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Lehrerin an der Goethe Schule Buenos Aires

Fünf Zeugnisse in einem Schuljahr in der Oberstufe waren nicht das einzig Gewöhnungsbedürftige für Sandra Bender während ihrer dreijährigen Tätigkeit als Lehrerin der Goethe Schule in der argentinischen Metropole Buenos Aires. Zurückgekehrt nach Deutschland vermisst sie den blauen Himmel, die freundlichen Menschen und das Schokoladeneis.

Fotos: Sandra Bender, Manfred Brinkmann

Am 8. Februar 2010 machte ich mich, nach nur drei Monaten Vorlaufzeit, bepackt mit einem Koffer, einem großen Rucksack und einem Laptop auf nach Buenos Aires. Die Auflösung der alten Wohnung war noch nicht ganz abgeschlossen und mein Freund blieb noch mit einigen nicht gepackten Kisten zurück und organisierte den Rest. Der Container sollte in ein paar Tagen kommen und dann den gesamten Haushalt nach Buenos Aires bringen. Als ich nach 16 stündiger Reise in Buenos Aires landete, war es bereits dunkel und ich konnte mir anhand des Lichtermeers unter mir einen Eindruck von der Größe dieser Stadt verschaffen. So groß ist also eine zwölf Millionenstadt, unglaublich!

Erste Lektion

Am Flughafen hatte die Sekretärin der Goetheschule ein Taxi für mich reserviert, das mich zu meiner ersten Unterkunft fahren sollte. Dass Taxifahren in Buenos Aires anders ist als in Deutschland merkte ich sehr schnell. Ich sagte dem Taxifahrer die Adresse und das Stadtviertel und dachte damit sei es erledigt. Er fragte dann nach, ob ich den Weg kennen würde, was ich verneinte und mich auch etwas über die Frage wunderte, schließlich bin ja nicht ich Taxifahrerin. Er fuhr also los fragte aber offenbar immer wieder per Funk in der Taxizentrale nach dem Weg. Schließlich erreichten wir das richtige Stadtviertel und nachdem der Taxifahrer noch einige Passanten nach dem Weg gefragt hatte, kam ich tatsächlich an.

Am nächsten Tag fuhr ich wieder mit dem Taxi und erneut wurde ich gefragt, ob ich den Weg kennen würde. Auch dieses Mal konnte ich die Frage nicht mit Ja beantworten, ich hatte aber einen Stadtplan dabei auf dem ich dem Fahrer mein Ziel zeigen konnte. Er nahm den Plan und ging zu seinem Kollegen und nach einiger Zeit bat er mich einzusteigen und fuhr los und auch dieses Mal kam ich an. Die Taxifahrt kostete 20 Peso und ich wollte sie mit einem 100 Peso –Schein bezahlen. Der Fahrer machte mir klar, dass er nicht wechseln könnte und ich stand vor einem Problem. Dies war die erste Lektion in der Disziplin: „Achte immer darauf, dass du genügend Kleingeld dabei hast“. Schließlich half mir die sehr nette Sekretärin Dorle mit kleinen Scheinen aus und ich konnte den schon etwas ungeduldigen Fahrer bezahlen. Anschließen zeigte mir Dorle die Schule.

Goetheschule Buenos Aires

Die Goetheschule Buenos Aires ist eine sogenannte Begegnungsschule mit ca. 1.600 Schülerinnen und Schülern, inklusive Kindergarten (jardin infantil), Grundschule (primaria) und Sekundarstufe (secundaria). Die Sekundarstufe ist 5 zügig von denen je zwei Klassen auf das Abitur vorbereiten. Die meisten Schülerinnen und Schüler sind argentinisch und lernen Deutsch als Fremdsprache, eine geringe Anzahl an Schülerinnen und Schülern haben die argentinische Staatsangehörigkeit und sprechen zuhause Deutsch, ca. 1-2 Schülerinnen und Schüler in den Abiturklassen sind aus Deutschland und für einige Jahre aufgrund des Berufs der Eltern in Argentinien. An der Goetheschule kann das deutsche Abitur und das argentinische Bachilerato abgelegt werden, sowie das Deutsche Sprachdiplom I in der 10. Klasse und das Deutsche Sprachdiplom II in der 12 Klasse.

