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Da steckt Musik drin

In Stuttgart haben GEW-Vorsitzende Marlis Tepe und GEW-Landesvorsitzende Doro Moritz das Tanzbein geschwungen. Bei dem Besuch einer Gemeinschaftsschule wurde deutlich, dass Lehrkräfte dieser neuen Schulart mehr Zeit brauchen.

Marlis Tepe und GEW-Landesvorsitzenden von Baden-Württemberg Doro Moritz erkundigen sich über Erfolge und Schwierigkeiten der neuen Schulart. (Foto: Christoph Baechtle)

Über den Pausenhof schallen laute Rhythmen und Bässe. Etwa 450 Schüler und Schülerinnen der Grund- und Gemeinschaftsschule strömen aus den verschiedenen Gebäuden nach draußen und fangen an zu tanzen. Eine kleine Gruppe älterer Schülerinnen gibt die Choreographie vor, alle anderen versuchen mitzutanzen, manche bewegen sich begeistert mit, andere schauen noch etwas unbeholfen zu. Unter die Menge hat sich auch die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe gemischt, die auf ihrer Sommertour durch Bildungseinrichtungen in ganz Deutschland die Körschtalschule im Stuttgarter Stadtteil Plieningen besucht. Begleitet wird sie von der baden-württembergischen Landesvorsitzenden Doro Moritz.

Erst vor drei Jahren ist die Körschtalschule Gemeinschaftsschule geworden. „Auf den Weg gemacht haben wir uns schon 2011. Da haben wir angefangen mit Lernwegelisten, Lernjobs und klassenübergreifenden Wochenplänen zu arbeiten. Und wenn man erstmal an einem Zahnrad gedreht hat, dann bewegt sich auch alles andere“, erzählt die Schulleiterin Regine Hahn. Ein chinesisches Sprichwort hat ihr und ihrem Kollegium bei dem Prozess den Weg gewiesen: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“

Raum und Zeit sind Mangelware

In dem Gebäudeflügel der Gemeinschaftsschule stehen alle Türen offen. Schüler und Schülerinnen laufen hin und her, andere sitzen an ihren Tischen und arbeiten konzentriert, manche alleine, einige in Gruppen. Im nächsten Klassenzimmer wird Goethe gerappt: „…es ist der Erlkönig mit seinem Kind…“. In den Klassenzimmern und auch überall auf den Fluren gibt es unterschiedliche Lernstationen. Eines der größten Probleme der Schulleiterin: „Wir platzen aus allen Nähten.“ Deswegen sind auch auf den Fluren, in allen Ecken und Nischen Tische mit lernenden Jugendlichen zu sehen.  „Wir wachsen. Momentan kommt jedes Jahr eine Klasse dazu, da die auslaufende Hauptschule einzügig  und die aufwachsende Gemeinschaftsschule zweizügig ist“, erklärt Hahn. Weil auch die Mensa viel zu klein für alle Schülerinnen und Schüler ist,  müssen sie in drei Schichten essen.

Die Schule ist umgeben von einer grünen Oase, den Gärten des Hohenheimer Schlosses. Da bietet sich der Frosch als Schulmaskottchen an. Der hüpft auch durch das kurze Video, in dem sich die Schule vorstellt. Man kann ihn auf der Internetseite der Schule sehen, Gänsehautgarantie inbegriffen. „Viele Wege führen zum Ziel“, heißt es in dem Film, „jede und jeder wählt seinen oder ihren eigenen.“ Das Selbstverständnis der Schule ist im Pausenhof, in den Schulfluren und Klassenzimmern zu spüren und im Imagefilm klar benannt: Hier gehören alle dazu. Natürlich auch die vielen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf. „Ihre Schule ist sehr inspirierend und das Schulklima regt zum intensiven Lernen an, das spüre ich“, sagt GEW-Vorsitzende Marlis Tepe.

