Neue Medien: Was bringt das Lernen im Netz?
In der Debatte um Chancen und Risiken digitaler Bildung stehen sich kontroverse Positionen gegenüber. In jedem Fall erfordern digitale Medien einen neuen Unterricht. Schulexpertin Ilka Hoffmann fasst eine GEW-Broschüre zum Thema zusammen.
Digitale Medien sind aus dem Alltag von Kindern und Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Sie spielen eine bedeutende Rolle in ihrer Entwicklung, ihrer Kommunikation und ihrer Kultur. In digitalen Welten finden sie Antworten auf ihre Fragen, kreieren und teilen Produkte aller Art, pflegen ihre Freundschaften und finden kulturellen Ausdruck sowie „Bausteine“ für ihre Sozialisation. Die Kehrseite dieser hohen Bedeutung neuer Technologien sind zunehmende Risiken, wie etwa Cyber-Kriminalität und -Mobbing, jugendgefährdende Inhalte, Überwachung, Datenraub und nicht zuletzt die Gefährdung von Arbeitsplätzen.
Auch wenn viele Schulen bereits seit vielen Jahren einen pragmatischen und selbstverständlichen Umgang mit digitalen Medien pflegen, gibt es noch immer zwei Pole, die die schulische Diskussion prägen. Auf der einen Seite werden digitale Lehr- und Lernangebote als Chancen gesehen, das Lernen von Grund auf zu verändern. Auf der anderen Seite werden die Risiken und Probleme einer intensivierten Mediennutzung und die erzieherische Funktion von Unterricht in den Vordergrund gestellt. Aus Sicht der GEW werden indessen weder eine heilsversprechende Euphorie noch ein (bewahr-)pädagogischer Pessimismus den schulischen Herausforderungen gerecht.
„Aus GEW-Sicht bedeutet Medienbildung das Lernen mit und das Lernen über Medien.“
Auch eine jüngere internationale OECD-Studie zur digitalen Bildung legt eher einen Mittelweg nahe. Sie hat ergeben, dass ein verstärkter Computergebrauch in den Schulen weder die Leistungen verbessert noch zu einer umfassenden Medienkompetenz beiträgt. Zudem ist aus weiteren Studien bekannt, dass digitales Lernen nicht per se benachteiligten Schülerinnen und Schülern mehr Lernchancen verschafft, wie man dies anfangs gehofft hatte. Im Gegenteil: gerade diese Gruppe hat mit dem - zumeist auf mehr Selbststeuerung setzenden - digitalen Lernen Probleme und ist besonders auf den persönlichen Kontakt, den Dialog oder nicht zuletzt die Instruktion angewiesen.
Schulen sollten somit die Chancen und Möglichkeiten digitaler Medien möglichst nutzen und die Risiken und Gefahren der Mediennutzung möglichst minimieren. Aus GEW-Sicht bedeutet Medienbildung das Lernen mit und das Lernen über Medien. Und nicht zuletzt - wie einige Beispiele in der hier vorgelegten Broschüre eindrucksvoll zeigen - das Lernen in Medien. Ziel sollte sein, dass Heranwachsende zum einen lernen, sich souverän, urteilskompetent, kreativ und sinnvoll in digitalen Welten zu bewegen. Zum anderen müssen sie für die Möglichkeiten und Gefahren im Netz sensibilisiert und stark gemacht werden. Dazu gehört nicht zuletzt ein Verständnis für die ökonomischen und gesellschaftlichen Dimensionen von Informations- und Kommunikationstechnologien. In diesem Sinne ist Medienbildung und -erziehung als Teil gesellschaftspolitischer Bildung zu verstehen.
Digitale Medien erfordern andere Pädagogik und anderen Unterricht
Wie sich die Mediatisierung der Gesellschaft vollzieht, welchen Herausforderungen - „vom Humanismus bis zum Terrorismus“ - junge Menschen im „virtuellen Lebensraum“ begegnen und wie sie dort kommunizieren und sich vernetzen, ist das Thema des ersten Beitrags „Kompetenzen für den Lebensraum Medien“ von Bernd Schorb. Medienkompetent ist ein Mensch, so Schorb, der mit den Medien kritisch, genussvoll und reflexivpraktisch umzugehen weiß.
Die Frage des schulischen Medieneinsatzes ist weniger eine Frage der Quantität und der Technologie, sondern eher eine Frage der Qualität und der Bildungsziele. Und nicht zuletzt der (Neu-)Gestaltung schulischer Lernräume. Franz-Josef Röll macht daher in seinem Beitrag „Digitale Lernszenarien - Social Media als pädagogische Herausforderung“ deutlich, dass die digitalen Medien - um sie für die Schule gewinnbringend zu nutzen - eine andere Pädagogik und einen anderen Unterricht erfordern. Sein Vorschlag einer „Pädagogik der Navigation“ ermuntert dazu, sich die Prinzipien von Social Media als Lehrkraft für den Unterricht zunutze zu machen und liefert hierfür eine Fülle praktischer Beispiele. Dabei plädiert Röll für mehr Spielräume - bei den Lernpräferenzen, den Lösungswegen wie auch bei der Bewertung des Gelernten - damit Schülerinnen und Schüler sich als autonom, als kompetent, als selbstwirksam und als sozial eingebunden erleben können.
Hieran knüpft der Beitrag „Social Media - veränderte Lern- und Bildungsräume der Schule?“ von Mandy Schiefner-Rohs an, der das zweite Kapitel der Broschüre eröffnet. Sie beschreibt, wie die starke Fokussierung auf herkömmlichen Unterricht dazu führen kann, dass zum Beispiel das Tablet schlicht als Schulbuchersatz oder das Interactive Whiteboard als Tafelersatz genutzt werden. Schiefner-Rohs fragt hingegen, wie Lern- und Bildungsräume - ja die Schule als Institution - sich in einer mediatisierten Gesellschaft verändern, wenn das Medienhandeln bei Kindern und Jugendlichen immer selbstverständlicher wird und die erwachsene Welt wie auch die Schule Kontrolle, Autorität und das Monopol auf Inhalte abgeben.
Wenn es Lehrkräfte selbst an medienpädagogischer Kompetenz fehlt, wie sollen sie dann Medienkompetenz vermitteln? Bei der Vorbereitung von Lehrkräften besteht ein erheblicher Nachholbedarf, wie Kerstin Mayrberger in ihrem Beitrag „Was gehört zu einer Medien-Grundbildung für Pädagoginnen und Pädagogen?“ deutlich macht. Lehrkräfte brauchen persönliche Medienkompetenz, sozialisationsbezogene, mediendidaktische und medienerzieherische Kompetenz sowie Schulentwicklungskompetenz im Medienzusammenhang. Bis heute ist indessen bundesweit nicht gesichert, dass Lehrerinnen und Lehrer in den ersten beiden Phasen ihrer Ausbildung diese erwerben können.
Digitalisierung der Bildung kann auch Einfallstor für ihre Kommerzialisierung sein
Nur auf der Basis einer medienpädagogischen Grundbildung von Lehrkräften ist es möglich, Medien als selbstverständliche - und nicht besondere - Unterstützung bei der fachdidaktischen Planung von Unterricht in heterogenen Gruppen einzubeziehen, wie Markus Peschel dies in seinem Beitrag „Inklusive Mediendidaktik in der Grundschule“ fordert. Erst durch eine Integration von Fachdidaktik und Mediendidaktik könnten, so Peschel, Medien auch ein Gewinn für die Inklusion und das gemeinsame Lernen aller Kinder werden.
Dass die Digitalisierung der Bildung auch ein Einfallstor für ihre Kommerzialisierung und Ökonomisierung sein kann, zeigen die beiden letzten Beiträge des ersten Kapitels auf. Im Einklang mit der GEW moniert auch die Europäische Bildungsgewerkschaft, dass digitales Lernen keinesfalls nur um der Technologie oder der Innovation willen, und schon gar nicht unter der einseitigen Fokussierung auf den Nutzen für den Arbeitsmarkt eingeführt werden solle. Auch stehe bei den aktuellen Programmen der Europäischen Union zu befürchten, dass vormals öffentliche Bildungsangebote zunehmend in die Hände von Privatanbietern gelegt werden. Matthias Holland-Letz illustriert zudem in seinem Beitrag „Medien und Schule im Griff der Wirtschaft“, auf welche Weise große Computer- und Internetkonzerne wie Apple oder Google ihre Produkte längst im Paket - mit Fortbildungen für Lehrkräfte, Unterrichtskonzepten und -materialien - anbieten. Auch liefert er anschauliche Beispiele dafür, wie Unternehmen Werbung, Public Relations und Greenwashing betreiben, indem sie über ihre Online-Materialien die Lernenden subtil zu beeinflussen oder als künftige Konsumentinnen und Konsumenten zu erreichen versuchen.
Lehrkräfte brauchen Zeit und Unterstützung
Im dritten Kapitel schließlich haben wir einige Beiträge zur medienpädagogischen Praxis zusammengestellt. Anika und Melanie Bonitz geben in ihrem Beitrag „Lernen ohne Papier - Digitale Schulbücher“ einen Überblick über die internationale Verbreitung digitaler Schulbücher - auch angesichts der Ausstattungssituation an Schulen. Sie stellen die Frage nach der Wirtschaftlichkeit, der Qualitätssicherung und den Lerneffekten und erörtern somit anschaulich den Nutzen und die Fallstricke des schulischen Einsatzes.
Welche Schritte und Vorbereitungsphasen bei der Einführung von Tablets an Schulen bedacht werden müssen, zeigt Stefan Aufenanger in seinem Beitrag „Lernen mobil - Erfolgskriterien für die Einführung von Tablets an Schulen“ auf. Dabei wird unter anderem deutlich gemacht, dass ein entscheidender Erfolgsfaktor der Einführung von Tablets ist, dass die Lehrkräfte in einer ersten Phase viel Zeit und Unterstützung bekommen, um sich - vor dem Unterricht mit Tablets - die Geräte und deren möglichen Nutzen selbst zu erschließen.
Ingo Bosse, Annette Pola und Corinna Wulf präsentieren in ihrem Beitrag „Inklusive Medienbildung: Methoden für Schule und offenen Ganztag“, welche Potenziale digitale Medien für das gemeinsame Lernen haben und wie insbesondere die Methode „Digital Storytelling“ in inklusiven Lernsettings gewinnbringend durchgeführt werden kann. Die Methode ist nutzerfreundlich, berücksichtigt neben der sprachlichen Ebene auch auditive, haptische und visuelle Zugangsweisen, ist handlungs- und produktionsorientiert und erfüllt somit zentrale Kriterien für eine inklusive Medienbildung in schulischen und außerschulischen Settings.
Dass Spielen und Lernen kein Gegensatz sind, wissen wir bereits. Dennoch sind Computerspiele als Unterrichtsgegenstand und -medium noch wenig etabliert. In seinem Beitrag „Spielspaß mit Lerneffekt? Computerspiele als Instruktionsmedium im Fach Politik“ legt Marc Motyka wissenschaftlich gestützt dar, dass beides durchaus gut kombinierbar ist. Eindrucksvolle Beispiele dokumentieren hier, wie mittels Computerspielen Politikkompetenzen vermittelt und Lernmotivation gefördert werden können.
„Die technische Ausstattung lässt einen flexiblen Medieneinsatz an Schulen oft nicht zu.“
Christian Kleinhanß wirbt in seinem Beitrag „Ein medienpädagogischer Blick auf die politische Bildung“ dafür, exzessiven Mediennutzern nicht gleich mit Skepsis zu begegnen, sondern auch die Selbstbehauptung und Autonomie anzuerkennen, die junge Menschen an den Tag legen, wenn sie Technologien in ihrem Sinne nutzen und aktiv steuern. Anhand beispielhafter Programme und Apps zeigt er leicht umsetzbare Lernszenarien auf, die an die Vorlieben von Jugendlichen anknüpfen und zugleich kollaborative oder partizipative Erkenntnisprozesse fördern können.
Auch Ricarda Dreier geht zunächst davon aus, dass sich private und schulische Medienwelten nach wie vor deutlich unterscheiden. Allein die technische Ausstattung lässt einen flexiblen Medieneinsatz an Schulen oft nicht zu. In ihrem Beitrag „Chancen und Grenzen des mobilen Lernens: BYOD im Unterricht“ leuchtet sie aus, wie man im Unterricht mit den Geräten arbeiten kann, die die Schülerinnen und Schüler sowieso bereits in der Tasche haben (Smartphones, Tablets, Laptops), freilich ohne dass Einzelne, die kein Gerät haben, benachteiligt oder diskriminiert werden.
Ermutigende Inhalte in der Vordergrund stellen
Der Vorstandsbereich Schule und die AG Jugendliteratur und Medien der GEW haben im Herbst 2014 eine Konferenz zur schulischen Medienbildung in Mainz veranstaltet. Wir haben alle Expertinnen und Experten nach dieser Konferenz gebeten, einen Artikel für diese GEW-Broschüre beizusteuern. Bereits bei der damaligen Auswahl der Konferenzthemen waren wir darauf bedacht, vorwiegend ermutigende und umsetzungsorientierte Inhalte in den Vordergrund zu stellen und nicht in erster Linie kritische Fragen zur Ausstattung, zur personellen oder rechtlichen Situation oder zu Gefährdungen und Risiken.
Deswegen ist es uns umso wichtiger zum Ende der Broschüre hin einige Beschlüsse von Gremien und Gruppen der GEW zu dokumentieren, die die überwiegend medienpädagogischen Beiträge sinnvoll ergänzen sollen. Eine gute Ausstattung von Schulen, personelle Unterstützung und Anrechnungsstunden für den schulischen Medieneinsatz, Support für die Betreuung und Wartung, angemessene Computerarbeitsplätze für Lehrkräfte, ergonomische und gesundheitliche Aspekte, Rechtssicherheit für Lehrkräfte, die öffentliche Verantwortung für (Medien)Bildung, das Zurückdrängen der Einflussnahme von Privatwirtschaft und Lobbyisten auf die öffentliche Bildung, eine an neue Herausforderungen angepasste Aus- und Fortbildung und nicht zuletzt die Kostenfreiheit, Chancengleichheit und Teilhabe an (digitaler) Bildung bleiben auf der Agenda.