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Interview und Meinungen

Reallohnverluste und steigende Arbeitslosigkeit verstärken in den letzten Jahren Spannungen in der Gesellschaft und verschärfen die finanziell prekäre Situation vieler Familien. Wenn dann auch noch die Lernmittelfreiheit eingeschränkt wird und Schulausbildung immer mehr kostet, belastet dies Eltern – aber auch Lehrkräfte – zunehmend.

Zunehmende Belastungen

Die Aussagen einiger Lehrer und Eltern sollen Praxis und Alltagsprobleme aus Betroffenenperspektive beleuchten und veranschaulichen.

Eltern-Interview aus Hessen

Interview mit Bettina Meier
(verwitwet, allein erziehende Mutter in Hessen) 

GEW: In Hessen gibt es ja bislang noch Lernmittelfreiheit für Schüler. Wie funktioniert das in der Praxis?

Bettina Meier: Die Schüler erhalten bis zur 10. Klasse eine Grundausstattung an Schulliteratur kostenlos, oft aber abgenutzt oder in veralteter Auflage. In der Oberstufe ist das anders, da ist zu 80% zusätzliche Eigenleistung der Eltern gefragt. Da reichen 300 Euro im Schuljahr nicht. Spätestens ab der 7. Klasse werden Internetzugang, Referate als PC-Werk und Power-Point-Equipment erwartet. Auch das ist Privatvergnügen. Finanziell sind das durchaus deutliche Belastungen.

GEW: Welche zusätzlichen finanziellen Ausgaben müssen Eltern für Lernmittel einkalkulieren, die neben den zur Verfügung gestellten Schulbüchern besorgt werden müssen?
Bettina Meier: Ab der 5.Klasse sind es sicherlich mindestens 100 Euro pro Halbjahr, später sind es wohl eher mindestens 400 Euro pro Schuljahr.

GEW: Ihre Tochter besucht ein Gymnasium in Hessen. Die Klasse soll nun "Laptop-Klasse" werden. Was bedeutet das für Sie?

Bettina Meier: In erster Linie sind die unerwarteten Mehrkosten in einer solchen Höhe eine deutliche Belastung. Denn es fallen nicht nur 1.400 Euro für den Laptop an, sondern zusätzlich 200 Euro für den Wartungsvertrag plus ca. 250 Euro für die technische Umrüstung daheim und ca. 150 Euro an technischem Beiwerk. Das Projekt beginnt bei Maria im Januar 2006, zwei Schüler haben finanzielle Probleme, die bisher auf Schul- und Kreisebene nicht gelöst werden konnten.
Auch für uns sind diese Ausgaben schwer zu verkraften. Deshalb erhält meine Tochter den Laptop als unromantisches Weihnachtsgeschenk. Das geht nicht anders und keine Eltern aus der Klasse waren wirklich begeistert... - zumal die Laptops auch noch bei einer bestimmten Firma gekauft werden müssen...

GEW: Mussten Sie Ihrer Tochter schon einmal Nachhilfestunden finanzieren oder geben Sie zusätzlich Geld für Musik- und Sportunterricht aus, den Ihre Tochter besucht?

Bettina Meier: Ja, meine Tochter hat zwei Jahre lang die Schülerhilfe besucht: für 119 Euro im Monat. Jetzt geht sie nach Bedarf für 10 Euro zu einer Studentin. Wegen ihrer Rückenprobleme besucht sie ein Sportstudio, das 49 Euro monatlich kostet.

GEW: Hat Ihre Tochter schon mal an einer Klassenfahrt teilgenommen? Wie hoch sind die Kosten für Klassenfahrten und wo fahren die Schulklassen heutzutage hin?

Bettina Meier: Maria war auf Klassenfahrten beispielsweise in London und Wien. Die Abschlussfahrt geht wohl nach Berlin. Da läuft unter 400 Euro gar nichts.

Eltern-Meinungen

Doris Steinbacher, Bayern

„Erstmals war in diesem Jahr ein Büchergeld fällig. Für den Großen im Gymnasium 40 Euro, für den Kleinen in der 2. Klasse 20 Euro. Die von der Schule geliehenen Bücher sind in gutem bis sehr gutem Zustand.

Was die übrigen Materialien für den Unterricht angeht, so mussten die schon immer selbst bezahlt werden: vom Lesekasten der Schulanfänger bis zu allen Stiften und Heften. Die Schule gibt eine Liste mit genauen Vorgaben mit. Da steht dann beispielsweise: bitte wenn möglich Pelikan-Malkasten, wenn möglich gute Farbstifte etc., weil die Leute sonst so „Billig-Zeug“ kaufen, das gleich kaputt geht oder überhaupt nicht malt. Außerdem haben verschiedene Lehrer noch mal ein Arbeitsheft oder eine Lektüre für zehn oder 20 Euro angeschafft, weil die von oben bestellten Bücher halt nicht ganz ausreichen. Das aber nur nach Rücksprache mit den Eltern.

