Wir leben in einer Gesellschaft, in der beinahe ein Viertel der Bevölkerung (19,3 Millionen Menschen) Migrationshintergrund hat. Der Anteil der Schulkinder in Deutschland mit Migrationsgeschichte liegt bei fast 40 Prozent. Vor allem in den westdeutschen Großstädten wie Hamburg hat laut Statistischem Bundesamt fast jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund, in Frankfurt am Main sind es sogar knapp 70 Prozent der schulpflichtigen Kinder. Jede dritte Familie in diesem Land hat eine Migrationsgeschichte. Tendenz steigend. Herkunft als identitätsstiftendes Kriterium verwischt, Gesellschaften werden vielfältiger und das nicht erst seit 2015, sondern als Folge historischer Zusammenhänge und Kontinuitäten.
Dennoch wird Migration als etwas Unerwartetes, Neues und daher Unruhestiftendes wahrgenommen und problematisiert. Dabei erscheint die Fiktion von Homogenität, Kontrolle und Eindeutigkeit als letzte Bastion gegen Migration. Selbstverständlich bedeutet Einwanderung Veränderungen – sowohl für die Ankommenden als auch für die sogenannte Mehrheitsgesellschaft, die in sich alles andere als homogen ist. Deshalb sprechen wir von postmigrantischen Gesellschaften (durch Migration verändert sich die Zusammensetzung der Bevölkerung nachhaltig – Anm. d. Red.) und richten das Augenmerk nicht auf Migration selbst, sondern vielmehr auf das, was nach ihr und durch sie geschieht. Auf Prozesse und die Konflikte, die durch das Einfordern von Zugehörigkeit, Partizipation und gleichen Rechten Folgen für die gesamte Gesellschaft haben.
Wenn beispielsweise bereits ein Viertel der Gesellschaft Migrationshintergrund hat, dann ist es nicht legitim und nicht vertretbar, dass sich dies weder in der Politik noch bei den Lehrkräften, in den Medien oder sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens widerspiegelt.
Dabei beobachten wir, dass die Migrationsfrage oft als Vorwand dient, um gesellschaftliche Missstände neu Hinzugekommenen zuzuschreiben – als wären Ungleichheit, Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus erst durch Einwanderung entstanden. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir in einer pluralen Demokratie miteinander leben wollen. Welche gemeinsamen Ziele wir definieren können. Insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender sozialer Ungleichheiten, extremistischer Bewegungen – ganz gleich ob religiös-fundamentalistisch oder völkisch-nationalistisch: Sie spalten die Gesellschaften in gegensätzliche Lager und tragen maßgeblich dazu bei, dass sich Positionen polarisieren. Für welche Seite man sich entscheidet, bemisst sich an der Haltung zur Pluralität wie zur realen Ungleichheit, nicht an der Herkunft.
Wenn beispielsweise bereits ein Viertel der Gesellschaft Migrationshintergrund hat, dann ist es nicht legitim und nicht vertretbar, dass sich dies weder in der Politik noch bei den Lehrkräften, in den Medien oder sonstigen Bereichen des öffentlichen Lebens widerspiegelt. Missstände können aber nicht behoben werden, wenn sich nur diejenigen wehren, die davon betroffen sind. Deshalb brauchen wir Gemeinsamkeiten, die weit über die Herkunft hinaus gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern können. Das bedeutet, dass wir für das Eintreten des demokratischen Gleichheitsgrundsatzes einen Konsens herstellen müssen, der nicht auf nationalen, ethnischen, kulturellen und religiösen Zuschreibungen basiert. Der aber auch in der Lage ist, Partikularinteressen zumindest zeitweise zurückzustellen.
Wir plädieren daher zum einen für die Bereitschaft, Vielfalt als gemeinsame Erfahrung anzuerkennen, zum anderen dafür, Allianzen auf der Grundlage einer gemeinsamen Haltung zur pluralen Demokratie zu schließen. Nur so kann es gelingen, Brücken zwischen unterschiedlichen Akteurs- und Interessengruppen zu schlagen, der Diversität gerecht zu werden und ein Gegengewicht zu antidemokratischen Strömungen zu setzen.