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Dürfen Lehrkräfte streiken?

Lehrkräfte führen einen Bildungsauftrag aus. Wie wichtig das ist und wie schmerzlich es für Kinder und Eltern ist, wenn Unterricht ausfällt, haben wir alle während der Corona-Pandemie besonders deutlich gemerkt. Dürfen Lehrkräfte trotzdem streiken? Auch wenn es „nur“ um ihre Arbeitsbedingungen geht? Die sind doch sowieso gut genug. Muss das wirklich sein und wenn ja warum?

Lehrkräfte arbeiten mit Verantwortung für Menschen und haben einen bildungspolitischen Auftrag. Wenn Bildungseinrichtungen geschlossen werden, so richtet das – anders als in der freien Wirtschaft – beim Arbeitgeber keinen Schaden an, jedenfalls keinen wirtschaftlichen. Der Streik trifft vielmehr die Schülerinnen und Schüler, in den unteren Klassen auch deren Eltern. Bei den Lehrkräften, die ihre Tätigkeit mit Überzeugung und Verantwortung ausüben, bleibt das Gefühl, dass sie die ihnen anvertrauten Menschen im Stich lassen und ihrem Bildungsauftrag nicht nachkommen. Die Schulschließungen während der Pandemie haben das deutlich gezeigt. Warum es trotzdem wichtig ist, dass sich auch Lehrkräfte für ihre Arbeitsbedingungen einsetzen und notfalls dafür streiken und welche Besonderheiten es gibt, wollen wir euch in den folgenden FAQ erläutern.

Ohne Arbeitskampf kann man nur bitten, aber nicht gleichberechtigt verhandeln. Das Bundesarbeitsgericht nennt das „kollektives Betteln“. Das gilt auch für den Bildungsbereich.

Das Streikrecht ist – auch wenn es dort nicht ausdrücklich erwähnt wird – im Grundgesetz verankert. Es ist von der Koalitionsfreiheit in Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG) umfasst, die auch die Tarifautonomie garantiert. Das Tarifvertragsgesetz wiederum gewährt den Gewerkschaften das Recht, mit den Arbeitgebern Tarifverträge über die Arbeits- und Vergütungsbedingungen auszuhandeln. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) haben in ihren Entscheidungen deutlich gemacht, dass dieses Tarifvertragssystem nur funktioniert, wenn zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Gleichgewicht besteht. Deshalb gibt die höchstrichterliche Rechtsprechung den Gewerkschaften das Recht zu streiken. Nur so kann eine Kampfparität hergestellt werden.

Die Europäische Menschenrechtskonvention benennt das Streikrecht ausdrücklich als Menschenrecht. Dieses Recht wird aber nur gewährt, wenn eine Gewerkschaft zum Streik aufruft. Dazu ist ein Streikaufruf des zuständigen Gewerkschaftsvorstandes notwendig. Ohne Aufruf der Gewerkschaft handelt es sich um einen „wilden Streik“ und der ist in Deutschland rechtswidrig. Bei einem gewerkschaftlichen Streik hingegen wird – das hat das BAG ausdrücklich entschieden – grundsätzlich vermutet, dass er rechtmäßig ist.

Gestreikt werden darf aber nur für sogenannte streikfähige Ziele. Also nur für Forderungen, die noch nicht in einem Tarifvertrag geregelt sind, die man dort aber regeln könnte. Oder wenn ein Tarifvertrag gekündigt ist und deshalb nicht mehr der Friedenspflicht unterliegt. Gewerkschaften achten deshalb sehr genau darauf, welche Forderungen sie in einen Streikaufruf aufnehmen.

Rechtlich gibt es keinen Unterschied. In beiden Fällen ist ein Streikaufruf einer Gewerkschaft erforderlich und es darf nur gestreikt werden, wenn keine Friedensplicht besteht.

In der Praxis wird in aller Regel zunächst zu zeitlich begrenzten Streiks aufgerufen. Diese nennt man Warnstreiks. Sie sollen den Arbeitgebern eine Warnung sein und ihnen zeigen, dass die Arbeitnehmer* innen in der Lage sind zu streiken – und das, wenn erforderlich, auch länger. Auch für einen Warnstreik ist ein Streikaufruf einer Gewerkschaft erforderlich. Aus dem Streikaufruf ergibt sich auch die Dauer des Warnstreiks.

Beim Erzwingungsstreik ist das Ende offen. Gestreikt wird, bis es zu einer Einigung kommt. Da der Erzwingungsstreik das weitreichendste Arbeitskampfmittel ist, führen die Gewerkschaften vor dem Streikaufruf eine Urabstimmung durch. In dieser Urabstimmung werden die von den Tarifverhandlungen betroffenen Gewerkschaftsmitglieder in der Regel gefragt: Bist Du bereit, zur Durchsetzung der gewerkschaftlichen Forderungen XYZ in den unbefristeten Arbeitskampf zu treten?

