Fotos: Gerd Valentin, Manfred Brinkmann
Ich arbeite jetzt seit meiner Rückkehr aus Cairo vor zwei Jahren in Hamburg an einer Stadtteilschule. Cairo war international, Hamburg ist noch internationaler. Insofern war mein Auslandseinsatz eine gute Vorbereitung auf meinen Inlandeinsatz. Die Deutsche Evangelische Oberschule (DEO) in Cairo – so war mein Eindruck nach der Vorbereitungswoche in Köln – schien etwas ganz Besonderes zu sein. Die Schule hat eine lange Tradition und feiert im Jahr 2023 ihr 150-jähriges Bestehen.
Wie uns Wikipedia wissen lässt, ist die DEO „eine von acht anerkannten deutschen Auslandsschulen in Ägypten. Sie verfolgt das Konzept einer integrierten Begegnungsschule, d.h. es werden sowohl deutsche Schüler als auch Schüler ägyptischer oder sonstiger Abstammung aufgenommen. Es besteht die Möglichkeit, nach zwölf Schuljahren die Deutsche Reifeprüfung (Abitur) abzulegen. Heute besuchen die Schule ca. 1.400 Schüler, von denen über 80 Prozent Ägypter sind.“ Eine weitere Besonderheit: ab der elften Klasse werden seit 2001 der muslimische und der evangelische Religionsunterricht gemeinsam durchgeführt. Aber dazu noch später.
Kollegiale Unterstützung und hohe Fluktuation
Meine Ankunft in Cairo im Herbst 2006 war auch der Beginn meiner Rückkehr in den Bereich Bildung nach einem mehrjährigen Ausflug in die freie Wirtschaft. So stand ich dann eines morgens als einer von fast 20 Neuankömmlingen-Pädagogen auf dem Hof der DEO, eines relativ neuen Schulbaus mit für mich als Naturwissenschaftler gut ausgerüsteten Fachräumen. Nach drei Jahren waren wir nur noch etwa 10, am Anfang des sechsten Jahres nur noch fünf. Dieser hohe Fluktuationsgrad ist tendenziell sicherlich typisch für Auslandsschulen.
Mit dem System der „Betreuungslehrer“ erhielten wir neuen Kollegen im Vorfeld und in den ersten Monaten eine meist optimale Unterstützung in allen Dingen, die ein Arbeits- und Wohnortwechsel so mit sich bringt. Es unterstützte auch eine schnelle Integration in das neue Kollegium. Dagegen trat bei Beendigung des Einsatzes von Kollegen immer wieder mal das Problem von Informationsverlusten auf, das mir auch mittelfristig nicht immer optimal von der Leitung gelöst erschien.
Mittendrin in der Millionenstadt
Anfangs noch etwas schwierig, mit den Jahren immer besser werdend: die Telekommunikation. Arbeit und Alltag konnten also beginnen. Schnell erkannte ich, dass in Ägypten nicht nur von rechts nach links gelesen und geschrieben wird, sondern auch fast alles andere anders ist. Eine ägyptische Wohnung unter 100 m2 (mit Verzierungen an Decken und Möbeln, dazu Plüsch (wie zu früheren königlichen Zeiten) und ohne zur Wohnung „dazugehörender“ Reinigungskraft ist unvorstellbar.
Dank der langjährigen Beziehungen der „älteren“ Kollegen und des Interesses der einheimischen Makler an deutschen Mietern war eine Wohnung schnell gefunden – mittendrin in der Millionenstadt. In kürzester Zeit war man vom arabischen Alltag vereinnahmt. Geweckt wurde man allmorgendlich von der zur Wohnung nächstgelegenen Moschee. Vieles war neu und gewöhnungsbedürftig: dichtes Treiben in den Wohngebieten und auf den Märkten mit anfangs vielen unbekannten Angeboten, täglicher Stau und Staub auf den Straßen, Lärm bis tief in die Nacht.
Nicht zuletzt die Sprache
An einer deutschen Schule wird natürlich Deutsch gesprochen. Arabisch wird nur in den arabischen Fächern gesprochen und das waren nicht so viele. Vielleicht deshalb hatten die Schüler da meistens auch die schlechtesten Noten. Ging man in die Stadt, privat oder dienstlich – war man schnell als Ausländer freundlich mit „Welcome to Egypt“ entlarvt und es wurde englisch gesprochen. So gab es leider wenig Druck auf mich und die anderen Kollegen sich wirklich intensiv mit der arabischen Sprache zu beschäftigen. Im Nachhinein kann ich dazu nur sagen: eine verpasste Gelegenheit.
Unterschiedliche Wertvorstellungen
Gravierend anders waren für mich auch einige Wertvorstellungen. So zum Beispiel das Verhältnis von Mann und Frau innerhalb der Gesellschaft. Der ägyptische Alltag ist da noch sehr weit von einer Gleichberechtigung entfernt. Auffallender Weise wird diese Ungleichheit nur selten von den ägyptischen Frauen angemahnt. Diese ungleichen Vorstellungen widerspiegeln auch die zahlreichen aus der Presse genügend bekannten Beispiele von sexuellen Übergriffen bis zu Vergewaltigungen während den „Revolutionszeiten“ und danach.
Zum Glück kenne ich keinen Fall, wo dies eine Kollegin betroffen hätte, aber in Diskussionen verwunderten mich gelegentlich schon die Vorstellungen einiger Männer zum Beispiel zu Fragen des Zusammenlebens innerhalb der Familie. Mir beweist das auch die Zunahme der Straßenkriminalität in den Krisenzeiten. Diese wird vermutlich in nächster Zeit wieder zurückgehen, ohne aber dass die Ursachen beseitigt sind. Kolleginnen hatten es also stets schwerer sich im ägyptischen Alltag zu behaupten.
Selbstbewusste Schüler
Unterschiede in den Wertvorstellungen bemerkte ich auch bei den Schülern. Erst recht, wenn ich sie mit meinen heutigen Schülern in Hamburg vergleiche. Das südliche Temperament war nicht zu übersehen bzw. zu überhören. Ein DEO-Schüler zu sein war aber auch zugleich für viele ein familiärer Auftrag. Keine Übernahme in die Abiturstufe – das löste familiäre Krisen aus. Dementsprechend hoch war der Stellenwert der Zensuren und damit der Druck auf die Schüler und gelegentlich auf die Lehrer um möglichst beste Noten.
Dies zeigte sich nicht zuletzt in einem (teilweise extrem) hohen Selbstbewusstsein der Schüler. Die soziale Herkunft widerspiegelte sich. Zum Beispiel auch in fehlender Einsicht, dass gesellschaftlicher Reichtum täglich neu geschaffen werden muss und dass das sorgenfreie, finanziell gut abgesicherte Leben unserer Schüler nicht typisch und selbstverständlich für Ägypten war. Für den täglichen Kampf um eine gesunde Arbeitshaltung brauchte man Geduld und viel Ausdauer. Aber spätestens die Prüfungsergebnisse entschädigten dann für den Aufwand.