BFGA Gesamtschulen
Wir informieren über unsere Arbeit bei der Interessenvertretung in der Gesamtschule, über unsere bildungspolitischen Ziele und über die Herausforderungen, denen wir uns stellen. Wir sind überzeugt: Das lohnt sich! Für das pädagogische Personal und die Bildungschancen der Schülerinnen und Schüler.
Wen wir vertreten
Nicht nur Gesamtschulen - Integrative Schulen mit drei Bildungsgängen gibt's in allen Bundesländern.
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Die Bundesfachgruppe Gesamtschulen vertritt das pädagogische Personal der Schulen, die die drei Bildungsgänge des gegliederten Schulsystems (Hauptschule, Realschule, Gymnasium) enthalten und damit für alle Schüler*innen da sind. Diese Schulen können die Schuljahrgänge 1 bis 13 umfassen. Nicht alle Schulen, für die das zutrifft, heißen Gesamtschule. Integrative Schulen mit drei Bildungsgängen gibt’s in allen Bundesländern.
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Eine große Bedeutung hat die Offenheit der Schullaufbahn. Durch die Aufhebung der Trennung der verschiedenen Bildungsgänge wollen wir allen Schüler*innen gemeinsam — unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft — eine optimale Entwicklung und Entfaltung ihrer Möglichkeiten bieten. Dieses Ziel gilt auch für Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf.
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Den Integrationsgedanken vertreten wir nicht erst seit der gesetzlichen Einführung der Inklusion, sondern bereits schon seit Jahrzehnten. Gesamtschulen haben oft Pionierarbeit bei der Umsetzung von Integrationskonzepten geleistet.
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Ursprünglich trugen diese Schulen in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich den Namen „Gesamtschule“. Inzwischen werden sie in einigen Bundesländern auch als „Gemeinschaftsschule“, „Oberschule“, „Stadtteilschule“ oder „Integrierte Sekundarschule“ bezeichnet. Die KMK ordnet diese Schulen der Schulart Integrierte Gesamtschule zu.
In etlichen Bundesländern tragen die Gesamtschulen noch den ursprünglichen Namen „Gesamtschule“: Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Thüringen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Bayern, Baden-Württemberg.
In Sachsen wurde die Idee der integrativen Schulen unter der Bezeichnung „Gemeinschaftsschulen“ neu aufgenommen. In Thüringen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg wurden Gemeinschaftsschulen zusätzlich zu Gesamtschulen eingeführt.
Im Rahmen des Konzeptes der „Zweiten Säule“ neben den Gymnasien wurden Gesamtschulen unter unterschiedlichen Bezeichnungen umgewandelt: Schleswig-Holstein – Gemeinschaftsschule, Hamburg – Stadtteilschule, Bremen – Oberschule, Berlin – Integrierte Sekundarschule/ Gemeinschaftsschule, Saarland - Gemeinschaftsschule). In diesen Bundesländern gibt es keine Hauptschulen und Realschulen mehr.
Die KMK-Beschlüsse für integrierte Gesamtschulen gelten für alle diese Schulen mit drei Bildungsgängen, z.B. Grundsätze zur Fachleistungsdifferenzierung/Klasseninterne Kurszuweisung, Abschlüsse.
Im Alltag haben sie ähnliche Probleme: bei der personellen und sachlichen Ausstattung und in der Stellung im Schulsystem insbesondere im Verhältnis zu den Gymnasien und bezüglich der Umsetzung der Inklusion.
Wie wir arbeiten
Austausch über politische Erfahrungen in den Bundesländern.
- Wir interessieren uns besonders für die pädagogischen Erfahrungen und Konzepte der Kollegien in den verschiedenen Bundesländern. Bei allen Unterschieden stellen wir dabei Ähnlichkeiten und Gemeinsames fest.
- Eine der vier Tagungen, die wir pro Jahr durchführen, dient dem Besuch einer Schule und Gesprächen mit den GEW-Landesvorsitzenden und anderen bildungspolitisch Verantwortlichen des Bundeslandes.
- So waren wir in den letzten Jahren in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Baden-Württemberg, Berlin, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen. Und wir freuen uns, wieder nach München und Bremen zu fahren. So bekommt jedes Mitglied unserer Bundesfachgruppe Anregungen für seine Arbeit im eigenen Bundesland.
Wir üben Einfluss aus
Einsatz für gute Arbeit an integrativen Schulen.
- Der BFGA Gesamtschule beschäftigt sich mit der Ausgestaltung der integrativen Schulen in den Bundesländern und tritt für die Verbesserung der schulrechtlichen und materiellen Bedingungen ein, damit das Ziel „Soziale Integration statt soziale Segregation und Diskriminierung“ umsetzbar ist.
- Die Arbeitsbedingungen des pädagogischen Personals sehen wir im Zusammenhang mit der Gestaltung der Lernbedingungen.
- Der BFGA Gesamtschulen versteht sich als Interessenvertretung der integrativen Schulen und ihrer Lehrer*innen und Sozialpädagog*innen innerhalb und außerhalb der GEW.
Die Gesamtschulen und die integrativen Schulen unter anderem Namen haben erfahren, dass Arbeitsbedingungen und Handlungsmöglichkeiten im Sinne einer humanistischen Pädagogik unmittelbar zusammenhängen – durchaus auch im positiven nach vorne gerichteten Sinn – und ein Vorbild für alle Schulformen darstellen. Kein Wunder, dass es von den konservativen Kräften immer wieder Versuche gab, diese Errungenschaften zu beschneiden.
Die Forderungen, für die wir eintreten, wurden nicht in allen, aber einigen Bundesländern durchgesetzt. Es lohnt sich dafür einzutreten, um sie überall durchzusetzen oder zu erhalten:
- eine einheitliche Unterrichtsverpflichtung unabhängig von den Lehrämtern, angenähert an die der Gymnasien als wichtiger Schritt zu Überwindung der Lehrämter des gegliederten Systems
- Funktionsämter-Besoldung unabhängig vom Ausgangslehramt
- Kollegiale Schulleitung
- Ausbildung von kollegialen Arbeitsformen, Klassenleitungsteams
- Ansätze von multiprofessionellen Klassenteams
- Schulleben geprägt von innerschulischer Demokratie mit erweiterten Mitbestimmungsrechten von Eltern und Schüleinnen
- systemische kollegiale Schulentwicklung mit demokratisch gewählten Konzeptgruppen
- große Freiheit für die innere Ausgestaltung der Schule und für die Entwicklung von Didaktik und Methodik
- auskömmliche Zuschläge in der Stundenzuweisung für Differenzierung, Wahlpflichtbereiche, gebundenen Ganztag und für Förderkonzepte
- verbale Rückmeldung über die Lernentwicklung statt Zensuren
- Aufrücken statt Versetzung
- Schulsozialarbeit
- in allen Fächern Lerngruppen ohne äußere Fachleistungsdifferenzierung durch klasseninterne Kurszuweisung (Überwindung der KMK-Differenzierungsauflagen von 1982)
- Kooperation mit Berufsschulen und Aufbau von Kollegschulbildungsgängen mit der Integration beruflicher und allgemeiner Bildung
- Aufbau von Reformoberstufen in der Sekundarstufe II mit Projekten in Profiloberstufen
- Kollegschulbildungsgänge mit der Integration beruflicher und allgemeiner Bildung
Gemeinsames Lernen erfolgreich
Entkopplung von sozialer Herkunft und Schulerfolg ist möglich.
- Die Integrierten Gesamtschulen haben sich als Schulart, die drei Bildungsgänge integriert und zum Abitur führt, etabliert. Sie beweisen, dass alle Kinder und Jugendlichen ungeachtet ihrer sozio-kulturellen und ethnischen Herkunft gemeinsam lernen und sich erfolgreich entwickeln können. Für viele Gesamtschüler*innen wird der Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen von der sozialen Herkunft entkoppelt.
- Diese Tatsache haben die Gesamtschulen mit dem Vergleich der Grundschulempfehlungen und den tatsächlichen Schulabschlüssen umfangreich dokumentiert. So gelingt es vielen Schüler*innen, den Realschulabschluss oder das Abitur zu erlangen, denen die Grundschullehrkräfte diese Entwicklung nicht zugetraut hatten.
