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Rechtsruck

Reaktionäres Frauenbild

Der Rechtsruck geht nicht nur von Männern aus. In der Identitären Bewegung (IB) und in der AfD schüren Frauen den Hass auf Migranten. Im Namen der Solidarität mit weißen Frauen wird rassistisch agitiert.

Demo der Identitären Bewegung im Juni 2017 in Berlin / Foto: imago images

Zwei junge Frauen liegen wie tot vor einem Haus, rote Flecken verschmieren ihre Kleidung. Die Körperumrisse sind mit Kreide auf dem Straßenpflaster nachgezeichnet. Männer mit Schutzanzügen und Mundschutz stehen davor. Auf einem Schild steht „Opfer von Multikulti“. Das Ganze ist ein nachgestelltes Tatortszenario. Mit der provokativen „Symbolaktion“ Ende 2018 in Augsburg solle „auf die Vergewaltigung einer 15-Jährigen durch Asylbewerber“ und auf eine Flüchtlingsunterkunft in der Stadt hingewiesen werden, heißt es kurze Zeit später bei Facebook. 2.300 Likes erhält die Kampagne „#120db“ für diese Aktion.

Hinter dieser verbirgt sich eine Handvoll Aktivistinnen der rechtsextremen IB in Deutschland und Österreich. Mit ihrer Anfang 2018 ins Leben gerufenen „Widerstandsinitiative von Frauen für Frauen“ starteten sie den Versuch, sich in die #metoo-Kampagne einzubringen und die Diskussion rassistisch zu besetzen. „Frauen wehrt euch!“, heißt es in einer der ersten Videobotschaften. Und: „Wir sind nicht sicher, weil ihr uns nicht schützt. Weil ihr euch weigert, unsere Grenzen zu sichern, Straftäter abzuschieben.“ Die von dem Rostocker Rechtsextremisten Daniel Fiß, Bundesvorstandsmitglied der IB Deutschland, verantwortete Aktionsreihe lebt von der Behauptung, deutsche Mädchen und Frauen würden nicht ausreichend vor „importierter Gewalt“ geschützt.

„#120db“ steht für 120 Dezibel, die Lautstärke eines Taschenalarms zur Selbstverteidigung. 5.600 Abonnentinnen und Abonnenten folgen den Aktivitäten auf Twitter. „Grenzen sichern – Frauen schützen“, lautet eine der Forderungen der IB, die sich als modern und patriotisch darstellt, deren Inhalte jedoch denen der -traditionellen extrem Rechten entsprechen. Häufig ist auf rechten bis rechtsextremen Kundgebungen die rassistische Parole „Rapefugees“ zu lesen. AfD-nahe „Frauenmärsche“ wie im rheinland-pfälzischen Kandel locken bundesweit Tausende Anhänger an. Die meisten Teilnehmenden sind männlich; wichtig sind die wenigen, aber medienwirksamen Frauen an den Fronttransparenten.

„Antifeminismus wird als der eigentliche Feminismus verkauft, ‚identitäre Aktivistinnen‘ werden als die eigentlichen Frauenrechtlerinnen inszeniert.“ (Judith Goetz)

„Die vorgetäuschte Solidarität mit betroffenen Frauen erweist sich als exklusiv und damit als Mittel zum alleinigen Zweck der rassistischen Agitation“, warnt Johanna Sigl, Rechtsextremismusforscherin an der Leuphana Universität Lüneburg. Zugleich werde engagierten Frauen ihr Feminismus vorgeworfen, so Sigl, „da sie sich mit ihm nicht für, sondern – durch ihr Engagement für eine demokratische und offene Gesellschaft – gegen die hier lebenden Frauen einsetzen und somit eine Mitschuld an begangenen Verbrechen“ tragen würden.

Feminismus werde als „Teil der verteufelten Moderne“ strikt abgelehnt, erklärt die österreichische Wissenschaftlerin Judith Goetz auf dem Watchblog der Amadeu-Antonio-Stiftung „Belltower News“. Es gebe Bestrebungen, „eine Art völkischen Feminismus aufzubereiten“. Dabei gehe es vor allem darum, zu betonen, dass Frauen bestimmte „naturgegebene Fähigkeiten“ hätten. „Antifeminismus wird als der eigentliche Feminismus verkauft, ‚identitäre Aktivistinnen‘ werden als die eigentlichen Frauenrechtlerinnen inszeniert“, so Goetz.

