Zum Inhalt springen

Bündnis „Bildungswende JETZT!“

Hintergrundinformationen anlässlich der Pressekonferenz des Bündnisses „Bildungswende JETZT!“ am 07.09.2023

Deutschlands Bildungssystem steckt in einer tiefen Krise. Bis 2035 werden knapp 160.000 Lehrer*innen bundesweit fehlen.(1) Im Kitabereich fehlen jetzt schon 384.000 Kita-Plätze und über 300.000 zusätzliche Erzieher*innen.(2) Ein Viertel der Kinder kann laut der neuesten IGLU-Studie nach der 4. Grundschulklasse nicht richtig lesen. Bereits jedes Jahr verlassen bundesweit ca. 50.000 junge Menschen die Schule ohne einen Abschluss, und der Bildungserfolg hängt in Deutschland weiterhin enorm stark vom sozioökonomischen Status des Elternhauses ab.

Über 170 Bildungsorganisationen, Eltern- und Schüler*innenvertretungen und Gewerkschaften haben sich in dem Bündnis „Bildungswende JETZT!“ zusammengeschlossen. Mehr als 70.000 Menschen haben die Online-Petition, die sich mit dem gleichnamigen Appell an Bundeskanzler Olaf Scholz, die Bundesregierung und die Abgeordneten des Bundestags sowie die Ministerpräsident*innen der Länder und die Kultusministerkonferenz richtet, bereits unterzeichnet. Am 23.09. werden tausende Menschen bundesweit in vielen Städten für die vier Forderungen des Bündnisses auf die Straße gehen und lautstark klar machen: Deutschland braucht eine

Bildungswende JETZT!

und muss dafür endlich mehr in Bildung investieren.

Am heutigen Donnerstag wird der Etatentwurf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung diskutiert, der mit Kürzungsplänen im Bildungsbereich von über 1 Mrd. Euro einen unfassbaren Widerspruch zur sich verschärfenden Bildungskrise darstellt. Die geplanten Kürzungen sind unverständlich und unverantwortlich, stattdessen wären massive Investitionen in die Bildung notwendig. Denn in dem akuten und sich seit Jahren verschärfenden Mangelsystem werden weder Chancengleichheit noch Inklusion verwirklicht, noch werden Kinder und Jugendliche angemessen auf die Zukunft vorbereitet.

Während der jüngsten Anhörung in Genf im Rahmen der Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) wurde Deutschland von Vertreter*innen der UN auch wegen der völlig unzureichenden Inklusion im Bildungssystem auf’s Schärfste kritisiert. Obwohl Deutschland bereits 2009 die UN-BRK ratifiziert hat, können behinderte Kinder und Jugendliche viel zu selten an Regelschulen lernen.

Zudem hat 2017 Deutschland zwar den Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung verabschiedet, aber bei der Umsetzung hakt es gravierend. Dabei müssen Kinder und Jugendliche Fähigkeiten und Wissen erwerben, um den Herausforderungen des 21 Jahrhunderts wie der Klimakrise sowie sozialen und globalen Ungerechtigkeiten zu begegnen. Greenpeace und das Bündnis ZukunftsBildung haben Ende August eine aktualisierte Studie herausgebracht, die die notwendigen Investitionen für die Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bis 2035 auf gut 16 Mrd. Euro berechnet.

Dies alles zeigt: Um aus der Bildungskrise hin zu einer Bildungswende zu kommen, braucht es neben mehr Personal, einem Umdenken und der Partizipation der Bildungsbetroffenen deutlich mehr finanzielle Mittel. Ansonsten bleiben Bildungsgerechtigkeit, Bildungsqualität und notwendige sprachliche Basiskompetenzen, aber auch essenzielle Themen wie Bildung für nachhaltige Entwicklung und dringend benötigte Demokratiebildung auf der Strecke, mit all den individuellen und gesellschaftlichen Folgen.

Sondervermögen Bildung!

Damit eine Bildungswende hin zu einem gerechten, inklusiven und zukunftsfähigen Bildungssystem überhaupt entstehen kann, fordert das breite zivilgesellschaftliche Bündnis „Bildungswende JETZT!“ ein Sondervermögen Bildung von mindestens 100 Mrd. Euro als Anschubfinanzierung und eine dauerhaft bessere und bedarfsgerechte Finanzierung des deutschen Bildungssystems. Beides kann und muss jetzt im Haushalt festgeschrieben werden.

