wir sollten ein Stufenmodell wagen. Indem wir im ersten Schritt die Finanzierung der Kitas von den Kommunen auf die Länder verlagern. Im zweiten Schritt über alle 16 Länder hinweg einheitliche Qualitätsstandards festlegen. Und im dritten Schritt eine Finanzierung über einen Kitafonds mit bestmöglicher Qualität umsetzen.

Die Akademisierung des Erzieherberufes treibt die Gehaltsforderungen nach oben. Wer studiert hat, möchte nicht mit demselben Gehalt wie ein Sachbearbeiter in der Verwaltung abgespeist werden. Doch nach wie vor werden Kindheitspädagogen nicht besser bezahlt. Warum?

Das ist noch ein junges Feld und derzeit tut sich viel. Vor zehn Jahren haben die ersten vier Hochschulen einen Studiengang zur Kindheitspädagogik angeboten. Heute gibt es neunzig frühpädagogische Studiengänge in Deutschland. Einige Träger haben bereits erkannt, dass Kindheitspädagogen andere, wertvolle Qualifikationen mitbringen und gruppieren sie entsprechend höher ein. Vielen aber scheint noch nicht ganz klar, dass die Anforderungen in den Kitas qualitativ massiv gestiegen sind. Nicht selten, weil sie sonst eine andere Eingruppierung des Personals vornehmen müssten.

Wie kann man den Trägern denn besser vermitteln, was Kindheitspädagogen wirklich können?

Um für mehr Transparenz zu sorgen, haben Experten auf dem Studiengangtag "Pädagogik der Kindheit" 2015 ein Berufsprofil für Kindheitspädagogen vorgelegt. Damit wurde gleichzeitig eine Grundlage geschaffen, um sie mindestens auf Gehaltsstufe S 11 eingruppieren zu können. Das wäre die Grundlage für eine bessere Bezahlung.

Werden künftig die meisten ErzieherInnen ein Studium in der Tasche haben?

Die Vollakademisierung in Deutschland ist politisch nicht gewollt, vermutlich auch aus finanziellen Gründen. Sicher braucht man nicht für jede Aufgabe in der Kita ein Studium. Wahrscheinlicher sind in der Kita der Zukunft multiprofessionelle Teams, die unterschiedliche Verantwortlichkeiten haben und sich im Alltag ergänzen. Damit diese Kooperation auf hohen Qualitätsniveau gelingt, ist es unerlässlich alle angemessen eingruppieren und zu bezahlen. Das ist auch ein wichtiges Signal für den Nachwuchs. Denn nur, wenn die Arbeit richtig eingruppiert ist, werden sich mehr junge Menschen für diesen Beruf entscheiden.

 

*Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung