Die Meldeportale der AfD
Die AfD versucht, Meldeportale gegen Lehrkräfte zu etablieren. Die GEW ermutigt ihre Mitglieder, sich nicht einschüchtern zu lassen. Was Du über die Denunziationsplattformen wissen solltest.
Zuletzt aktualisiert am 17.6.2024
Vor einigen Jahren gab es sie bereits: Sogenannte Meldeportale der AfD, über die Schüler*innen und Eltern anonym parteikritische Lehrkräfte melden sollten. Nun startet die niedersächsische Landtagsfraktion der Rechtsaußen-Partei laut übereinstimmender Medienberichte einen neuen Versuch. Diesmal mit einer eigenen E-Mail-Adresse, statt eines Online-Formulars.
Die AfD versucht damit Lehrkräfte einzuschüchtern und argumentiert mit dem Neutralitätsgebot, das sich aus dem sogenannten „Beutelsbacher Konsens“ ableite. Doch der Beutelsbacher Konsens darf nicht mit dem parteipolitischen Neutralitätsgebot des Staates verwechselt werden. Der Konsens formuliert drei zentrale didaktische Prinzipien politischer Bildung: das Überwältigungs- bzw. Indoktrinationsverbot, das Kontroversitätsgebot sowie das Ziel, dass Schüler*innen zur politischen Teilhabe befähigt werden sollen. Lehrkräfte dürfen ihre eigene politische Meinung ausdrücken, diese aber nicht als allgemeingültig darstellen. Kontroverse Themen müssen multiperspektivisch behandelt werden.
Demokratiebildung ist zentraler Bestandteil des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule. Die Landesschulgesetze beschreiben die Ziele. Lehrkräfte sollen demokratische Werte wie Würde und Gleichheit aller Menschen, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität vermitteln. Wenn es in der Schule um politische Bildung geht, müssen sich Lehrkräfte nicht neutral verhalten. Es ist wichtig, verschiedene Blickwinkel zu beleuchten. Lehrkräfte sollen auf Basis des Grundgesetzes eine klare Haltung zum Beispiel gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Gewaltverherrlichung und menschenverachtende Aussagen zeigen.
Hintergrund
Schon 2018 hatte die rechtspopulistischen AfD mit Meldeplattformen versucht, Lehrkräfte einzuschüchtern. Ein erstes solches Portal ging im September in Hamburg online. Dort konnten Nutzerinnen und Nutzer der AfD-Fraktion melden, wenn sich Lehrkräfte oder andere Beschäftigte an Schulen ihrer Meinung nach nicht neutral verhalten. Aus den Bundesländern und von der GEW kam heftige Kritik. „Da sollen Lehrerinnen und Lehrer eingeschüchtert werden, das ist schon eine beängstigende Entwicklung. Es passt ins Bild, dass eine Partei, die Andersdenkende ausgrenzen will, jetzt Plattformen schafft, auf denen man Leute mit anderen Meinungen denunzieren kann“, sagte das damalige GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann.
Antworten auf die wichtigsten Fragen
Die GEW beleuchtet die gesetzlichen Grundlagen für politische Bildung in der Schule, den Sinn und Zweck des Beutelsbacher Konsens und gibt eine Handlungsorientierung für Lehrkräftte.
Ja. Neutralität bedeutet nicht, sich nicht mehr politisch äußern zu dürfen. Lehrkräfte haben einen demokratischen Bildungsauftrag, sie sollen Schülerinnen und Schülern die freiheitlichen und demokratischen Grund- und Menschenrechte vermitteln. Die an Schulen geforderte „parteipolitische Neutralität“ verbietet es, in den Schulen Werbung für wirtschaftliche, politische, weltanschauliche und sonstige Interessen zu betreiben. Aber selbstverständlich können sich Lehrkräfte im Unterricht kritisch mit den Positionen aller Parteien auseinanderzusetzen. Dazu gehören auch die Positionen der AfD. Dasselbe gilt auch für Lehrende an Hochschulen.
In Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) wird bestimmt:
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Die Schulgesetze der Länder beziehen sich auf diese Grundsätze des GG. Die AfD verfolgt dagegen politische Ziele, die sowohl dem Grundgesetz als auch den allgemeinen Menschenrechten widersprechen. Die AfD vertritt unter anderem diskriminierende, xenophobe, rassistische, sexistische, frauenfeindliche Positionen und versucht, diese in der gesellschaftlichen Mitte zu verankern. Das bedeutet für Lehrkräfte, die ihre Aufgabe und die Schulgesetze ernst nehmen, dass der kritische Umgang mit den Positionen der AfD ein Teil der politischen Bildung ist. Dazu gehört es, die Positionen der AfD als diskriminierend darzustellen, wenn sie es sind.
Demokratiebildung ist zentraler Bestandteil des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule. Die Landesschulgesetze beschreiben die Ziele. Lehrkräfte sollen demokratische Werte wie Würde und Gleichheit aller Menschen, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität vermitteln. Wenn es in der Schule um politische Bildung geht, müssen sich Lehrkräfte nicht neutral verhalten. Es ist wichtig, verschiedene Blickwinkel zu beleuchten. Lehrkräfte sollen auf Basis des Grundgesetzes eine klare Haltung gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus, Gewaltverherrlichung und menschenverachtende Aussagen zeigen.
