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Leitung in Bildungseinrichtungen

Zwischen Partizipation und Folklore

Das Machtverhältnis zwischen Hochschulrat und den gewählten Gremien der Hochschulen ist in Schieflage geraten. Zumindest in jenen Ländern, die eine „unternehmerische“ Variante bevorzugen. Ein Blick nach Thüringen, Bayern und Hessen.

Das Machtgefüge zwischen Hochschulleitung und dem Rest der Mitglieder der Hochschulen und Universitäten ist in Deutschland nach wie vor nicht im Gleichgewicht. (Foto: IMAGO/YAY Images)

Glückwünsche prasselten auf Prof. Paul Pauli von vielen Seiten ein. Als der Psychologe Anfang April zum neuen Präsidenten der Universität Würzburg gewählt wurde, gab es an seiner Eignung und Fachlichkeit keine Zweifel. Ein Haar in der Suppe gibt es dennoch zu finden: Wie viel demokratisches Verständnis prägt eine Hochschule, wenn deren Präsidentin oder Präsident von einem kleinen Zirkel – dem Hochschul-, auch Universitätsrat genannt – auserkoren wird?

„Das Machtverhältnis zwischen Hochschulrat und den gewählten Gremien der Hochschulen ist in Schieflage geraten.“ (Andreas Keller)

„Der Universitätsrat wählt den Präsidenten oder die Präsidentin und entscheidet über deren Abwahl, er beschließt die Grundordnung und deren Änderung, er beschließt über den Entwicklungsplan der Hochschule und hat viele weitere Aufgaben mehr. Wie in Artikel 26 des Bayerischen Hochschulgesetzes geregelt, gehören ihm die gewählten Mitglieder des Senats an sowie zehn Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur und insbesondere aus Wirtschaft und beruflicher Praxis.“ So steht es auf der Homepage der Uni.

Es regt sich Widerstand gegen die Machtfülle dieses Gremiums. Zu den Kritikern zählt auch Andreas Keller. Der stellvertretende GEW-Vorsitzende und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung sagt: „Das Machtverhältnis zwischen Hochschulrat und den gewählten Gremien der Hochschulen ist in Schieflage geraten.“ Mit Blick auf die mancherorts übliche beratende Funktion der Gremien urteilt er: „Das wirkt dann manchmal wie eine folkloristische Aufgabe.“

Mehr Demokratie in Thüringen

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Thüringen. Hier sieht das Landeshochschulgesetz seit 2018 vor, dass die Präsidentin oder der Präsident von der Hochschulversammlung mit der Mehrheit der Stimmen ihrer Mitglieder und zusätzlich mit der Mehrheit der Stimmen der Hochschullehrerinnen und -lehrer gewählt wird. Eine Findungskommission erstellt als Empfehlung für die Hochschulversammlung einen Wahlvorschlag, der mehrere Namen enthalten kann.

Als „ersten Schritt in Richtung von mehr Demokratie und Mitbestimmung für alle Gruppen“ wertet die GEW Thüringen die Festschreibung der Viertel- bzw. Drittelparität* in den Gremien durch die Landesregierung. Diese gilt immer dann, wenn es nicht um Angelegenheiten geht, die Lehre, künstlerische Entwicklungsvorhaben, Forschung und die Berufung von Hochschullehrerinnen und -lehrern betrifft.

Keller erinnert daran, dass Landeshochschulgesetze wie das bayerische die Gefahr bergen, dass über die Köpfe der Hochschulmitglieder hinweg entschieden werde. Dabei gehe es schließlich nicht nur um die Besetzung der Spitzenposition, sondern auch um Finanzfragen und die Ausrichtung der Hochschulen. Er ist überzeugt: „Eine paritätische Zusammensetzung führt zu mehr Lebendigkeit, eine einseitige führt oft zu Lähmung.“

Nächster Schritt in Richtung Entdemokratisierung

Dass das bisherige Prozedere auch im neuen Landeshochschulgesetz Bayerns verankert werden soll, kritisiert die dortige GEW. „Mit dem starken Fokus auf Unternehmertum treibt der Freistaat die Ökonomisierung der Wissenschaft weiter voran. In Zeiten chronisch unterfinanzierter Hochschulen gefährdet diese Entwicklung die Wissenschaftsfreiheit und stellt insbesondere für kleine Fächer sowie Geistes- und Sozialwissenschaften eine existenzielle Gefahr dar“, sagt Eduard Meusel, Sprecher der Landesfachgruppe Hochschule und Forschung.

Die Reaktion der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft auf den Gesetzentwurf darf als Bestätigung dieser Befürchtung gewertet werden. Sie freue sich, so teilte sie mit, dass „Unternehmergeist und Unternehmertum deutlich gefördert“ würden.

„Wir fordern eine Viertelparität in den Gremien und die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft in Bayern als wichtige Bausteine demokratischer Hochschulen.“ (Christiane Fuchs)

Darüber hinaus fürchtet die GEW, dass mit der gesetzlichen Freigabe zur Regelung der inneren Gremien- und Organisationsstruktur ein nächster Schritt in Richtung Entdemokratisierung der bayerischen Hochschullandschaft gegangen wird: „Das Hochschulinnovationsgesetz bringt eine weitere Schwächung der demokratischen Mitbestimmung an Unis mit sich. Wir fordern eine Viertelparität in den Gremien und die Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft in Bayern als wichtige Bausteine demokratischer Hochschulen“, kommentiert Christiane Fuchs vom Landesvorstand der GEW Bayern den Gesetzentwurf.

Keller setzt auf eine „optimale Mischung aus paritätischer Mitbestimmung und der Suche nach Kompromissen“. Ein Hochschulrat solle nicht „reinregieren“, sondern beraten. Und er dürfe nicht nur aus Unternehmern und Wissenschaftlern, sondern solle aus möglichst vielen gesellschaftlichen Gruppierungen, darunter auch Gewerkschaften, zusammengestellt sein.

Stillstand in Hessen

Derweil feilt auch Hessen an seinem neuen Hochschulgesetz. Bringt es Verbesserungen im Sinne von mehr Demokratie? Keller hat seine Zweifel. „Die Novellierung steht, was Governance an den Hochschulen angeht, für Stillstand. Die ursprünglich insbesondere vom grünen Koalitionspartner und seiner Wissenschaftsministerin in Aussicht gestellte Ausweitung der Mitbestimmung und Stärkung der gewählten Kollegialorgane fällt aus. Die Sonderstellung der Stiftungsuniversitäten Frankfurt am Main und Darmstadt mit ihren starken Hochschulräten bleibt erhalten“, sagt der GEW-Vize.

Erst kürzlich hatte der Hochschulrat der Frankfurter Goethe-Universität einen aussichtsreichen Kandidaten nicht zur Wahl zugelassen. „Der Landtag sollte den Gesetzentwurf daher noch einmal gegen den Strich bürsten und die akademische Selbstverwaltung und Mitbestimmung der Statusgruppen stärken“, fordert Keller.

*Drittelparität bedeutet, dass die universitären Gremien zu je einem Drittel mit Vertreterinnen und Vertretern der Hochschullehrkräfte, der Studierenden sowie der akademischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besetzt sind; bei der Viertelparität sind auch die Mitarbeitenden aus Technik und Verwaltung an der Mitbestimmung beteiligt.