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PISA braucht einen neuen Forschungsansatz

Die PISA-Studie liefert wenig Neues: Ordentliche Testergebnisse der Schülerinnen und Schüler aber die Chancengleichheit bleibt auf der Strecke. Ein Überblick der wichtigsten Testergebnisse und politischen Schlussfolgerungen.

  • Die Ergebnisse haben sich im Vergleich zu vorhergegangenen PISA-Studien kaum verändert. Die GEW stellt daher das Testverfahren in Frage und formuliert einen neuen Forschungsansatz.
  • Die PISA-Studie bestätigt das größte Problem im deutschen Bildungssystem: Die starke Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen.
  • Es  zeigen sich Problem bei der Förderung der sogenannten „Risikogruppe“, also Jugendlichen mit zu wenig Lese-, Schreib- und Rechenkompetenz.
  • Die GEW unterstreicht ihre Forderung nach einem sozial gerechteren, inklusiven Schulsystem.

„Die Erkenntnisse sind mehr oder weniger immer die Gleichen“, betonte Ilka Hoffmann, GEW-Vorstandsmitglied für den Bereich Schule, am Dienstag in Frankfurt a.M. Wie in den vergangenen PISA-Runden seien die Durchschnittswerte der Schülerinnen und Schüler in Deutschland „recht ordentlich“. Die Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler bewegten sich laut PISA 2015 oberhalb des OECD-Durchschnitts, wobei die durchschnittliche Punktzahl in den Naturwissenschaften gegenüber der Erhebung 2012 leicht zurückgegangen sei, so Hoffmann. Sie zeigte sich wenig überrascht von den heute vorgestellten Ergebnissen und schlug einen neuen Forschungsansatz vor: „Wir brauchen Studien, die die Gelingensbedingungen für eine Schule, die alle Kinder und Jugendlichen zu einer umfassenden Bildung, Verantwortungsbewusstsein und einer demokratischen Grundhaltung führt, herausarbeiten“. 


Am heutigen 6. Dezember hat die OECD ihre internationale Vergleichsstudie PISA vorgestellt. Etwa 10.000 15-Jährige aus Deutschland hatten 2015 an den erstmals am Computer durchgeführten Tests teilgenommen. Schwerpunkte der aktuellen Studie sind Naturwissenschaften, Mathematik, Lesen sowie Problemlösen im Team.

 

Blinde Flecken von PISA

Die GEW-Expertin machte deutlich, dass Studien, die auf Durchschnittswerten beruhen, nur sehr grobe Einschätzungen ermöglichten. Sie sagten nur sehr wenig über die Arbeit der Einzelschule und deren Möglichkeiten, für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen, aus. Auch darüber, wie stark demokratische und soziale Werte bei den Schülerinnen und Schülern verankert sind und inwieweit diese Verantwortung und Gestaltungskompetenzen entwickeln, ließen die Studienergebnisse kaum Rückschlüsse zu. „Da die Resultate der PISA-Studien immer sehr ähnlich sind, muss man sich fragen, welche Entwicklungen sie noch anstoßen können. „Angesichts der Erosion demokratischer Grundwerte und der zunehmenden sozialen und ethnischen Spaltungen innerhalb der deutschen Gesellschaft, müssten eigentlich andere Fragen an das Schulsystem gestellt werden. Was wir brauchen, ist eine Forschung, die Kapazitäten, Umfeld und Probleme von Schulen genauer untersucht“, so Hoffmann.

Wie aussagekräftig sind Durchschnittswerte in einem föderalen System?

Das PISA-Konsortium formuliere den Anspruch, so GEW-Schulexpertin Hoffmann, nationale Bildungssysteme zu analysieren und zwar auf der Grundlage von Schülerleistungen, die auf Stichprobenbasis erhoben werden. In Deutschland könne indes kaum von einem nationalen Bildungssystem gesprochen werden. „Vielmehr haben wir mehr oder weniger 16 verschiedene Bildungssysteme. Hinzu kommen starke regionale Unterschiede vor allem in städtischen Ballungsgebieten, wo die sozialen Spaltungen in den Wohnquartieren sich auch deutlich in den pädagogischen Herausforderungen in den betreffenden Schulen abbilden“, so Hoffmann. Insofern seien alle Interpretationen der Ergebnisse in Bezug auf die konkrete pädagogische Arbeit in den Schulen mit äußerster Vorsicht zu genießen. 