Beamt*innen dürfen in Deutschland nicht streiken. Das wird aus der besonderen Treuepflicht der Beamt*innen (Art. 33 Abs. 4 GG) und den sogenannten „hergebrachten Grundsätzen“ des Berufsbeamtentums (Art.33 Abs. 5 GG) hergeleitet. Die GEW vertritt seit Jahrzehnten die Auffassung, dass das Streikverbot dem Grundrecht auf Koalitionsfreiheit entgegensteht. Auch Internationale Abkommen (Europäische Sozialcharta Teil II, Art. 5 und 6, Übereinkommen Nr. 87, 98 und 135 der Internationalen Arbeitsorganisation, Art. 23 Abs. 4 UN-Menschenrechtskonvention) gestehen Beamt*innen ein Streikrecht zu, soweit sie nicht in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten.

Dennoch hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Streikverbot für verbeamtete Lehrkräfte in Deutschland für mit den Menschenrechten vereinbar erklärt.
Unbestritten bleibt: Beamt*innen sind nicht daran gehindert, sich an der Vorbereitung eines Streiks und an streikbegleitenden Aktionen zu beteiligen.

Arbeitgeber ist im öffentlichen Dienst in der Regel das Land, in Ausnahmefällen sind es auch die Kommunen. Bei Privatschulen ist der Arbeitgeber der jeweilige Schulträger. Die Personalverantwortung wird an die Schulleitungen delegiert.

Bei allen Lehrkräften im Angestelltenverhältnis gilt: Sie dürfen unabhängig von ihrer Funktion streiken. Ebenso gilt: Lehrkräfte im Beamtenverhältnis dürfen unabhängig von ihrer Funktion nicht streiken. Leiter*innen von Schulen sowie andere Dienstvorgesetzte haben nicht das Recht, sich in Arbeitskampfmaßnahmen einzumischen. Sie dürfen zum Beispiel keine Beamt*innen auf bestreikten Arbeitsplätzen einsetzen oder einseitig Notdienste anordnen. Schulleiter*innen und andere leitende Beschäftigte, die nicht verbeamtet sind, können aber an einem Streik teilnehmen, da das Streikrecht nicht an eine Funktion gebunden ist.

Entsprechend den gesetzlichen Regelungen auf Länderebene sind Referendar*innen in der Regel Beamt*innen auf Zeit. Für Beamt*innen – auch solche auf Zeit – gilt, dass sie nicht streiken dürfen. Andere Aktionsformen außer Streik/Arbeitskampfmaßnahmen stehen ihnen aber offen. Angestellte Referendar*innen dürfen sich natürlich an einem Streik beteiligen.

Während eines Streiks sind die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis außer Kraft gesetzt: Die Arbeitnehmer*innen arbeiten nicht. Dafür müssen die Arbeitgeber ihnen während dieser Zeit auch kein Gehalt zahlen. Gewerkschaftsmitglieder erhalten in dieser Zeit Streikgeld von ihrer Gewerkschaft. Es besteht keine Pflicht zu arbeiten und es gibt daher auch kein Weisungsrecht des Arbeitgebers. Auch die Aufsichtspflicht ist während des Streiks außer Kraft gesetzt. Allerdings kann die Gewerkschaft mit dem Arbeitgeber eine Notdienstvereinbarung abschließen. Die Arbeitnehmer*innen, die von der Notdienstvereinbarung betroffen sind, sind dann verpflichtet zu arbeiten.

Grundsätzlich geht die Aufsichtspflicht auf die Eltern über. In Ausnahmefällen, zum Beispiel in Einrichtungen, die Schwerstbehinderte betreuen, kann jedoch eine Notdienstvereinbarung abgeschlossen werden. Diese muss mit der Gewerkschaft abgeschlossen werden. Sie darf nicht zwischen Arbeitgebern auf der einen und Arbeitnehmer*innen oder Betriebs-/Personalräten auf der anderen Seite getroffen werden. Falls eine Notdienstvereinbarung erforderlich ist, muss daher sofort Kontakt mit dem zuständigen Landesverband der GEW aufgenommen werden.

Schulferien sind kein Erholungsurlaub, sondern unterrichtsfreie Zeit. Deshalb kann theoretisch auch während der Schulferien gestreikt werden. Praktisch ist das nicht sinnvoll, da den Streik dann niemand bemerkt.