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GEW: „Kein Ende der Misere in Sicht – Bund und Länder müssen handeln!“

Bildungsgewerkschaft zur Vorstellung des Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs

Frankfurt a. M. – Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat Bund und Länder gemahnt, Konsequenzen aus den Ergebnissen des neuen Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN) zu ziehen. „Zeitverträge mit kurzen Laufzeiten, Zwangsteilzeit mit unbezahlter Mehrarbeit, mangelnde Familienfreundlichkeit, Benachteiligung von Frauen – eine Ende der Misere für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der Qualifizierungsphase sind, ist nicht in Sicht. Bund und Länder müssen endlich wirksame Maßnahmen für Dauerstellen für Daueraufgaben, faire Beschäftigungsbedingungen und verlässliche Karrierewege ergreifen: eine umfassende Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, einen Ausbau der Grundfinanzierung der Hochschulen und eine Reform der Personalstruktur in Hochschule und Forschung“, sagte Andreas Keller, stellvertretender GEW-Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung, am Freitag in Frankfurt a.M mit Blick auf den heute vorgestellten BuWiN-Report.

„Alarmierend“ sei, dass der Anteil der befristeten Beschäftigungsverhältnisse beim „wissenschaftlichen Nachwuchs“ (Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die jünger als 45 Jahre sind und keine Professur haben) an Hochschulen mit 92 Prozent, bei den unter 35-Jährigen mit sogar 98 Prozent auf extrem hohem Niveau bleibe. An außeruniversitären Forschungseinrichtungen betrage der Befristungsanteil 83 Prozent, bei den unter 35-Jährigen 90 Prozent. „Der Bundesbericht bestätigt die Befunde der Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die die GEW vor einem Jahr vorgelegt hat: Die Gesetzesnovelle von 2016 dämmt das Befristungsunwesen an Hochschulen nicht ein und muss dringend nachgeschärft werden“, betonte Keller.

Er kritisierte, dass die Laufzeiten der Arbeitsverträge nach wie vor „unterirdisch“ seien: „Die durchschnittliche Dauer eines Arbeitsvertrags mit Promovierenden beträgt 22 Monate, bei Postdocs sind es 28 Monate. Da der Bericht gleichzeitig angibt, dass eine Promotion durchnittlich sechs Jahre dauert, sind diese kurzen Laufzeiten alles andere als sachgerecht. Kettenverträge sind die Folge: Promovierende haben zum Zeitpunkt der Befragung im Durchschnitt bereits ihren vierten, Postdocs ihren siebten Arbeitsvertrag. Das ist nicht nur unfair gegenüber den Betroffenen, sondern erzeugt auch unnötigen bürokratischen Aufwand, Duckmäusertum und Innovationshemmnisse. In ihrer Petition ‚Dauerstellen für Daueraufgaben‘ fordert die GEW daher, die Regellaufzeit von sechs Jahren vor und sechs Jahren nach der Promotion grundsätzlich auszuschöpfen“, erklärte der GEW-Hochschulexperte.

Bedenklich sei auch der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigung von 44 Prozent bei Wissenschaftlerinnen und 31 Prozent bei ihren männlichen Kollegen an Hochschulen, in der außeruniversitären Forschung von 41 bzw. 26 Prozent, sagte Keller: „Es spricht nichts gegen Teilzeit, wenn diese auf Wunsch der Beschäftigten vereinbart wird. Laut Bundesbericht liegt aber die tatsächlich geleistete Arbeitszeit von Promovierenden im Durchschnitt 13 Stunden, die von Postdocs zehn Stunden pro Woche über der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Teilzeit in Verbindung mit unentgeltlicher Mehrarbeit ist nichts anderes als ein Dumpinglohn auf kaltem Wege, der überdies Frauen stärker trifft als Männer. Damit müssen die Hochschulen und Forschungseinrichtungen endlich Schluss machen und allen Beschäftigten, die das wünschen, eine Vollzeitbeschäftigung anbieten“, stellte der GEW-Sprecher fest.

Besorgt äußerte sich Keller über die fehlende Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Qualifizierung. „Leider hat sich seit dem jüngsten Bundesbericht 2017 nichts zum Guten gewendet. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Qualifizierungsphase sind häufiger kinderlos als Akademikerinnen und Akademiker in anderen Branchen – obwohl ihr Kinderwunsch keineswegs geringer ausgeprägt ist. Als Hauptgründe dafür werden die berufliche Unsicherheit und die mangelnde Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben angegeben. Es ist ein fatales Signal, wenn mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen ausgerechnet öffentliche Arbeitgeber mit rund einer Million Beschäftigter ein völlig falsches familienpolitisches Vorbild sind“, kritisierte der GEW-Vize.

Bund und Länder dürften es nicht länger bei „unverbindlichen Appellen“ an die Wissenschaftsarbeitgeber belassen, betonte Keller. „Damit der Ruf nach Dauerstellen für Daueraufgaben kein Lippenbekenntnis bleibt, brauchen wir Maßnahmen, die tatsächlich wirken. Durch eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes müssen Zeitverträge auf echte Qualifizierungen wie die Promotion oder Habilitation beschränkt und mit verbindlichen Mindestlaufzeiten versehen werden. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, muss es einen Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerungen geben, ebenso bei Verzögerungen in Folge der aktuellen Coronapandemie. Statt immer mehr Geld für befristetete Projekte und Programme auszugeben, müssen Bund und Länder die Grundfinanzierung der Hochschulen ausbauen. Wir brauchen eine Reform der Personalstruktur, die dauerhafte Berufsperspektiven neben der Professur eröffnet und für eine nachhaltige Personalentwicklung sorgt,“ unterstrich der GEW-Vize und mahnte abschließend: „Mehr denn je ist unsere Gesellschaft auf ein leistungsfähiges Wissenschaftssystem angewiesen. Dessen Zukunft dürfen wir nicht verspielen.“

Info: Der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs wurde von einem wissenschaftlichen Konsortium unter Leitung des Instituts für Innovation und Technik (iit) erstellt und heute von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) präsentiert. Er steht im Internet unter www.buwin.de zu Verfügung.

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Ulf Rödde
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