- In Bundesländern mit einem ausgebauten Gesamtschulangebot beträgt der Anteil der Gesamtschulen an den Abiturabschlüssen im Bereich der allgemeinbildenden Schulen zwischen 20 und 40 Prozent. Wenn man die Abiturquote der beruflichen Schulen berücksichtigt, wird die Mehrheit der Abiturzeugnisse nicht mehr an Gymnasien erworben.
- An Gesamtschulen ist die Anzahl der Schüler*innen, die keine Schulabschluss erlangen oder auf eine andere Schulart abgeschult werden, geringer als an den anderen Schulformen der Sekundarstufe I. Zugleich ist das Wiederholen eines Schuljahrgangs an Gesamtschulen eine seltene Ausnahme – im Gegensatz zu den Schularten des dreigliedrigen Schulsystems.
Schüler*innen brauchen gute Bedingungen, um sich von unterschiedlichen Ausgangslagen entwickeln zu können und hohen Anforderungen zu stellen:
- Keine Zensuren, sondern andere Formen von Rückmeldungen sind für Gesamtschulen nach den Vorschriften der KMK in der Grundstufe und in der Sekundarstufe I zulässig – mit Ausnahme der Abschlussjahrgänge 9 und 10. In einigen Bundesländern ist das seit 50 Jahren selbstverständlich. In anderen wird diese pädagogisch wichtige Regelung bisher nicht zugelassen.
- Sitzenbleiben ist durch die KMK-Vorschriften abgeschafft – die Schüler*innen rücken auf.
- Im Pflichtunterricht stört die äußere Fachleistungsdifferenzierung nach unserer Erfahrung die Entwicklungsmöglichkeiten.
- Die KMK verlangt allerdings in ihren Beschlüssen aus 1982, dass die Schüler*innen in Schulen mit drei integrierten Bildungsgängen in vier Fächern in Leistungskurse auf mindestens zwei Niveaus aufgeteilt werden, in Mathematik und Englisch ab Jahrgang 7, in Deutsch ab Jahrgang 8 und in den Naturwissenschaften ab Jahrgang 9.
- Die GEW und ihre Bündnispartner Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschulen und Elternvertretungen haben sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass die KMK das durchgängige Unterrichten im Klassenverband bis zum 10. Schuljahrgang zulässt und dass die Kurszuweisung am Ende des Schuljahres klassenintern erfolgt. Die Länder nutzen diese KMK-Bestimmungen unterschiedlich.
- Die personelle Ausstattung des Ganztags und des Wahlpflichtbereichs muss so gestaltet sein, dass die unterschiedlichen Neigungen und Interessen der Schüler*innen tatsächlich berücksichtigt werden können. Der Wahlpflichtbereich muss in der Stundentafel umfassend genug verankert sein (vier bis acht Wochenstunden).
- Hier muss auch die zweite und dritte Fremdsprache verankert sein.
- Durchlässigkeit in der Gesamtschule wird insbesondere durch Sprachbarrieren verursacht. Dazu ist es notwendig, die Familiensprachen der Schüler*innen aufzuwerten. Sie sollten im Status einer Fremdsprache angeboten werden.
- Außerdem bedarf es der durchgängigen Sprachbildung und des sprachsensiblen Unterrichts in allen Fächern.
- Zudem bedarf es des gebundenen Ganztage, in dem Lehrer*innen mit ihren Schüler*innen ohne Bewertungsdruck arbeiten, und die Mitarbeit sozialpädagogischen Fachkräfte ermöglicht wird.
- Hausaufgaben können abgeschafft werden, weil die Übungs- und Vertiefungsphasen im gebundenen Ganztag integriert werden – so wie auch die Förderstunden.
- Integrierte Gesamtschulen stellen eine Alternative zum gesamten dreigliedrigen Schulsystem dar, auch zum Gymnasium. Sie zeigen, dass das gegliederte Schulsystem insgesamt überwunden werden kann.
Schulart mit stärkstem Zuwachs
Die Expansion der Gesamtschulen hat Fahrt aufgenommen und hält an.
- In den letzten 10 Jahren konnten die Integrierten Gesamtschulen ihren Anteil an der Schüler*innenschaft im 8. Schuljahrgang von 9,2 Prozent auf 20,2 Prozent steigern, also mehr als verdoppeln. Das besagt die KMK-Statistik „Verteilung der Schüler auf die Schularten in Klassenstufe 8 in den Jahren 2008 bis 2017“. In absoluten Zahlen stiegt die Schüler*innenschaft von 71.300 auf 145.900, wobei die Gesamtzahl rückläufig war.
