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Zwei Jahre danach: Freihandelsabkommen EU - Kolumbien

TTIP, CETA und TiSA haben die politische und soziale Bedeutung des Freihandels in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Es gelingt den Regierenden offensichtlich nicht mehr, internationale Abkommen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzusetzen. Genau das hatte man vor zwei Jahren mit dem Freihandelsabkommen EU – Kolumbien versucht.

Fotos: Manfred Brinkmann

Gewerkschaften – darunter auch die GEW – und zahlreiche Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen hatten seinerzeit gemeinsam mit ihren kolumbianischen Partnern eine öffentliche Diskussion zu dem Freihandelsabkommen erzwungen. Im Dezember 2012 hatte das Europäische Parlament dem Abkommen zwischen der EU, Kolumbien und Peru dennoch zugestimmt, ab 1.8.2013 ist der Kolumbien betreffende Teil vorläufig – wegen noch ausstehender Ratifizierung durch nationale Parlamente – in Kraft gesetzt worden.

Aber immerhin: angesichts der massiven Kritik hatte Kolumbiens Regierung sich zu einem Maßnahmenkatalog („Road Map“) zu Menschen- und Gewerkschaftsrechten sowie Umweltstandards verpflichtet, um die Zustimmung des Europäischen Parlaments zu erleichtern. Gut zwei Jahre später ist es an der Zeit, eine erste Bilanz zu den Auswirkungen des Freihandelsabkommens zu ziehen.

Kritik kolumbianischer Gewerkschaften am Freihandelsabkommen

So besuchten eine Vertreterin des kolumbianischen Gewerkschaftsdachverbands CUT, Ligia Ines Alzate, und Enrique Daza vom kolumbianischen Aktionsbündnis gegen das Freihandelsabkommen RECALCA Anfang März Berlin. Sie berichteten gegenüber Abgeordneten des Bundestages, dem DGB und Vertretern der beteiligten NGOs über die aktuelle Situation in Kolumbien.

Generell hat das Abkommen bisher wenig positive Auswirkungen. Es ordnet sich ein in die jahrzehntelange neoliberale kolumbianische Regierungspolitik und bestärkt deren unbeirrte Fortsetzung. Damit entspricht die Entwicklung in Kolumbien internationalen Trends: Freihandelsabkommen erschweren alternative Wirtschaftspolitik der Staaten, weil sie zu einem Liberalisierungswettlauf nach unten um die geringsten Löhne, geringste Regulierung und geringste Umweltstandards führen. Wie das Beispiel Mexiko schon im Rahmen des Freihandelsabkommen NAFTA mit den USA zeigte, werden Zusatzvereinbarungen zu sozialen und arbeitsrechtlichen Themen nicht einmal dann umgesetzt, wenn die Vereinigten Staaten der Vertragspartner sind.

Zunehmende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse

Dabei zeichnet sich ab, dass Investitionen weitgehend ausgeblieben sind, mit Ausnahme des Bergbaus – mit erheblichen negativen Umweltauswirkungen. Der Freihandel hat zu einer negativen Handelsbilanz geführt. Kolumbien als schwächerer Partner ist der US–amerikanischen und europäischen hoch subventionierten Konkurrenz gerade im Agrarsektor nicht gewachsen
Der international feststellbare Trend zur Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse wirkt auch auf vermehrt auf Kolumbien, wobei der Einfluss der Freihandelsabkommen noch nicht konkret beziffert werden kann. Die Entwicklung in dem Andenland geht aber über diesen internationalen Trend hinaus, da Kolumbien eine langfristig angelegte Strategie verfolgt:

• Erzielung von Wettbewerbsvorteilen durch niedrige Löhne und prekäre Arbeitsverhältnisse
• Förderung informeller anstelle regulärer Beschäftigung
• Schwächung der Gewerkschaften
• Nichtanwendung der auf dem Papier existierenden hohen arbeitsrechtlichen Normen
• Geringe öffentliche Investitionen z.B. in die Infrastruktur
• Kein ernsthafter zivilgesellschaftlicher Dialog – allenfalls Regierung mit Unternehmern, nicht aber mit Gewerkschaften und anderen Gruppen der Zivilgesellschaft