 

Rechte Bloggerinnen und Youtuberinnen

Zwei Frauen der IB gründeten einen Blog mit dem Titel „Radikal feminin“. Eine von ihnen, Studentin aus Tübingen, erzählte im Interview, für „Sissi“-Filme zu schwärmen und sich die konservativen 1950er-Jahre zurückzuwünschen. Sie forderte auch: „Männer, hört auf, Euch wie Waschlappen zu benehmen!“ Die Kölner IB-Aktivistin Freya Honold beklagt in einem YouTube-Beitrag den „Krieg der Geschlechter“; überhaupt gäbe es zu viel Kritik an Männern. Das „natürliche“ Zusammenspiel zwischen Mann und Frau sei „aus dem Gleichgewicht gebracht worden“, so die junge Identitäre, die in einer Dresdener Frauenburschenschaft aktiv ist.

Melanie Schmitz (Essen) vermittelt ein etwas differenzierteres Bild. Die Frau, die auch als Sängerin „Melanie Halle“ bekannt ist, bezeichnete sich bereits 2016 als „eine der wenigen rechtspolitischen Aktivistinnen“. Als Bloggerin möchte Schmitz „Frauenrechtlerin“ statt Feministin sein. Sie bescheinigt sich grundsätzlich eine „antifeministische Grundhaltung“, mahnt aber zum Beispiel mit Blick auf Paragraf 177 des Strafgesetzbuches, in dem es um Vergewaltigung in der Ehe geht, „Nein“ heiße auch „Nein“. In einem Text räumt sie ein: „Ja, wir haben hier vielleicht auch Probleme mit deutschen Männern“, es gebe „genug“, die im Falle eines Neins „komplett ausrasten“ würden.

Ellen Kubitschek, genannt Kositza, Autorin und YouTuberin der Neuen Rechten, Ehefrau des „Spiritus Rector“ der IB, Götz Kubitschek, bezeichnete den neuen Paragrafen dagegen als höchstrichterlichen Eingriff in intime Zustände. „Nein heißt Nein“ sei „lächerlich und ein reines Einfallstor für private Schlammschlachten“ zitierte die taz Kositza, die sich als „strikt antifeministisch“ bezeichnet. Erzkonservative Autorinnen wie Birgit Kelle verfolgen die Strategie einer Umdeutung in einen „femininen Feminismus“. Ihr Ziel: den von linken Frauenrechtlerinnen geprägten Begriff neu zu besetzen.

 

AfD: 17 Prozent Frauen

Der Versuch, in der rechtsextremen Szene einen „nationalen Feminismus“ zu etablieren, währte nur kurz. 2007 forderten drei junge Frauen des neonazistischen „Mädelring Thüringen“: -„Deutsche Frauen wehrt euch – gegen das Patriarchat und politische Unmündigkeit“, „Nationaler Feminismus voran!“ Ihre Kritik richtete sich auch gegen die eigenen Kameraden. Der „Mädelring Thüringen“ wollte Emanzipation, doch auf keinen Fall wollten die Aktivistinnen „Emanzen“ sein. Ihr Anspruch, eine vorherrschende „übertriebene Stilisierung der Mutterrolle“ in Frage zu stellen, war in diesen Reihen eine ungeheuerliche Provokation. Bereits 2008 war die Homepage des „Mädelring“ nicht mehr abzurufen.

Die Strategie, sexualisierte Gewalt zu instrumentalisieren, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen, hat Tradition. Bereits die 1964 gegründete NPD versuchte, damit zu punkten. Doch erst seitdem die AfD und Mitstreiter wie PEGIDA digitale Netzwerke wie Facebook oder WhatsApp politisch dominieren, gelingt es, den Anschein zu erwecken, es sei eine selbstbewusste, patriotische Frauenbewegung im Aufbau. Noch nie verfügten Nationalisten über eine derartige mediale Macht. Die AfD ist die am meisten gelikte Partei bei Facebook und allein bei PEGIDA Dresden wurden bis 2017 mehr als 570.000 Kommentare hinterlassen. Hunderte asylfeindliche Gruppen organisieren in sozialen Netzwerken den Widerstand.