2012 hatte die damalige rot-grüne Landesregierung die neue Schulart in Baden-Württemberg eingeführt. Mittlerweile sind 305 Gemeinschaftsschulen über das Land verteilt. Sie alle sind gebundene Ganztagsschulen, bereiten auf alle Schulabschlüsse vor, unterrichten also auf drei Niveaustufen, sie verzichten auf Notengebung, setzen auf vielfältige Methoden und verfolgen pädagogische Konzepte, die jedes Kind mitnehmen.

Viele verschiedene Professionen arbeiten an der Gemeinschaftsschule in Plieningen zusammen, von 45 Lehrkräften sind zehn Sonderpädagoginnen und -pädagogen, fünf Gymnasiallehrkräfte und vier Realschullehrer und -lehrerinnen, der Rest sind Hauptschullehrkräfte. Hinzukommen Sozialpädagogen und -pädagoginnen, die von der Stadt Stuttgart finanziert werden. 

Die beiden Klassen, die an der Gemeinschaftsschule 2014 gestartet sind, kommen nach den Sommerferien in die 8. Klasse. Jedes Schuljahr dieser Schülerinnen und Schüler ist Neuland für die Lehrkräfte. Neben der Konzeption des Unterrichts, wird im neuen Schuljahr auch das Schulprofil Kunst eingeführt. Ebenfalls steht jetzt die Berufsorientierung auf dem Plan. Außerdem arbeitet die Schule daran, die Kooperation mit anderen Schulen, zum Beispiel dem benachbarten Gymnasium, zu intensivieren. Die Schülerinnen und Schüler, die ihren Weg zum Abitur einschlagen, sollen dort Angebote nutzen können.

„Es ist sehr eindrucksvoll, was Sie hier leisten“, sagt die GEW-Landesvorsitzende Doro Moritz zu den Lehrern und Lehrerinnen, die zum Gespräch zusammengekommen sind, „Ich frage mich, wo nehmen Sie die Zeit für diesen immensen Organisationsaufwand her?“ Alle lächeln etwas gequält und geben zu: Am Abend, an den Wochenenden und in den Schulferien. „Ohne Überstunden und großes Engagement kann man keine Gemeinschaftsschule aufbauen“, sagt Rektorin Hahn.

„Sparen an Bildung muss eingestellt werden“

In den ersten drei Jahren erhalten Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg zusätzliche Deputatsstunden für den Aufbau der neuen Schulart. Danach steht der Schule speziell für die Schulentwicklung kein extra Stundenkontingent zu. Marlis Tepe kann es kaum fassen: „Für Schulentwicklung braucht es Zeit. Wenn der Staat keine Hilfestellung zur Verfügung stellt, dann wird das vollständig auf den Rücken der Lehrkräfte geladen. Ich werde mich in Gesprächen mit Merkel und Schäuble, mit Schulz und Gabriel dafür einsetzen, dass das Sparen an Bildung eingestellt wird“, verspricht Marlis Tepe. „Wir werden gerade jetzt vor der Bundestagswahl Druck machen, aber das auch nach der Wahl einfordern. Die Schulbauten sind viel zu marode und es gibt viel zu wenig Personal. Wir brauchen mehr Geld in Bildung und deswegen muss das Kooperationsverbot fallen und es müssen mehr Einnahmen über Steuern erzeugt werden.“

Beim Verlassen der Schule sehen die GEW-Vertreterinnen wieder einige Schülerinnen und Schüler, die bereits einen neuen Tanz üben, der in einer der nächsten Pausen die ganze Schule mitreißen wird. Die Schulleiterin ist sehr stolz auf diese Aktion: „Das ist unser Pausen-Flashmob“, erklärt sie strahlend, „wir sind sehr von Zumba geprägt.“ Auch einen Rap für Respekt und gegen Rassismus hat eine Schülergruppe geschrieben und ein Musikvideo aufgenommen. Musik kann man hier aus vielen Richtungen und Räumen hören, sie bewegt, sie berührt und sie schweißt zusammen. Genau die Ziele, die eine Gemeinschaftsschule verfolgt.