Recht auf Ausbildung
Die GEW fordert eine Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen in Deutschland. Eine gute Ausbildung, Arbeit und ein auskömmliches Einkommen sind Grundvoraussetzungen für die individuelle Entwicklung, für die eigenständige Existenzsicherung und die gesellschaftliche Teilhabe eines jeden Menschen. Daher sollen alle jungen Menschen nach Beendigung ihrer Schulzeit ein Recht auf einen Ausbildungsplatz mit einem anerkannten Berufsbildungsabschluss haben.
Der Rechtsanspruch auf Bildung soll sich nicht nur auf den Besuch einer allgemeinbildenden Schule und auf einer Kindertageseinrichtung beschränken, sondern auch für die berufliche Erstausbildung gelten. Die schon seit vielen Jahren hohe Zahl von jungen Menschen im Übergangsbereich und die mangelnde Perspektive auf einen Ausbildungsplatz sind ein zentrales gesellschaftliches Problem.
Eine „abgehängte Generation“, die keinen Einstieg in den Arbeitsmarkt findet, kann sich Deutschland vor allem aus sozialen Gründen, aber auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der drohenden Fachkräfteknappheit nicht erlauben.
Ausbildungslosigkeit wird sich erneut verschärfen
Zusätzlich trifft die Corona-Krise auf einen ohnehin schon angespannten Ausbildungsmarkt. Schon heute haben rund ein Drittel der jungen Menschen mit Hauptschulabschluss im Alter von 20 bis 34 Jahren keinen Berufsabschluss. Ihnen wird der Sprung in Ausbildung noch schwerer fallen. Dies ist besonders dramatisch, da es schon zwischen 2011 und 2019 trotz einer guten demographischen und einer vergleichsweise guten konjunkturellen Entwicklung nicht gelungen ist, die Zahl der Personen ohne Ausbildungsabschluss im Alter von 20 bis 34 Jahren zu senken. Lag die Zahl 2011 noch bei 1,98 Millionen (13,8 Prozent), ist sie 2019 laut BIBB-Datenreport 2020 auf 2,16 Millionen (14,7 Prozent) gestiegen. Die Ausbildungslosigkeit wird sich erneut verschärfen.
Warum braucht es eine Ausbildungsgarantie?
Trotz sinkender Bewerber*innenzahlen finden viele Jugendliche nach ihrem Schulabschluss keinen betrieblichen Ausbildungsplatz und bleiben oft in zahlreichen Übergangsmaßnahmen ohne anerkannten Berufsausbildungsabschluss hängen. Der demographische Wandel und der drohende Fachkräftemangel bringen zwar leichte Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt, doch die Hoffnung, dass dadurch gerade Jugendlichen mit einem Hauptschulabschluss der Einstieg in eine betriebliche Ausbildung erleichtert wird, hat sich nicht erfüllt.
Betriebe nehmen „Bestenauslese“ vor
Zwar steht eine betriebliche Ausbildung formal allen Jugendlichen – ganz unabhängig vom individuellen Schulabschluss – offen, in der Realität aber entscheiden die Betriebe über den Einstieg in das duale System. Sie konnten in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund des Ausbildungsplatzmangels und der vielen Bewerber*innen eine „Bestenauslese“ vornehmen. Es gibt daher eine faktische Abschottung von annähernd der Hälfte der Ausbildungsberufe für Jugendliche mit niedrigerem Schulabschluss.
Ebenso sind die Chancen sowohl für Jugendliche mit als auch ohne Hauptschulabschluss deutlich schlechter als noch Anfang des letzten Jahrzehnts. Dementsprechend hat sich die Zahl der jungen Menschen, die in das sogenannte Übergangssystem einmünden, in den vergangenen Jahren deutlich auf über 250.000 erhöht.
Schlechte Chancen bei Zuwanderungsgeschichte
Vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund stehen die Chancen für einen Übergang von Schule in Beruf schlechter, so der Berufsbildungsbericht 2021. Der Grund hierfür liegt meist jedoch nicht an ihren schulischen Qualifikationen. Vielmehr zeigen sich auch bei gleichen Schulabschlüssen und unter Berücksichtigung vielfältiger weiterer Einflussgrößen Nachteile beim Zugang zu beruflicher Ausbildung. Gleichzeitig klagen die Betriebe über unbesetzte Ausbildungsplätze. Wenn sich dieser Trend verstärkt, werden die Fliehkräfte in der Gesellschaft weiter zunehmen.
Konkrete Ausgangslage in Zahlen:
- Fast 68.000 junge Menschen sind im Ausbildungsjahr 2021 ohne Ausbildung geblieben, obwohl sie sich als Bewerberinnen und Bewerber gemeldet haben.
- Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen stieg dagegen weiter an und erreicht ein neues Rekordniveau: 63.200 Ausbildungsstellen blieben 2021 unbesetzt.
- 2020 gab es bereits ein Minus von 11 Prozent bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen. Die Zahl der Neuverträge ist damit erstmals seit der Deutschen Einheit unter die 500.000er-Marke gefallen (467.000). Die Anzahl der Ausbildungsverträge ist 2021 noch einmal um 7,7 Prozent zurückgegangen. Im Vergleich zum Ausbildungsjahr vor Corona (2019) beträgt der Rückgang also 20,2 Prozent.
- Weniger als ein Fünftel der Betriebe bildet noch aus. Die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze ist durch Corona noch weiter eingebrochen. Bis zum 30. September 2021 standen insgesamt 19.000 weniger Ausbildungsplätze als im Vorjahreszeitraum (minus 3,6 Prozent) zur Verfügung. Bereits 2020 gab es ein Minus von 7,3 Prozent.
- Die durchschnittliche Wartezeit nach Beendigung der allgemeinbildenden Schulen bis zu Beginn einer Berufsausbildung liegt aktuell bei über 2 Jahren.
(Quelle: BIBB Ausbildungsmarktanalyse 2021)
Gute Gründe für eine Ausbildungsgarantie:
Eine Ausbildungsgarantie…
- stärkt das Recht jedes jungen Menschen auf eine angemessene Förderung und Bildung, unabhängig von individueller Beeinträchtigung, Wohnort oder sozialer Benachteiligung.
- nimmt den Bund sowie die Länder in die Pflicht, allen Jugendlichen eine Ausbildung zu einem vollwertigen und anerkannten Berufsausbildungsabschluss direkt nach Beendigung der Schulzeit anzubieten. Der Übergang von der Schule in eine Berufsausbildung muss für alle Jugendlichen ohne unnötige Warteschleife möglich sein.
- verweist deutlich auf die Aufgaben und Pflichten der Betriebe, ein auswahlfähiges Angebot betrieblicher Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Mit einer Ausbildungsplatzumlage wird ausbildungswilligen Unternehmen die Ausbildung erleichtert.
- vermeidet in der Zukunft hohe Zahlen an Jugendlichen ohne Berufsabschluss.
- strukturiert den Übergang zwischen Schule und Beruf mit entsprechender Förderung.
- trägt maßgeblich dazu bei, den von den Unternehmen beklagten Fachkräftemangel auf der Grundlage der demographischen Entwicklung zu beheben.
- leistet einen entscheidenden Beitrag zur Gestaltung eines inklusiven Bildungssystems in Deutschland.
- schafft Voraussetzungen dafür, dass keine Jugendlichen zwischen Schule und Arbeitswelt „verloren“ gehen.