Verlängerte Unterrichtsstunden

Im Schuljahr 2010 erfolgte die Umstellung von 45 Minuten-Stunden auf 60 Minuten-Stunden. Diese Umstellung war in einigen Fällen, so auch in meinem, nicht ganz unproblematisch. Ich hätte mit 18 Wochenstunden eingesetzt werden sollen (24 Wochenstunden a 45 Min. = 1080 Min.=18 Wochenstunden a 60 Min.). Der stellvertretende Schulleiter setzte meine Kolleginnen und Kollegen mit 17 Wochenstunden ein und erklärte, dass dies mit der ZfA abgesprochen sei. Mich setzte er allerdings nur mit 15 Wochenstunden ein.

Ein Kollege mit der gleichen Fächerkombination, der zum Ende des Jahres zurück nach Deutschland gehen sollte, hatte zu dem Zeitpunkt zwei Plusstunden und wir fragten nach, ob ich nicht die beiden Stunden übernehmen könne, damit wir beide ein ausgeglichenes Arbeitszeitkonto hätten. Dies war, aus mir nicht dargelegten Gründen, leider nicht möglich und so kam es, dass ich bereits im ersten Schuljahr drei Minusstunden anhäufte, die ich später nacharbeiten musste.

Ein neuer Schulleiter

Mitte des Schuljahres 2010 ging der Schulleiter Herr Langer in Pension und Herr Splitt übernahm die Leitung der Goetheschule. Das Kollegium stand Herrn Splitt offen und freundlich gegenüber, hofften wir doch, dass er etwas „neuen Schwung“ in die Schule bringen würde. Unsere Hoffnung sollte sich leider nicht erfüllen. Die erhoffte transparentere Kommunikation zwischen Schulleitung und den deutschen Lehrkräften stellte sich nicht ein, vielmehr war der Schulalltag zunehmend von Kontrolle und Misstrauen seitens des Schulleiters gegenüber den deutschen Lehrkräften geprägt. Besonders die mangelnde Bereitschaft des Schulleiters mit den deutschen Lehrkräften über auftretende Probleme (auf die ich hier nicht näher eingehen möchte) und deren Verbesserung zu sprechen und die mangelnde Anerkennung der geleisteten Arbeit waren sehr belastend. Leider erhielten wir in dieser Angelegenheit weder Unterstützung von der ZfA noch vom Schulvorstand.

Fünf Zeugnisse im Jahr

Die meisten Schülerinnen und Schüler besuchen bereits seit dem Kindergarten die Schule, umso erstaunter war ich über das doch recht schlechte Deutschniveau, insbesondere in den Nichtabiturklassen der Sekundarstufe. Bei vielen Schülerinnen und Schülern der Nichtabiturklassen fand ich eine richtige Antihaltung gegenüber der deutschen Sprache, was das Unterrichten im Fachunterricht nicht gerade erleichterte.

An den argentinischen Schulen ist das Schuljahr in Trimester eingeteilt, was bedeutet, dass es drei Mal im Schuljahr Zeugnisse gibt, in den Abiturklassen der Oberstufe kommen dazu noch zwei deutsche Halbjahreszeugnisse. Insgesamt bekommen also die Schülerinnen und Schüler in der Oberstufe fünf Mal im Jahr Zeugnisse. Dies ist sicher für andere lateinamerikanische Schulen nichts ungewöhnliches, für jemanden, der aus Deutschland kommt aber schon.
Für mich besonders ungewohnt waren die Nachprüfungen, genannt „Mesa de examen“. In so eine Nachprüfung, die im Dezember und bei Nichtbestehen noch einmal im Februar und dann noch im August stattfand, mussten Schülerinnen und Schüler, die mehr als sechs Fächer nicht mit der Note vier abschließen konnten. So war der Monat Dezember und Februar von vielen Nachprüfungen geprägt, die teils auf Deutsch, teils auf Spanisch erfolgten, je nachdem ob die Lehrkraft das Fach auf Deutsch oder auf Spanisch unterrichtete. Dabei war die Zusammenarbeit mit den argentinischen Ortslehrkräften immer von einer freundlichen und konstruktiven Zusammenarbeit geprägt.