Aufgrund der jahrelangen Unterfinanzierung des deutschen Bildungssystems – sowohl im internationalen Vergleich als auch gemessen an den beim Dresdener Bildungsgipfel 2008 getroffenen Vereinbarungen – braucht es das Sondervermögen als Anschubfinanzierung. Allein für den dringend benötigten Ausbau des Ganztags zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung ab 2026 werden zusätzliche Investitionskosten in Milliardenhöhe nötig.(3) Dabei ist der Ausbau des Ganztags notwendig, um alle Kinder bestmöglich zu fördern. Insbesondere für Kinder aus armen Familien ist ein gutes Angebot hier von enormer Bedeutung. Außerdem stellt der Ganztagsausbau eine wichtige Grundlage dafür dar, um Familie und Beruf miteinander vereinbaren zu können und stärkt die Gleichstellung von Frauen.

Die Mittel aus dem Sondervermögen sollen auch dazu dienen, eine Ausbildungsoffensive für Lehrer*innen und Erzieher*innen auf den Weg zu bringen. Bereits jetzt fließen Bundesmittel beispielsweise über den Zukunftsvertrag „Studium und Lehrer stärken“ und die „Qualitätsoffensive Lehrkräftebildung“ in die Ausbildung von Lehrkräften. Allerdings sind diese zu gering und verhindern weder, dass mancherorts Studienplätze fehlen und Bewerber*innen abgelehnt werden, noch die hohen Abbruchquoten im Lehramtsstudium. Im Bereich der Erzieher*innen müssen der Bund und die Länder die Kommunen von ihren Altschulden entlasten, damit diese die Qualifikationskapazitäten ausbauen und die Praxisintegrierte Ausbildung (P.I.A) flächendeckend anbieten können. So würde die Ausbildung auch vergütet und auch die Attraktivität, in den Erzieher*innenberuf einzusteigen, deutlich verbessert werden, was bei dem aktuell dramatischen Fachkräftemangel bitter notwendig ist.

Auch die erwähnten 16 Mrd. € für die Verankerung von BNE sind eine dringend notwendige Investition in die Zukunft, für die Mittel aus Sondervermögen genutzt werden sollten.

Eine gerechte, inklusive und zukunftsfähige Bildung setzt auch die passenden Räumlichkeiten und Lernorte voraus. Den Sanierungsstau allein an Schulen beziffert die KfW auf über 45 Mrd. €.(4)

Für Kitas kommen noch mal über 10 Mrd. € an dringend notwendigen Bauinvestitionen und weitere Milliarden an Personalkosten hinzu.(5) Jeder Euro, der in die frühkindliche Bildung investiert wird, zahlt sich später um ein Mehrfaches aus.

Geringe Bildungsausgaben im internationalen Vergleich und die Nicht-Einhaltung des 10%-Ziels

Eine nachhaltige Bildungswende setzt eine dauerhafte und ausreichende Finanzierung voraus. Deutschland versäumt es seit Jahren, diese grundlegende Voraussetzung zu schaffen. Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland schlecht ab und investiert gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) deutlich weniger als der Durchschnitt der OECD-Staaten in Bildung. Wollte Deutschland als selbst ernannte „Bildungsrepublik“ mit dem Spitzenreiter Norwegen bei den anteiligen Bildungsausgaben (im Verhältnis zum BIP) gleichziehen, wäre aktuell eine Steigerung der jährlichen deutschen Bildungsausgaben in Höhe von gut 120 Milliarden Euro (!) erforderlich. Um das Niveau von Dänemark oder Schweden zu erreichen, müssten jährlich knapp 50 bzw. gut 70 Milliarden Euro mehr ausgegeben werden.(6)

Neben dem internationalen Vergleich ist auch das dauerhafte Verfehlen des 2008 beim Dresdener Bildungsgipfel von der Bundesregierung unter Angela Merkel verkündeten 10%-Ziels für Bildung & Forschung ein Beleg für die Unterfinanzierung des deutschen Bildungssystems. 2008 war vereinbart worden, dass die Bildungsausgaben steigen und ab 2015 mind. 10% des BIP betragen sollten. Obwohl die Bundesregierung in ihre Berechnungsgrundlage, das sogenannte nationale Bildungsbudget, auch Bildungsausgaben von Privathaushalten und Unternehmen mit einfließen lässt – was im internationalen Vergleich absolut unüblich ist und die Aussagekraft der bundesdeutschen Bildungsausgaben verzerrt – wurde das 10%-Ziel kein einziges Mal erreicht. Seit 2015 hat Deutschland im Schnitt jedes Jahr knapp 20 Mrd. € weniger für Bildung & Forschung ausgegeben als vorgesehen war. Der Einbruch des BIP während der Corona-Pandemie und die deswegen kurzfristig prozentual höher erscheinenden Ausgaben für Bildung & Forschung können über die massive Unterfinanzierung in diesem Bereich nicht hinwegtäuschen.

