Zum Inhalt springen

Coronapandemie

Zwiespältiges Fazit

Der DGB hat bei den Auszubildenden nachgefragt, wie sie den Lockdown erlebt und welche Erfahrungen sie mit den Lehrenden der Teilzeitberufsschule gemacht haben. Der Corona-Ausbildungsreport liefert überraschende Einsichten.

Die Corona-Pandemie hat auch viele Berufsschulen in den Fernunterricht gezwungen. Die Krise hat allerdings auch hier zu einem Digitalisierungsschub geführt. (Foto: IMAGO/Michael Weber)

„Für viele der fast 1,3 Millionen Auszubildenden in Deutschland bedeuteten die pandemiebedingten Einschränkungen von heute auf morgen: Homeschooling statt Berufsschule und Homeoffice statt Werkbank. Eine reguläre und gute Berufsausbildung hatten viele unter diesen Bedingungen nicht“, erläutert Joscha Wagner, DGB-Jugendsekretär. Die Corona-Pandemie habe „junge Menschen in erheblichem Maße belastet“, davon berichten 72 Prozent der Auszubildenden. Auch Zukunftsängste plagen sie: Mehr als ein Drittel der Befragten sorgt sich, die Ausbildung nicht erfolgreich abschließen zu können.

Der DGB wollte von 1.035 Auszubildenden wissen, wie sie die Berufsschulen während der Lockdowns erlebt haben. 95 Prozent der Schülerinnen und Schüler waren im Homeschooling bzw. Distanzunterricht. Ihr Fazit fällt zwiespältig aus: Mit der fachlichen Qualität ist mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent) nicht so richtig zufrieden. Komplett anders ist das Urteil zum pädagogischen Personal: Knapp 70 Prozent der Auszubildenden loben, dass die Lehrenden „immer“ oder „häufig“ als Ansprechpartner zur Verfügung standen.

„Auf spontane Veränderungen sind wir eigentlich nicht vorbereitet. Die Herausforderung war, einerseits den Unterricht irgendwie aufrechtzuerhalten und parallel auf die digitalen Möglichkeiten umzustellen.“ (Martin Neumann)

Auch für Martin Neumann, Schulleiter der BS 04 Berufliche Schule Stahl und Maschinenbau in Hamburg-Hohenfelde, steht fest, dass der Distanzunterricht in Summe geklappt habe, dies würden auch die unverändert guten Prüfungsergebnisse zeigen: „Die größte Schwierigkeit lag darin, dass wir von einem Tag auf den anderen auf digitales Lernen umstellen mussten, also von technischen Kommunikationssystemenabhängig waren.“ Und das alles im System Schule – das eher träge sei. „Auf spontane Veränderungen sind wir eigentlich nicht vorbereitet. Die Herausforderung war, einerseits den Unterricht irgendwie aufrechtzuerhalten und parallel auf die digitalen Möglichkeiten umzustellen.“

Prof. Franz Kaiser, Berufspädagoge an der Universität Rostock, stellt fest, dass die Lehrkräfte die „Säulen in der Brandung in der Corona-Zeit für die Azubis“ waren. Insbesondere dann, wenn diese nicht in den Betrieb konnten oder wenig Kontakt zu den Ausbilderinnen und Ausbildern hatten.

Mentalitätswandel

Ob es gut lief, hing allerdings stark davon ab, ob die Pädagoginnen und Pädagogen bereit waren, auch private Technik zu nutzen, also ihr eigenes Handy, ihr privates Notebook, ihren privaten PC oder ihr Festnetz. „Lehrkräfte haben den Ausnahmezustand akzeptiert und gehandelt. Jenseits von Verordnungen sorgten sie für einen funktionierenden Schulbetrieb“, sagt Kaiser. Dabei habe es Unterschiede gegeben: „Manchmal kamen Aufgabenblätter per Mail, ein anderes Mal gab es Video-Chats mit den Lehrkräften.“

Für Ralf Becker, GEW-Vorstandsmitglied Berufliche Bildung und Weiterbildung, spiegelt sich hierin auch ein deutlicher Mentalitätswandel: „Die Kolleginnen und Kollegen sagen inzwischen: Wir wollen die Digitalisierung für den Unterricht nutzen, wir arbeiten gerne mit diesen Formaten. Viele sind richtig begeistert und motiviert. Das war vor 18 Monaten noch anders. Da hat sich viel getan im Bewusstsein der Lehrenden. Das gilt übrigens auch für ältere Semester.“

„Berufsschülerinnen und -schüler brauchen den Kontakt und die Auseinandersetzung mit anderen Lernenden und den Lehrenden.“ (Ralf Becker)

Ob Distanzunterricht in der Nach-Corona-Zeit noch eine Rolle spielen wird? Becker ist da eher skeptisch. „Unterricht in Präsenz ist eingeübt, effektiver und hat eine bessere fachliche Qualität als Fernunterricht.  a stehen wir ja noch am Anfang. Es fehlt einfach die Medienvielfalt, die in den Berufsschulen vorhanden ist.“ Distanzunterricht sei für schwächere Schülerinnen und Schüler nicht geeignet. „Die holen wir damit nicht ab, die verlieren wir“, meint Becker. Das sei in der Berufsschule nicht anders als in anderen Bildungsbereichen. „Berufsschülerinnen und -schüler brauchen den Kontakt und die Auseinandersetzung mit anderen Lernenden und den Lehrenden.“

Das sieht Pädagogik-Professor Kaiser genauso: „Was fehlt, sind die informellen Gespräche – die sind aber extrem wichtig.“ Viele Fragen gingen an die Mit-Azubis: Wie macht ihr das bei euch im Betrieb? „Dieser betriebsübergreifende Wissensaustausch macht Lernen in der Berufsschule so lebendig.“

Die Richtschnur für die Maßnahmen in der Schule sollen nach Ansicht der GEW die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts sein. Dafür schlägt die GEW ein Fünf-Punkte-Programm vor:

5-Punkte-Programm zum Gesundheitsschutz an Schulen
Ab der 5. Klasse muss das gesellschaftliche Abstandsgebot von 1,5 Metern gelten. Dafür müssen Klassen geteilt und zusätzliche Räume beispielsweise in Jugendherbergen gemietet werden.
Um die Schulräume regelmäßig zu lüften, gilt das Lüftungskonzept des Umweltbundesamtes. Können die Vorgaben nicht umgesetzt werden, müssen sofort entsprechende Filteranlagen eingebaut werden.
Die Anschaffung digitaler Endgeräte für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler muss endlich beschleunigt werden. Flächendeckend müssen eine datenschutzkonforme digitale Infrastruktur geschaffen und IT-Systemadministratoren eingestellt werden. Zudem müssen die Länder Sofortmaßnahmen zur digitalen Fortbildung der Lehrkräfte anbieten.
Für die Arbeitsplätze in den Schulen müssen Gefährdungsanalysen erstellt werden, um Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler besser zu schützen.
Transparenz schaffen: Kultusministerien und Kultusministerkonferenz müssen zügig ihre Planungen umsetzen, wöchentlich Statistiken auf Bundes-, Landes- und Schulebene über die Zahl der infizierten sowie der in Quarantäne geschickten Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler zu veröffentlichen. „Wir brauchen eine realistische Datenbasis, um vor Ort über konkrete Maßnahme zu entscheiden“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. 

Übersicht: Alles, was sich an Bildungseinrichtungen mit Blick auf den Gesundheitsschutz in Corona-Zeiten ändern muss.