„Was fehlt, sind die entsprechenden politischen Konsequenzen und Handlungsstrategien!“

 

Oftmals werde ausschließlich auf das Ranking geschaut und vorschnell auf vermeintliche Erfolge bestimmter politischer Strategien, wie beispielsweise die Bildungsstandards oder zentrale Abschlussprüfungen verwiesen, anstatt das Thema Chancengerechtigkeit genauer unter die Lupe zu nehmen und benachteiligende Strukturen zu hinterfragen.

Chancengleichheit bleibt auf der Strecke

PISA bestätige noch einmal das „Kardinalproblem des deutschen Schulsystems“: die starke Kopplung zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen, betonte Hoffmann. „Die Studie bestätigt noch einmal die negativen Effekte, wenn man die Kinder früh in der Schule trennt und in verschiedene Bildungsgänge steckt: Die Chancengleichheit bleibt auf der Strecke“, unterstrich Hoffmann. „Was fehlt, sind die entsprechenden politischen Konsequenzen und Handlungsstrategien!“, so GEW-Schulexpertin Hoffmann. „Es müssen mehr Ressourcen für die Bildungsbenachteiligten bereit gestellt und gezielt Förderkonzepte für diese Gruppe aufgelegt werden. Zudem brauchen wir Strukturveränderungen: die ‚eine Schule für alle Kinder‘ und einen Ausbau qualitativ hochwertiger Ganztagsangebote“, sagte Hoffmann. „Außerdem verfestigt sich die ‚Risikogruppe‘, das sind Jugendliche mit zu wenig Lese-, Schreib- und Rechenkompetenz, um sich in dieser Gesellschaft eine Lebensperspektive aufzubauen, immer mehr“, begründete die GEW-Expertin ihre Forderung. Die indirekten Folgen: Mehr als 1,9 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren hätten keine berufliche Ausbildung, zudem gebe es 7,5 Millionen funktionale Analphabeten in Deutschland.

Kanada, Estland, Finnland und Japan mit ihren Gesamtschulsystemen zeigten deutlich mehr Chancengerechtigkeit als Deutschland mit seinem weiterhin selektiven Schulsystem, erläuterte Hoffmann. Die Studie stelle fest, dass die Chancengerechtigkeit dann größer ist, wenn die Aufteilung auf verschiedene Bildungsgänge besonders spät erfolgt und Klassenwiederholungen vermieden werden. „Für jedes Kind in Deutschland müssen die bestmöglichen Lernbedingungen geschaffen werden. Dafür brauchen wir endlich ein sozial gerechteres, inklusives Schulsystem, das mit den notwendigen personellen und materiellen Ressourcen ausgestattet ist“, unterstrich Hoffmann ihre Forderungen. 

„Deutschland hat noch Nachholbedarf bei der Entwicklung und Stärkung einer gendersensiblen Schulpädagogik und Didaktik.“

 

Zudem gebe es große Unterschiede zwischen den Leistungen von Jungen und Mädchen in vielen Bereichen. Die Mädchen schnitten bei der Lesefertigkeit besser ab, die Jungen bei Naturwissenschaften und Mathematik. Diese geschlechtsspezifischen Unterschiede seien in Deutschland größer als im OECD-Durchschnitt. „All diese Erkenntnisse waren in mehr oder weniger starker Ausprägung auch in den vorangegangenen PISA-Runden zum Ausdruck gekommen“, so Hoffmann. „Deutschland hat noch Nachholbedarf bei der Entwicklung und Stärkung einer gendersensiblen Schulpädagogik und Didaktik“.

Lässt sich dennoch etwas aus den PISA-Ergebnissen lernen?

Auch wenn die Aussagekraft der PISA-Ergebnisse aufgrund der föderalen Bildungsstruktur und der Konzentration auf Leistungsergebnisse auf der Grundlage sehr spezifischer Aufgabenformate begrenzt ist, so formuliert GEW-Schulexpertin Hoffmann dennoch gewisse Schlussfolgerungen:

  • „Deutschland hat ein im Wesentlichen öffentlich verantwortetes und finanziertes Bildungssystem. Das ist gut so und führt mit Sicherheit zu Vorteilen gegenüber Bildungssystemen, die zum großen Teil auf Privatschulen setzen.“
  • „Weiterhin hat Deutschland große Defizite in Bezug auf die Bildungsgerechtigkeit. Hier geschieht politisch zu wenig! Das Gesamtsystem muss transformiert werden in Richtung eines Gesamtschulsystems.“
  • „Es gelingt den deutschen Schulen unzureichend, Mädchen für Mathematik und Naturwissenschaften zu begeistern und die Leseleistungen der Jungen zu verbessern. Hier muss eine gendersensible Schulpädagogik und Didaktik entwickelt und umgesetzt werden.“