Wir fordern deswegen, dass die Bundesregierung zusätzlich zu einem Sondervermögen Bildung von 100 Mrd. Euro sicherstellt, dass in einem ersten Schritt das Ziel von mind. 10% des BIP für Bildung & Forschung für den Haushalt 2024 eingeplant und erreicht wird, und dass sich die Bundesrepublik in ihren Bildungsausgaben zukünftig klar an den skandinavischen Ländern ausrichtet.

Ziel unserer Forderungen ist, aus der Bildungskrise zu einer Bildungswende zu kommen und ein gerechtes, zukunftsfähiges und inklusives Bildungssystem zu etablieren. Dazu braucht es eine Ausbildungsoffensive für Lehrer*innen und Erzieher*innen sowie einen nationalen Bildungsgipfel auf Augenhöhe. Denn die Beteiligung der Menschen, die tagtäglich mit Kita und Schule in Berührung sind, ist essentiell für den Ausweg aus der Bildungskrise. Klar ist auch, dass die Bildungswende nur durch starke Investitionen gelingen kann. Statt der vorgesehenen Kürzungen braucht es ein Sondervermögen für Bildung in Höhe von mind.

100 Mrd. Euro und eine dauerhafte Finanzierung von mind. 10% des BIP.
 

Zitate

Philipp Dehne, Bildungskampagne Schule muss anders

philipp.dehne(at)schule-muss-anders(dot)de, 0151 47970251

Wir erleben eine massive Bildungskrise. Jetzt bei den

Bildungsausgaben zu kürzen, anstatt in eine echte Bildungswende zu investieren, raubt jungen Menschen Zukunftschancen, verschärft die Ungleichheit und kostet die Gesellschaft langfristig ein Vielfaches. Die Bundesregierung muss jetzt ein Sondervermögen Bildung von mindestens 100 Mrd. Euro auf den Weg bringen und endlich aufhören, bei der Bildung jedes Jahr viele Milliarden weniger auszugeben, als sie selbst versprochen hat. Gerade mit dem jetzigen Personalmangel brauchen Kitas & Schulen schnelle Unterstützung.”
 

Inga Feuser, Teachers for Future Germany. e.V

inga.feuser(at)teachersforfuture(dot)org, 0177 4024614

Jugendstudien zeigen immer wieder, dass die Mehrheit der jungen Menschen sorgenvoll in die Zukunft blickt. Dennoch haben Jugendliche den Eindruck, dass dafür kein Platz in der Schule ist. Es ist essentiell, dass wir junge Menschen zu zukunftsfähigem Denken befähigen und zu gesellschaftlichem Handeln ermutigen. Der Schlüssel dafür ist Bildung für nachhaltige Entwicklung. Dieses Bildungskonzept muss in allen schulischen Vorgaben verankert und zeitnah umgesetzt werden. Um die Schulen dabei zu begleiten und Lehrer*innen dabei zu unterstützen, benötigen wir Investitionen von knapp 16 Mrd. Euro. Dies ist eine unerlässliche Investition sowohl in die mentale Gesundheit unserer Kinder als auch in die notwendige gesellschaftliche Transformation.”
 

Markus Sänger, Elternvertretung ARGE-SEB

sprecherteam(at)arge-seb(dot)de, 0176 36376754

In der länderübergreifenden Kommunikation mit Elternvertretern nehme ich viele Herausforderungen im Bildungssystem wahr. Zunehmender Unterrichtsausfall in den Schulen, personelle Engpässe in den Kindertageseinrichtungen und fehlende Krippenplätze sind dafür nur drei Beispiele. Die vielen Bildungsstudien, unter anderem der IQB-Bildungstrend, belegen den Absturz des Bildungssystems.”
 

