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attac-Europakongress

Ein anderes Europa ist möglich

Beim Europakongress des Netzwerks attac hat die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe vor den Gefahren öffentlich-privater Partnerschaften gewarnt und auch auf die Übernahme ganzer Bildungssysteme durch IT-Konzerne in Afrika hingewiesen.

Ziel der Bildungsmaterialien ist es, unseren digitalen Alltag kritisch verstehen und reflektieren zu können. (Foto: Pixabay / CC0)

Der Politikwissenschaftler Christoph Scherrer brachte bereits auf dem Eröffnungspodium auf den Punkt, worum es beim Thema Privatisierung und Bildung geht: „Dieser Kongress ist eine wissenschaftliche Veranstaltung. Daher stellt die Universität ihre Räume mietfrei zur Verfügung“, sagte Scherrer. Wäre das möglich, fragte er weiter, wenn die Universität das Gebäude bei einem privaten Investor für hohe Gebühren mieten müsste?

Rund 650 Interessierte waren der Einladung des globalisierungskritischen Netzwerks attac und des Fachgebiets „Globalisierung und Politik“ – das Scherrer an der Universität Kassel leitet –, zu einem Europakongress im Vorfeld der EU-Parlamentswahlen 2019 gefolgt. Drei Tage wurde über eine breite Palette von Themen diskutiert: von der Demokratisierung und Reformierbarkeit der Europäischen Union (EU) über Klimagerechtigkeit, Flucht und Migration bis zu Militarisierung und Privatisierung. Neben zivilgesellschaftlichen Organisationen und Stiftungen waren IG Metall, ver.di und GEW Kooperationspartnerinnen.

Lehramtsausbildung für private Finanzierung uninteressant

Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe saß mit einem Architekten auf dem Podium: David Bravo Bordas, in Barcelona tätiger Experte in Sachen öffentlicher städtischer Raum. Das Thema, das sie verband: „Privatisierung der Daseinsvorsorge“. Exemplarisch für Privatisierung von Bildung und Erziehung stellte Tepe fest, dass die Drittmittelfinanzierung in der wissenschaftlichen Forschung an den deutschen Hochschulen seit 1984 kontinuierlich an Bedeutung gewinne. Mehrere negative Effekte, erklärte Tepe, ließen sich dabei beobachten: Naturwissenschaften und die mathematisch-technischen Fachbereiche würden stärker gefördert als Geisteswissenschaften; befristete Stellen ersetzten unbefristete, folglich nehme die prekäre Beschäftigung zu.

Außerdem komme die Lehramtsausbildung zu kurz, da sie für die private Finanzierung nicht interessant ist. Im Gegensatz zur grundgesetzlich verankerten Freiheit von Forschung und Lehre, betonte sie, würde wissenschaftliche Forschung für militärische Zwecke missbraucht. Dieser Entwicklung begegneten engagierte Universitäten zunehmend mit Zivilklauseln, in denen sie sich verpflichten, ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen.

Die GEW-Vorsitzende machte auch auf den massiven Investitionsstau aufmerksam, für den die öffentliche Hand verantwortlich sei: Ganz oben stünden die Schulen, für deren Sanierung 47 Milliarden Euro notwendig sind. Tepe warnte eindringlich vor den Gefahren öffentlich-privater Partnerschaften und wies auf die Übernahme ganzer Bildungssysteme durch IT-Konzerne in einigen afrikanischen Ländern hin.

GEW: Schulen nach einem Sozialindex ausstatten

Bordas machte deutlich, welche Rolle das Engagement der Kommunen im Kampf gegen die Gentrifizierung – Immobilienspekulation und Zwangsräumungen als Folge der Privatisierung im städtischen Wohnungsbau – spiele. Diese geht überall mit der Entstehung sogenannter Brennpunktschulen einher. Die GEW-Vorsitzende forderte in diesem Zusammenhang, Schulen nach einem Sozialindex auszustatten und in schwierigen Vierteln mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu beschäftigen sowie die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte attraktiver zu gestalten.

Müssen wir Teil eines europäischen Kampfes sein, wenn wir gegen die Privatisierung der Daseinsvorsorge, gegen prekäre Arbeitsverhältnisse und die Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum angehen wollen? Und wie soll dieser Kampf geführt werden? Auf einem kontroversen Abschlusspodium stellte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske klar: Wer ein anderes und friedliches Europa wolle, müsse gegen die Akteure in Berlin vorgehen – schließlich profitiere Deutschland am meisten von der neoliberalen Politik in der EU.