Und ganz besonders liebe ich die kleinen Zettelchen während des Schuljahrs: bitte zehn Euro Papiergeld mitgeben, bitte 20 Euro Kopiergeld, bitte 15 Euro Materialgeld für Werken. Das läppert sich auch noch....“

Gabi Hager-Königbauer, Bayern

„Ab 2005/2006 wird ein so genanntes "Büchergeld" in Bayern eingeführt. Für jedes Kind muss am Schuljahresanfang 20 Euro (Grundschule) bzw. 40 Euro (alle weiterführenden Schulen) gezahlt werden, um die Neuanschaffung von Lehrmitteln zu unterstützen. Das Geld geht an die Schulaufwandsträger (nicht an die Staatsregierung). Alle Schulbücher (außer Kopiergeld, Arbeitshefte u. ä.) sind nach wie vor kostenfrei. Ab dem 3. Kind kann man sich befreien lassen, auch wenn man arbeitslos ist oder sonst wie nicht in der Lage zu zahlen.

Dieses "Büchergeld" wird heiß und sehr kontrovers diskutiert, weil der Aufwand des Einsammelns immens ist (es wird von 15.000 ausgefallenen Schulstunden wegen der Beteiligung des Lehrkörpers gesprochen) und z. B. für die jetzigen 8. Klassen der Gymnasien keine neuen Schulbücher mehr angeschafft werden, weil wegen des neu eingeführten 8-jährigen Gymnasiasten der gesamte Lehrplan geändert wurde. Auch müssen die Eltern der Abschlussklassen bezahlen, obwohl ihre Kinder nicht mehr in den "Genuss" der neuen Bücher kommen, die erst im nächsten Schuljahr angeschafft werden sollen... Angeblich haben sich an manchen Schulen bis zu 30 % der Eltern geweigert, das Büchergeld zu zahlen.“

Carmen Winter, Brandenburg

„Bei meiner Tochter ist es so, dass es einen festgeschrieben Satz xy gibt, den man von der siebenten bis zur zehnten als Elternteil zahlen muss. (Bei uns geht man ab der 7. aufs Gymnasium und macht insgesamt 13 Jahre bis zum Abi.) Ich bezahle jedenfalls immer so um die 60 Euro für die Schulmaterialien. Da sind kaum Bücher dabei, weil die oft für mehrere Klassenstufen gelten und größtenteils in der Schule als Klassensatz vorhanden sind.

Was wir kaufen müssen, sind so genannte Arbeitshefte, vor allem für den Fremdsprachenunterricht, also Broschüren, in die die Kinder dann auch reinschreiben, wenn sie bestimmte Aufgaben lösen.

Ansonsten ist die Klassenfahrt finanziell das größte Problem für viele Eltern. Es gibt immer wieder Kinder, die aus finanziellen Gründen nicht mitfahren. So eine Klassenfahrt kostet die Eltern zwischen 120 und 200 Euro, jedenfalls nach meinen Erfahrungen. Und wenn man dann zwei oder drei schulpflichtige Kinder hat, ist das schon eine Menge Geld.“

Britta Moldenhauer-Streeb, Rheinland-Pfalz

„Ich habe drei Kinder. Für einkommensschwache Familien gibt es zwar die Möglichkeit, Gutscheine zu beantragen, jedoch sind die Einkommensgrenzen dafür so niedrig, dass man schon recht "arm" sein muss, um diese zu erhalten.

(…) Aufgrund der hohen Kosten hat sich ein Gebrauchtmarkt für Bücher entwickelt, wodurch sich die Kosten ein wenig reduzieren lassen. Leider werden aber allzu oft neue Schulbuchreihen eingeführt. Da kauft man doch wieder neu, sofern nicht aus anderen Bundesländern ein Gebrauchtexemplar aufzutreiben ist.

Außerdem stimmt es, dass beispielsweise der Farbkasten von Pelikan, der Füller von Lamy und der bestimmte (teure) Bleistift einem wärmstens empfohlen werden. Oder es wird verlangt, Hallensportschuhe mit heller Sohle und Klettverschluss anzuschaffen. Es ist fast aussichtslos, preisreduzierte Schuhe zu finden, die diese Anforderungen erfüllen.“

Gundula Schmidt-Graute, Sachsen

„Hier gibt es Lehrmittelfreiheit. Aber:

1. Man braucht teure Taschenrechner im Gymnasium. (Allerdings kümmern sich in einigen Schulen Fördervereine um die finanzschwachen Familien.)

2. Es werden Arbeitshefte zum Reinschreiben (nicht nur in Fremdsprachen, auch in Deutsch und Mathe in Grundschulen) verlangt. Das ist meines Erachtens ein Grenzfall: Hefte kauft man zwar auch selbst. Andererseits: Sind diese Reinschreib- und Ausfüllhefte wirklich pädagogisch wertvoll?

3. CD-ROM gibt es schon für alle Grundschulbücher. Sie sind freiwillig. (Ob notwendig, weiß ich nicht.)

4. Lesetexte für Deutsch im Gymnasium. Die Lehrerin meiner Kinder setzt die teuren Bücher immer ins 2. Halbjahr und empfiehlt die Bücher als Weihnachtsgeschenk.

Was mich außerdem nervt, ist, dass wir immer Hallenturnschuhe und Turnschuhe für den Sportplatz brauchen. Wenn die Kinder schnell wachsen, kann das ziemlich teuer werden.

Karin Wagner