Improvisationstalent erforderlich

Die Klassengröße lag selten unter 20 Schülerinnen und Schülern (teilweise in der Oberstufe sogar bei knapp 30 Schülerinnen und Schülern), was für eine deutsche Auslandschule doch recht groß zu sein scheint. Auch die Ausstattung der Schule stellte sich anders dar als erwartet, hatten zurückgekehrte Lehrkräfte aus dem Auslandschuldienst mit denen ich im Vorfeld gesprochen habe, doch immer von der tollen Ausstattung der deutschen Schulen geschwärmt.

Die Klassenräume waren ohne Waschbecken, was bedeutete, dass die Tafel nur trocken gewischt werden konnte, was auf Dauer Spuren hinterließ und die Tafeln so glatt und glänzend waren, dass die Kreide kaum noch haftete oder man es nicht lesen konnte, da es so spiegelte. Jeweils vier Klassenräume teilten sich einen OHP-Projektor, was im Unterrichtsgeschäft eine Menge Absprache im Vorfeld oder dann eben Improvisationstalent erforderte, wenn man die Beschriftung der Karte oder des Skeletts dann eben nicht gemeinsam auf der Folie vergleichen konnte.

Lange Unterrichtstage

Computerräume gab es sogar drei, diese waren allerdings häufig noch nicht einmal mit den gängigsten Programmen ausgestattet. Bestrebungen entsprechende Programme von den zuständigen Mitarbeitern installieren zu lassen, scheiterten an den vorherrschenden Hierarchien in der Arbeitsteilung dieser Schule. Dies führte sowohl bei mir, als auch bei den Schülerinnen und Schülern zu Unmut und dazu, die Computer nicht mehr in die Unterrichtsplanung bzw. den –ablauf einzuplanen.

Die langen Unterrichtstage (Schulbeginn 7:40 Uhr, Schulende um 16:20 Uhr) führten auch bei den Lehrkräften zu langen Schultagen mit vielen Freistunden, die leider aufgrund der mangelnden Ausstattung auch im Lehrerzimmer und dem Fehlen angemessener Stillarbeitsräume nur selten sinnvoll genutzt werden konnten. Der Umgang mit den Schülerinnen und Schülern im Schulalltag war offen und freundlich. Anders als in Deutschland ließen die Schülerinnen und Schüler die Lehrkräfte stärker an ihrem Leben teilhaben. Sie waren offener und erzählten auch mal Privates, es konnte auch vorkommen, dass man zum 15. Geburtstag eingeladen wurde. Der 15. Geburtstag hat in Lateinamerika eine besondere Bedeutung und wird mit einer großen Party gefeiert.

Leben in Buenos Aires

Das Leben in Buenos Aires scheint sich auf den ersten Blick nicht so gravierend von dem Leben in Deutschland zu unterscheidet, doch spätestens, wenn man das erste Mal seine Miete oder die Telefonrechnung bezahlen möchte, werden die Unterschiede deutlich. Solche praktischen Erfindungen wie Überweisungen oder ein Dauerauftrag gibt es in Argentinien nicht. Die Argentinier vertrauen den Banken nicht recht, sicher noch eine Folge der Krise von 2001. Muss man also am Monatsanfang seine Miete bezahlen, so geht man einige Tage vorher zum Bankautomaten und beginnt das benötigte Geld zu „ziehen“. Es kann dann zwischen drei Tagen und zwei Wochen dauern, bis man den Betrag zusammen hat je nach Miethöhe und Einstellung des Bankautomaten, der am Tag maximal 1000 Peso pro Bankkarte ausspuckt (oder eben auch mal nur 300 Peso pro Tag, wenn das Bargeld im Lande gerade wieder einmal knapp ist). Das Geld wird dem Vermieter dann meistens bar übergeben, oder man zahlt es an einem bestimmten Schalter auf der Bank ein. Diese hat allerdings nur bis 14 Uhr geöffnet, was es für mich als Lehrerin schwer machte die Miete zu zahlen.