Gewerkschaften sind geschwächt

Der Erfolg der Strategie seit dem Ende der 80ger Jahre lässt sich am extremen Rückgang der Zahl der Gewerkschaftsmitglieder und am niedrigen Organisationsgrad bei den abhängig Beschäftigten erkennen. Der größte kolumbianische Gewerkschaftsbund CUT zählt heute noch 550.000 Mitglieder, alle drei kolumbianischen Gewerkschaftsbünde kommen zusammen auf nur noch 856.000 Mitglieder.
Der Rückgang bei der Zahl der Gewerkschaftsmitglieder spiegelt zwar auch einen internationalen Trend wieder, ist aber in Kolumbien viel ausgeprägter: Jahrzehnte massiver Einschüchterung und Gewalt bis hin zu über 3.000 Morden durch paramilitärische Organisationen unter Duldung bzw. Förderung durch den Staat haben ihre Wirkung gezeigt. Die Gewerkschaften sind geschwächt, was sich auch bei der fehlenden Mobilisierung sozialer Bewegungen für eine andere Politik bemerkbar macht.

Das Freihandelsabkommen hat an dieser langfristigen Entwicklung nichts geändert. Bedrohungen und Gewalt gegen Gewerkschafter haben zwar formal nachgelassen, aber die paramilitärischen Strukturen bestehen weiter, ebenso die Straflosigkeit gegenüber den Taten und Tätern. Es ist nicht zu erkennen, dass die sozialen und arbeitsrechtlichen Zusatzverpflichtungen eingehalten werden, die Kolumbien im Zuge des Ratifizierungsprozesses im Europäischen Parlament eingegangen ist. Als positives Element ist nur der eingeleitete Friedensprozess zu nennen, mit dem die kolumbianische Regierung auch oppositionelle gesellschaftliche Gruppen auf ihre Seite zu ziehen versucht.

Internationaler Druck muss aufrechterhalten werden

Mit dem Freihandelsabkommen hat sich jedoch eine Internationalisierung der kolumbianischen sozialen Konflikte vollzogen. Die kolumbianische Regierung reagiert zwar nicht auf Forderungen der einheimischen Opposition, aber auf internationalen Druck. Schließlich befinden sich dort die Abnehmer der kolumbianischen Produkte und die Regierung ist deshalb auf Imagepflege bedacht.
Aus diesem Grund muss der internationale Druck in Fragen der Menschen- und Gewerkschaftsrechte sowie der Umweltstandards genauso aufrechterhalten werden wie die politische Mobilisierung in Kolumbien selbst. Dies gilt insbesondere bei der Überwachung der Einhaltung der Verpflichtungen, die Kolumbien in der sog. „Road Map“ für Menschen- und Gewerkschaftsrechte, soziale (Arbeits-)Bedingungen und Umweltstandards im Freihandelsabkommen eingegangen ist.

Ebenso müssen die angeblichen positiven Auswirkungen des Freihandelsabkommens weiterhin kritisch überwacht werden. Dazu ist die Fortsetzung der Zusammenarbeit von Gewerkschaften, NGOs und politischen Parteien, die dem Marktradikalismus kritisch gegenüberstehen, in Europa und Kolumbien notwendig. Die in der „Road Map“ ausformulierten Versprechungen müssen in einer Auflistung den tatsächlich erfolgten Schritten gegenübergestellt und damit die Defizite öffentlichkeitswirksam sichtbar gemacht werden.

Eine große Delegation von ParlamentarierInnen sowie von VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften sol 2016 als alternative Beobachtergruppe Kolumbien besuchen, um die Umsetzung der „Road Map“ zu überprüfen und die Ergebnisse zu dokumentieren.

Diese Ergebnisse würden eine politische Bedeutung haben, die weit über Kolumbien hinausreicht. Können die sozialen und ökologischen Folgen einer marktradikalen Deregulierungspolitik, wie sie Freihandelsabkommen implizieren, durch Zusatzvereinbarungen abgefedert werden? Sollte es schon gegenüber einem politisch und wirtschaftlich schwachen Partner wie Kolumbien nicht gelingen, vereinbarte soziale und ökologische Standards auch in der Realität durchzusetzen und die Außerkraftsetzung demokratischer Politik zu verhindern – wie kann man dann erwarten, dass dies bei TTIP gegenüber einem Partner wie den USA gelingen könnte?