- Der Anteil der IGSen hat sich in den Bundesländern unterschiedlich entwickelt.
- In traditionellen Gesamtschulländern ist der Anteil der Gesamtschüler*innen erheblich angestiegen: in Nordrhein-Westfalen auf 30 Prozent, in Niedersachsen auf 23,7 Prozent. In Hessen und Rheinland-Pfalz gab es einen langsameren Anstieg. Da in einigen Bundesländern (Baden-Württemberg, Thüringen) Schulen mit drei Bildungsgängen unter dem Namen Gemeinschaftsschule neu gegründet werden, aufwachsen und sich großer Beliebtheit erfreuen, wird die Gesamtschulquote weiter steigen.
- In Sachsen gab es bisher - außer dem Chemnitzer Schulmodell - keine Gesamtschule – allerdings wird inzwischen der Aufbau von Gemeinschaftsschulen aufgrund eines Landtagsbeschlusses vorbereitet. Bayern hat nur zwei Gesamtschulen.
- In den drei Stadtstaaten und in den Bundesländern Schleswig-Holstein und Saarland wurden die Haupt- und Realschulen in Schulen mit drei Bildungsgängen umgewandelt und mit den Gesamtschulen zu einer Schulart zusammengefasst, die in den Ländern unterschiedliche Bezeichnungen trägt (Gemeinschaftsschule, Oberschule, Stadteilschule, Integrierte Sekundarschule). Daneben gibt es noch die Schulart Gymnasium, die in diesen Bundesländern zwischen 25 Prozent und 50 Prozent der Schüler*innen nach der Grundschule aufnimmt.
Die integrativen Schulen, die alle Bildungsgänge des gegliederten Schulsystems umfassen, wurden und werden so erbittert gekämpft, weil sie beweisen, dass eine Schulform möglich ist, die alle Schulformen des gegliederten Schulsystems ersetzen kann.
Der Kulturkampf gegen eine gemeinsame Schule hat in Deutschland Tradition. Das sei hier kurz skizziert:
- Demokratischer Neuanfang ohne große Schulreform
Nach Abschaffung der Monarchie gelang es den demokratischen Kräften in der Weimarer Republik lediglich, eine Grundschule einzuführen. Der Versuch, eine Einheitsschule von Jahrgang 1-8 einzuführen, scheiterte am Widerspruch der rechten Parteien. Diese verfolgten hartnäckig das Ziel, die gymnasiale Vorschule wieder einzuführen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten die Alliierten, eine einheitliche Schule einzuführen. Dieses Ziel wurde nur in der Sowjetischen Besatzungszone, der DDR, umgesetzt und fand in den Westzonen keine politische Unterstützung der großen Parteien.
- Sputnik-Schock und Gesamtschulgründungen
Mitte der 1960er Jahre unter dem Eindruck der „Bildungskatastrophe“ nach dem Sputnik-Schock öffnete sich ein Zeitfenster zur Errichtung von Gesamtschulen, mit denen das Ziel erreicht werden sollte, die Abiturquote zu erhöhen. Der Deutsche Bildungsrat traute den Gymnasien nicht zu, Kindern die Aufstiegsmöglichkeit zu gewähren, deren Eltern nicht zur klassischen Gymnasialklientel gehörten.
In den Bundesländern, in denen die SPD die Regierung stellte und über engagierte Kultusminister:innen verfügte, wurden Gesamtschulen zunächst als Versuchsschulen, dann als Angebotsschulen eingeführt. Engagierte Bildungswissenschaftler:innen, Lehrer:innen und Eltern fanden sich zu einer Gesamtschulbewegung zusammen, die auch in der GEW eine – durchaus nicht ungeteilte – Unterstützung fand. Diese Bildungsreformbewegung dachte, ihre Stunde, die Stunde der großen Schulreform sei gekommen.