Dabei zeigt sich die AfD alles andere als frauenfreundlich. Mit Alice Weidel hat zwar eine Frau den Fraktionsvorsitz im Bundestag inne, doch nur zehn der 81 Abgeordneten sind weiblich. Unter den fast sechs Millionen Wahlberechtigten, die 2017 bei der Bundestagswahl ihr Kreuz bei der AfD machten, waren in Ostdeutschland 17 und im Westen 8 Prozent Frauen. Insgesamt liegt der Frauenanteil in der Partei bei rund 17 Prozent.

„Antifeministische, sexistische, rassistische und völkisch-nationalistische Ideologien, die im Rechtspopulismus vertreten werden, sind in der Programmatik der AfD zentral gesetzt.“ (Elisa Gutsche)

AfD-Politiker sprechen sich gegen eine Frauenquote aus, fordern zum Teil die Abschaffung von Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten. An Frauen gerichtete Themen sind die Positionierung gegen Geflüchtete, antimoderne Familienthemen und die Betonung einer „Naturhaftigkeit“ von Geschlechterrollen. Ende 2018 sagte der Dozent und baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Heiner Merz: „Quoten nützen nur unqualifizierten, dummen, faulen, hässlichen und widerwärtigen Frauen. Die Guten, bemühten und passend Qualifizierten fanden und finden ihren Weg alleine.“

„Antifeministische, sexistische, rassistische und völkisch-nationalistische Ideologien, die im Rechtspopulismus vertreten werden, sind in der Programmatik der AfD zentral gesetzt“, fasst Elisa Gutsche von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) das Ergebnis der Studie „Triumph der Frauen“ zusammen. Die in diversen AfD-Programmen vertretenen Geschlechterbilder seien anschlussfähig an völkische und nationalistische Ideen. Im AfD-Programm finde sich „kein Stichwort, das Frau oder Geschlecht heißt“, erklärte auch die Münchner Soziologin Paula-Irene Villa in einem Gespräch mit dem Hörfunksender SWR2. Das Wort Frau tauche nur im Zusammenhang mit Familie und Kindern auf. „Weiblichkeit sitzt gewissermaßen in der Gebärmutter“, so Villa.

Hass und Hetze

Die Studie „Triumph der Frauen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung geht der Frage nach, welche Rolle Frauen als Protagonistinnen und Wählerinnen populistischer Parteien in sechs Ländern Europas übernehmen. Nach Wahlen und Rechtsruck in Europa stand meist die Wut weißer Männer im Fokus, – doch was ist mit der Wut weißer Frauen? Tausende deutsche Frauen engagieren sich in rassistischen Anti-Asyl-Initiativen. Und warum wählen so viele deutsche Frauen, aufgewachsen in einem der freiesten und progressivsten Länder der Welt, rechts?

Am Beispiel der AfD – an deren Spitze Politikerinnen wie Beatrix von Storch und Alice Weidel die Wut auf Migranten mitforcieren – beleuchtet Herausgeberin Elisa Gutsche, wie sich die Partei als Schützerin von Frauenrechten aufspielt, wenn Aggressoren als Einwanderer, am besten mit muslimischem Hintergrund, ausgemacht werden. Geht es aber darum, häusliche und sexualisierte Gewalt von weißen Tätern zu thematisieren, herrscht Schweigen.

Zentrales Thema ist, die Zuwanderung zu begrenzen und eine nachhaltige, erfolgreiche Integrationspolitik zu verhindern. Das völkische Ideal einer homogenen -Abstammungsgesellschaft im Sinne der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ wird verbreitet. Dem durch Vielfalt, Antidiskriminierung und Gleichstellung geprägten Zeitgeist wird mit reaktionärer Politik und antimodernen Rollenbildern begegnet. Abtreibung und Emanzipation werden als Teil einer Familienpolitik begriffen, die zum beabsichtigten „Volkstod“ der Deutschen führt. Die Studie stellt klar: Der „Triumph der Frauen“ darf so nicht aussehen. Um Wut und Hass etwas entgegenzustellen, bedarf es eines Female Face – also dem weiblichen Gesicht einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft.