Schlangestehen ist weit verbreitet

Dank an meinen Mann, der diese Aufgaben als begleitender Ehemann übernahm, wie auch alle anderen Besorgungen. Um Rechnungen wie Gas und Telefon zu bezahlen, geht man zu einenm sogenannten „rapipago“ oder „pagofacil“, eine Art Kiosk, vor dem man mit gefühlten 300 weiteren Zahlungswilligen geduldig in der Schlange steht und wartet, bis man an der Reihe ist. Schlangestehen ist in Argentinien weit verbreitet, egal ob an der Supermarktkasse, an der Bushaltestelle oder wenn man auf den Zug wartet.
Als ich das erste Mal vom Bahnhof „Retiro“ mit dem Vorortzug zurückfahren wollte, war ich sehr beeindruckt von den geordneten Schlangen der Menschen, die hinter gelben Markierungen auf dem Bahnsteig standen und geduldig auf die Ankunft des Zuges warteten. Ungefähr bis Mitte des Jahres 2011 war der Zug eine kostengünstige und schnelle Möglichkeit, um von der Vorstadt, in der wir wohnten, ins Zentrum nach Buenos Aires zu gelangen. Die Fahrt dauerte nur ca. dreißig Minuten, mit dem Bus wären es fast zwei Stunden gewesen.

Leider forderte die jahrzehntelange Vernachlässigung der Infrastruktur ihren Tribut und es kam immer häufiger zu Unfällen und nicht absehbaren Verspätungen, was den Zug als Verkehrsmittel kaum noch nutzbar machte und den Bewegungsradius doch erheblich einschränkte. Nichts desto trotz hat Buenos Aires inklusive der Vororte ein super ausgebautes Bussystem und man kann nahezu jeden Ort mit dem Bus erreichen, es benötigt eben nur Zeit, aber manchmal ist ja auch der Weg das Ziel.

Viel Aufwand um Sicherheit und neun Schokoladeneissorten

Weitere große Unterschiede zum Leben in Deutschland, die ich noch erwähnen möchte, sind das Wohnen, die Sicherheitslage und die Inflation. Nahezu jedes Haus oder Wohnung hat, zumindest in den unteren Etagen, Gitter vor den Fenstern. Dies ist nach Aussage der Argentinier auch absolut notwendig für die Sicherheit, für uns aber trotzdem etwas befremdlich. In vielen Straßen stehen kleine Häuschen, die Telefonzellen ähneln, sie sind jedoch für Wachleute, „Vigelantes“ genannt, die ebenfalls für Sicherheit sorgen sollen. In Buenos Aires liegen, wie wahrscheinlich kaum in einer anderen Stadt, die Wohnviertel der besser betuchten in unmittelbarer Nähe der Armenviertel, den sogenannten „Villa miserias“.

Mit der zunehmend angespannteren wirtschaftlichen Situation Argentiniens und der damit steigenden Inflation (offiziell lag sie bei acht Prozent, tatsächlich aber wohl eher bei zwanzig bis dreißig Prozent), stieg auch die Anzahl der Armen, die z.B. in den Mülltonnen der reicheren Vorstadtbezirke nach noch Brauchbarem suchten. Leider nahm auch die Anzahl der Überfälle merklich zu. Wir sind zum Glück verschont geblieben.

Auf die Frage einer argentinischen Kollegin, was ich denn vermissen werde, wenn ich wieder in Deutschland bin, muss ich eindeutig sagen: das Eis!! (allein neun verschiedene Schokoladensorten und unzählige andere leckere Sorten, die ich bis zum Schluss nicht alle geschafft habe zu probieren), den blauen Himmel und die netten, freundlichen und hilfsbereiten Menschen.