- Kampf gegen Gesamtschulen in Landtagswahlkämpfen der CDU
Die CDU, die zunächst die Gesamtschulgründungen noch mitgetragen hatte, fand im Kampf gegen die Gesamtschule ein zentrales Motiv für die Landtagswahlkämpfe, das der Mobilisierung ihrer Anhängerschaft dienlich war. Die SPD geriet in die Defensive und wurde vor die Frage gestellt, welchen politischen Preis sie für die Unterstützung der Gesamtschulen zu zahlen bereit war. In einigen Ländern schritt die Etablierung der Gesamtschulen voran, in den klassischen Wechselländern wechselten Phasen der Stagnation und des Abbaus mit Phasen des erneuten Ausbaus.
- Bildungsaufstieg über Gymnasien, Realschulen, Berufliche Schulen
Auch wenn die Gesamtschulen z.B. in Hamburg und Nordrhein-Westfalen einen relativ hohen Anteil an Schüler:innen den Zugang zum Abitur ermöglichten, trat das Motiv für die Landtagspolitiker:innen, die Abiturquote über die Gesamtschulen zu erhöhen, in den Hintergrund. Die Ursache ist darin zu finden, dass die Gymnasien ausgebaut wurden und ihren Anteil an der Schülerschaft von fünf Prozent in den 1950er Jahren auf 30 bis 40 Prozent ab dem Jahr 2000 steigern konnten. Auch über das stark ausgeweitete Realschulangebot und das berufliche Schulwesen konnten mehr Kinder höherwertige Schulabschlüsse, bessere berufliche Entwicklungschancen und den Zugang zum Studium erreichen.
- Abkehr von Teilen der SPD und Grünen von der Gesamtschule
Innerhalb der Sozialdemokratischen Partei und den Grünen verstärkte sich die Diskussion, ob sich der politische Nachteil, der mit dem Eintreten für die Gesamtschulen verbunden zu sein schien, weiter in Kauf genommen werden sollte. Es begann die Suche nach einem „Schulfrieden“, der auch Koalitionsbildungen aller Fraktionen (SPD, CDU, Grüne, FDP) ermöglichen sollte. Das „Zwei-Säulen-Modell“ wurde ins Spiel gebracht. Innerhalb der SPD und der Grünen war diese Einschätzung allerdings nicht unumstritten. In einigen Bundesländern hielten sie am Status der Gesamtschule fest, ihr Ausbau in der Fläche wurde sogar beschleunigt. In NRW und Niedersachsen gewannen SPD und Grüne in der landespolitischen Auseinandersetzung mit der CDU in der Frage, ob Gesamtschulen zugelassen und flächendeckend eingerichtet werden.
- Die Krise der Hauptschule
Dazu kam die Krise der Schulform Hauptschule, die eine politische Lösung der Schulstrukturfrage erforderte. Diese Schulform wurde in den 1960er Jahren noch von 80 Prozent der Schüler:innen angewählt. Ihr Anteil sank rapide. Die von CDU-geführten Ministerien durchgeführten Programme zur „Stärkung der Hauptschule“ als Schule für die „Schwachen“ wirkten als paradoxe Intervention: Der Hauptschulanteil ging z.B. in Niedersachsen auf fünf Prozent zurück.
In einigen Bundesländern hatten sozialdemokratische Ministerien Haupt- und Realschulen mehr oder weniger integrativ zusammengelegt. Das geschah unter unterschiedlichen politischen Vorzeichen auch in einigen östlichen Bundesländern. Diesem Trend schlossen sich wiederum verschiedene westliche Länder an. Diese Zusammenlegungen wurden mit landeseigenen Bezeichnungen versehen (Regelschule, Regionalschule, Oberschule). In der Terminologie der KMK werden zusammengelegte Haupt- und Realschulen als „Schulen mit mehreren Bildungsgängen“ bezeichnet.
Die Krise der Hauptschule erreichte z.T. auch diese zusammengefassten HR-Schulen, insbesondere in den Gebieten der Bundesländer, in denen die Bevölkerungszahl zurückging. Schulträger begannen nach Möglichkeiten zu suchen, ihr Schulangebot in der Sekundarstufe zu stabilisieren.
Auch die Kollegien waren oft aktiv, um das regionale Schulangebot und die Bildungsmöglichkeiten für ihre Schüler:innen aufrechtzuerhalten und auch zu verbessern – sie setzten häufig auf mehr Integration ihrer Schulformen und auch auf die Einrichtung von Gesamtschulen bzw. von Gemeinschaftsschulen.