Maike Finnern, Vorsitzende Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)

maike.finnern(at)gew(dot)de, 0160 97859200

„Das Bündnis ‚Bildungswende JETZT!‘ schlägt vor, mindestens 100 Milliarden Euro als Anschubfinanzierung für ein Bündel bildungspolitischer Maßnahmen zu investieren und dafür auf Bundesebene ein Sondervermögen aufzulegen. Die zusätzlichen Gelder sollen beispielsweise in den Ausbau des inklusiven Ganztags an Grundschulen fließen. Das ist ein zentrales gesellschafts- und bildungspolitisches Projekt der Ampelregierung, das gelingen muss. Zudem ist dringend notwendig, den quantitativen und qualitativen Ausbau der Kitas weiter voranzutreiben. Beide Maßnahmen sorgen für mehr Chancengleichheit, insbesondere für Kinder aus armen und bildungsfernen Familien.“
 

Janne Schmidmann, Schülerin aus Bremen

j.schmidmann(at)gmx(dot)de

„Wir brauchen ein Schulsystem, das aufhört, Menschen in Schubladen zu stecken und mit Stempeln zu versehen. Inklusion heißt für mich, dass jede*r ein Recht auf Bildung hat – als vollwertiges Mitglied einer Gruppe, angepasst an den individuellen Bedürfnissen! Ich bin überzeugt, dass das funktioniert – aber dafür brauchen wir eine andere Haltung in der Gesellschaft.”


Bildungsprotesttag am 23. September 2023

Mit zahlreichen Demonstrationen und Aktionen in vielen Städten (wie Berlin, Köln, München, Potsdam, Hamburg, Leipzig, Mainz, Halle, Kiel, Freiburg, Rostock, ...) richten wir uns am 23.9. bundesweit sichtbar mit vier konkreten Forderungen an Bundeskanzler Olaf Scholz und die Bundesregierung, die Regierungschef*innen der Länder und die Kultusministerkonferenz. Hessen wird zuvor als einziges Bundesland bereits am Weltkindertag, dem 20.9., den Auftakt zum bundesweiten Bildungsprotest am 23.9. machen, an dem Eltern, Schüler*innen und Beschäftigte aus Schule und Kita in den anderen Bundesländern auf die Straße gehen.

Die Erfüllung dieser Forderungen sind aus Sicht der im Bündnis versammelten Bildungsbetroffenen und unterzeichnenden Organisationen dringend notwendig, um einen Weg aus der Bildungskrise einzuschlagen und ein gerechtes, inklusives und zukunftsfähiges Bildungssystem aufzubauen und das Recht auf Bildung für alle Kinder zu gewährleisten. Die Forderungen des Bildungsappells umfassen:

1. Schule & Kita ZUKUNFTSFÄHIG und INKLUSIV zu gestalten
2. eine AUSBILDUNGSOFFENSIVE für Lehrer*innen und Erzieher*innen
3. ein SONDERVERMÖGEN für Bildung von 100 Mrd. € & jährlich 10% des BIP für Bildung und Forschung
4. einen BILDUNGSGIPFEL mit Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft und Bildungspraxis

Bereits mehr als 170 Organisationen, darunter die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), ver.di, der Bundeselternrat, das Bundeselternnetzwerk der Migrantenorganisationen für Bildung & Teilhabe (bbt), der Bundesverband der Kita- und Schulfördervereine, Greenpeace, Fridays for Future, der Bildungsrat von unten, Omas for Future u. v. a. haben sich hinter den Appell gestellt. Initiatoren des Bildungsappells sind "Schule muss anders", "Teachers for Future" und die Elternvertretung "ARGE-SEB“.

Weiterführende Informationen finden Sie unter: https://bildungswende-jetzt.de/


Presse-Kontakt

Susanne Kühne
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Bildungskampagne "Schule muss anders" www.schule-muss-anders.de
0176 45021496
https://twitter.com/schule_anders https://www.instagram.com/schulemussanders
 

Quellen

(1) https://www.vbe.de/service/expertise-lehrkraeftebedarf-angebot-bis-2035

(2) https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2022/oktober/2023-fehlen-in-deutschland-rund-384000-kita-plaetze

(3) https://www.forschungsverbund.tu-dortmund.de/fileadmin/user_upload/Plaetze._Personal._Finanzen._Teil_2.pdf

(4) https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-Fokus-Volkswirtschaft/Fokus-2022/Fokus-Nr.-401-Septem ber-2022-Update-Schulen.pdf

(5) https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/Newsroom/Aktuelles/Pressemitteilungen-Details_736960.html

(6) Für die Berechnung wurde der deutsche BIP-Wert des Jahres 2022 zugrundegelegt.

Kontakt
Ulf Rödde
Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands, Pressesprecher / Redaktionsleiter E&W
Adresse Reifenberger Str. 21
60489 Frankfurt
Web:  gew.de
Telefon:  069-78973-114