Rechtsextreme entdecken die Bildung

Moderne Rechtsextreme kleiden ihren Rassismus in modern klingende -Worte. Sie reden von „Ethnien“ statt Rasse, von „Kulturkampf“ statt Brauchtum. -Ihrem Verständnis zufolge führen Einwanderungsgesellschaften zum „Ethnozid“. Auch das Frauenbild ist reaktionär.

Völkisch-nationalistische AfD-Politiker wie Björn Höcke sprechen von einer „Identität“ der Geschlechter, einer „natürlichen Geschlechterordnung“. Dieser Ideologie entsprechend entscheidet bereits die Geburt über die Rollenzuteilung. Die Formung der Kinder nach geschlechtsspezifischen Kriterien zählt zur politischen Willensbildung. Da Sorge-, Pflege- und Erziehungstätigkeiten Mädchen und Frauen zugeordnet werden, wenden diese sich diesen Berufsfeldern zu.

 

Pädagoginnen mit völkischem Hintergrund

Ortrun G. studiert an der Universität Bremen Lehramt, Dietlind B. ist bereits Lehrerin, Almuth S. hat ihr Pädagogikstudium in Dresden aufgenommen, Irmhild M.-S. unterrichtet Musik an einer Waldorfschule in Schleswig-Holstein, befindet sich aber zurzeit im Schwangerschaftsurlaub, Gerhild D. arbeitet als selbstständige Musiklehrerin in der Lüneburger Heide, nebenher bringt sie den Kameraden Volkstanz bei. Diese jungen Frauen gehören zur rechtsextremen Szene, sie waren in völkisch-nationalistischen Jugendorganisationen aktiv oder beteiligen sich an Aktionen der Identitären Bewegung.

Pädagoginnen mit völkischem Hintergrund sind keine Seltenheit. Als Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag stellte der ehemalige Gymnasiallehrer Höcke 2018 ein Positionspapier zur „Leitkultur“ vor, darin heißt es: „Vor allem in den Schulen und Bildungseinrichtungen muss die Förderung einer lebendigen Vermittlung der identitätsprägenden Inhalte unserer Kultur und Geschichte wieder zur pädagogischen Leitlinie werden.“ Von der AfD bis zur NPD wird sich um „kulturelle Hegemonie“ im vorpolitischen Raum bemüht.

 

Rechtsextreme in der frühkindlichen Bildung

2010 mahnte die NPD-nahe Zeitung „Deutsche Stimme“: Erziehung sei eine „nationale Lebensaufgabe“ und forderte dazu auf, Ausbildungen zur „Sozialassistentin“ oder zu „Erziehern“ abzuschließen, denn die vorschulische Erziehung sowie die Kinder- und Jugendarbeit würden noch „allzu oft ungenützt von uns Nationalen“ bleiben. 2010 sorgte der Fall einer Klassenlehrerin aus der Nähe von Husum für Schlagzeilen. Die Parteifunktionärin hatte einen ihrer Schüler für die NPD angeworben und Mails an ihn mit „88“, dem Szenecode für „Heil Hitler“ unterzeichnet.

Auch in der frühkindlichen Bildung versuchen Rechtsextreme, Fuß zu fassen. Jahrelang hatten Eltern und Medien immer wieder darauf hingewiesen, dass Birkhild T., Erzieherin in einer Kita in Lüneburg, nicht nur mit einem NPD-Funktionär verheiratet ist, sondern selbst zeitweilig die später verbotene Wiking-Jugend mitangeführt habe. 2013 willigte sie in ihre Kündigung ein. 2018 beklagte sich T. dann öffentlich in einem Video mit dem Titel „Ausgrenzung & Sippenhaft“. Darin spricht sie in die Kamera eines rechtsextremen YouTubers, der sich „Der Volkslehrer“ nennt.

T. verharmlost die NPD als „reguläre Partei“ und relativiert ihre Zeit in der paramilitärischen Wiking-Jugend: Es sei nur darum gegangen, „die Kultur zu erhalten“. Ihr Interviewpartner zeigt viel Verständnis. Wenig verwunderlich, denn hinter „Der Volkslehrer“ verbirgt sich der ehemalige Berliner Grundschullehrer Nikolai Nerling. Dem 38-jährigen Rechtsextremisten war im Mai 2018 gekündigt worden. Der Clip mit der weinenden Erzieherin wurde bisher über 51.000 Mal angeklickt.