Oft fällt das Stichwort ’Beutelsbacher Konsens’. Er ist ein in den 1970er-Jahren formulierter Minimalkonsens für den Politikunterricht in Deutschland. Er darf nicht mit dem parteipolitischen Neutralitätsgebot des Staates verwechselt werden. Dem Beutelsbacher Konsens liegen drei Leitprinzipien zu Grunde:
- Überwältigungsverbot (keine Indoktrination)
- Beachtung kontroverser Positionen in Wissenschaft und Politik im Unterricht
- Befähigung der Schüler*innen, in politischen Situationen ihre eigenen Interessen zu analysieren.
Lehrkräfte dürfen ihre eigene politische Meinung ausdrücken, diese aber nicht als allgemeingültig darstellen. Kontroverse Themen müssen multiperspektivisch behandelt werden.
1. Überwältigungsverbot
Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern . Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.
2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.
Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d. h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muss, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind.
Bei der Konstatierung dieses zweiten Grundprinzips wird deutlich, warum der persönliche Standpunkt des Lehrers, seine wissenschaftstheoretische Herkunft und seine politische Meinung verhältnismäßig uninteressant werden. Um ein bereits genanntes Beispiel erneut aufzugreifen: Sein Demokratieverständnis stellt kein Problem dar, denn auch dem entgegenstehende andere Ansichten kommen ja zum Zuge.
„Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren,
sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler Fähigkeiten ein, was eine logische Konsequenz aus den beiden vorgenannten Prinzipien ist. Der in diesem Zusammenhang gelegentlich erhobene Vorwurf einer „Rückkehr zur Formalität“, um die eigenen Inhalte nicht korrigieren zu müssen, trifft insofern nicht, als es hier nicht um die Suche nach einem Maximal-, sondern nach einem Minimalkonsens geht.
Quelle: http://www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens
Für den Unterricht ist es wichtig, den Schülerinnen und Schülern unterschiedliche Positionen – von ganz links bis ganz rechts – darzustellen und durch kontroverse Diskussionen zu einem eigenen Urteil zu befähigen. Konkret kann das bedeuten, verschiedene parteipolitischen Standpunkte beim Thema „Asyl“ so darzustellen, dass die Lernenden sie nachvollziehen, analysieren und für die eigene Position abwägen können. Die Schülerinnen und Schüler dürfen dabei keiner Angst ausgesetzt sein, sie müssen ihren Standpunkt frei äußern dürfen.
Die Lehrkraft kann dabei sehr wohl im Unterricht ihre eigene Position deutlich machen, zum Beispiel wenn sie eine Position der AfD nicht teilt oder ablehnt. Das ist keine Verletzung des Neutralitätsgebots, solange diese Sichtweise nicht absolut gesetzt wird und die Schülerinnen und Schüler dadurch indoktriniert werden.
Das lässt sich nicht einheitlich beantworten. Fest steht: Werden Lehrerinnen und Lehrer im Internet an den Pranger gestellt oder ihre Aussagen im Klassenzimmer von der AfD erfasst und an Schulbehörden weitergeleitet, können sie zivilrechtlich mittels Unterlassungsforderungen dagegen vorgehen. Die GEW und ihre Landesverbände beraten und unterstützen dahingehend.
Zudem sind personenbezogene Daten, wie politische Äußerungen im Klassenzimmer, nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO, hier Art. 9 Abs.1) grundsätzlich schützenswert. Sollte die AfD den Datenschutz nicht einhalten und ohne Einwilligung personenbezogene Daten von Lehrkräften speichern und/oder weitergeben, wäre dies rechtswidrig. Es kann sodann eine Meldung beim Landesdatenschutzbeauftragten erfolgen, welcher die Plattform bei einem Verstoß untersagen darf. Die GEW kann Dich dabei unterstützen.
2019 hat beispielsweise der Landesdatenschutzbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern gegenüber dem Landesverband der AfD die Betreibung einer solchen Plattform wegen Datenschutzverstößen untersagt. Die Entscheidung verdeutlicht anschaulich, dass die AfD nicht unter Berufung auf vermeintliche Neutralitätsverstöße die Daten von Lehrkräften verarbeiten darf.
Betroffene Lehrkräfte haben die Möglichkeit, auf die Einhaltung des Datenschutzes nach EU-DSGVO zu bestehen und bei der jeweiligen AfD-Fraktion eine Auskunft über gespeicherte personenbezogene Daten zu verlangen. Ebenfalls nach EU-DSGVO kann veranlasst werden, ggf. gespeicherte Daten löschen zu lassen. Zudem können sie sich beim jeweiligen Landesdatenschutzbeauftragen darüber beschweren, wenn der Datenschutz nicht eingehalten wird.
Sollten sich aus einer Meldung bei der AfD konkrete dienstrechtliche Beschwerden ergeben, stehen GEW und Landesverbände mit Rechtsschutz zur Seite.
Die GEW empfiehlt ihren Mitgliedern, sich nicht einschüchtern zu lassen, sondern stattdessen Haltung und Engagement zu zeigen. GEW-Mitglieder werden dazu von den Rechtsschutzstellen beraten und vertreten: Rechtsschutzstellen der GEW-Landesverbände