Tarifpolitik an Hochschulen
Aufstand der „Sachmittel“
Studentische Hilfskräfte an Unis fordern einen Tarifvertrag. Vorbild ist Berlin. In Bremen geht es bald in die heiße Phase, auch in Hessen beginnen die Vorbereitungen.
Seit Monaten ziehen studentische Hilfskräfte durch die Bremer Uni, sie verteilen Flyer, basteln Plakate, stellen Infostände auf, laden zu Veranstaltungen ein. Auf einem knallroten Transparent bringen sie ihre Forderung auf den Punkt: „Wir haben mehr verdient – Tarifvertrag jetzt“, daneben eine Faust, die einen Bleistift hochreckt. „Unser Vorbild ist Berlin“, sagt Luisa Ruser von der Initiative TV STUD Bremen. Bislang ist Berlin das einzige Bundesland mit einem Tarifvertag für studentische Beschäftigte. Mit einem wochenlangen Streik haben die Hilfskräfte dort 2018 einen neuen Tarifvertrag durchgesetzt. „Der Erfolg gibt uns Rückenwind“, sagt der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller, verantwortlich für Hochschule und Forschung. Andere Bundesländer sollen dem Beispiel folgen. Die GEW lädt die studentischen Beschäftigten im Februar zu einem bundesweiten Vernetzungstreffen in Hattingen ein, der Titel: „TV Stud für alle“.
„Wir gelten nicht als ordentliches Personal, sondern als Sachmittel. Das ist total verrückt. Wir werden aus dem gleichen Topf bezahlt wie Büromaterial oder Toilettenpapier.“ (Luisa Zingel)
Schätzungen zufolge arbeiten in Deutschland etwa 400.000 studentische Hilfskräfte. Sie geben Tutorien, unterstützen Forschungsprojekte, bereiten Seminare vor – kurzum: Sie halten den Wissenschaftsbetrieb am Laufen. Doch vom Tarifvertrag der Länder (TV-L) sind sie ausgeschlossen. „Wir gelten nicht als ordentliches Personal, sondern als Sachmittel“, sagt Luisa Zingel von der Hilfskraft-Initiative Marburg. „Das ist total verrückt. Wir werden aus dem gleichen Topf bezahlt wie Büromaterial oder Toilettenpapier.“ Offiziell sollen sie Wissenschaft und Lehre unterstützen. „Doch oft werden wir als billige Arbeitskräfte eingesetzt“, betont Zingel.
Bislang gestaltete es sich schwierig, die Hilfskräfte zu organisieren. Sie arbeiten meist nur einige Stunden pro Woche, oft nicht mehr als ein oder zwei Semester. Hinzu kommt, dass viele Studierende es sich nicht mit ihrem Professor oder ihrer Professorin verscherzen wollen. Bisher hätten die Gewerkschaften bei den Arbeitgebern mit der Forderung nach einem Tarifvertrag für studentische Beschäftigte stets auf Granit gebissen, berichtet Keller. „Doch Berlin zeigt, dass man die Betroffenen mobilisieren und Druck aufbauen kann.“
„Hilfskräften wird häufig vermittelt, sie sollen dankbar sein, die Stelle überhaupt zu haben. Dass sie davon ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, wird oft ausgeblendet.“
In Bremen wird es jetzt konkret: Die Hilfskräfte haben im November eine Tarifkommission gewählt. Als nächster Schritt wird die Unileitung zu Tarifverhandlungen aufgefordert. Auch in Hessen laufen Vorbereitungen für die nächste Tarifrunde 2021. „So viel Vorlauf brauchen wir, um genug Druck aufzubauen“, betont Tobias Cepok von der GEW Hessen. Der Landesverband plant eine Organisierungskampagne für Hilfskräfte. Für studentische Beschäftigte gelten nur die gesetzlichen Mindestansprüche. Doch viele forderten selbst diese Rechte nicht ein, sagt Zingel. Sie wüssten nicht, dass sie bei Krankheit ihre Stunden nicht nachholen müssten oder dass sie Anspruch auf Urlaub hätten. „Hilfskräften wird häufig vermittelt, sie sollen dankbar sein, die Stelle überhaupt zu haben“, berichtet die Studentin. „Dass sie davon ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, wird oft ausgeblendet.“
Nach dem Tarifabschluss in Berlin erhöhten viele Hochschulen die Löhne für Hilfskräfte, so stieg in Marburg der Stundenlohn auf 10,32 Euro ohne Abschluss und 11,87 Euro mit Abschluss. „Danke, liebes Präsidium“, sagt Zingel ironisch. „Das ist nett.“ Aber so etwas dürfe nicht vom Gutdünken der Unileitung abhängen. Die Studentin sieht ein großes Problem darin, dass Hilfskräfte nicht vom Personalrat vertreten werden. Deshalb haben sie an der Uni Marburg beschlossen, eigene Vertrauenspersonen für jeden Fachbereich zu wählen. Den Anfang machte die Evangelische Theologie. Für die Wahl kamen die Hilfskräfte im November zu einer Vollversammlung zusammen. Zingel überzeugt: „Erst wenn man sich austauscht, merkt man, wie mies die Arbeitsbedingungen sind.“