Arbeitszeit
Zuschläge für Überstunden auch für Teilzeitkräfte
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat Ende 2024 die Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter in vielen Tarifverträgen moniert und entschieden, dass diesen Beschäftigten Überstundenzuschläge zustehen. Jetzt liegt die schriftliche Urteilsbegründung vor.
Arbeitgeber nutzen Teilzeitbeschäftigung oft als günstige Möglichkeit, die Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zugunsten des Betriebes flexibel zu gestalten. Denn viele Tarifverträge enthalten Regelungen, nach denen Überstundenzuschläge erst nach Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit Vollzeitbeschäftigter anfallen. Teilzeitbeschäftigte können bei Bedarf also bis zum Umfang einer Vollzeitbeschäftigung eingesetzt werden, ohne dass der Arbeitgeber dafür Zuschläge zahlen muss. Ist weniger zu tun, fallen sie auf den vereinbarten Umfang der Teilzeitarbeit zurück.
In einer wegweisenden Entscheidung hat das BAG dem nun einen Riegel vorgeschoben. Es hat klargestellt, dass Tarifregelungen, nach denen Teilzeitbeschäftigten Zuschläge für Mehrarbeit erst beim Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten zustehen (BAG, 05.12.2024, 8 AZR 370/20), Teilzeitbeschäftigte diskriminiert und daher unzulässig sind. Geklagt hatte eine teilzeitbeschäftigte Pflegekraft.
Das Urteil betrifft eine große Zahl Tarifverträge, darunter auch die für den öffentlichen Dienst. Denn diese beinhalten Regelungen, nach denen Mehrarbeit in Teilzeit bis zum Erreichen der Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten von den Überstundenzuschlägen ausgenommen ist.
Bundesarbeitsgericht schließt sich EuGH-Urteil an
Mit seinem Urteil setzt das BAG die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) um. Bereits im Juli 2024 hatte der EuGH festgestellt (EuGH C-184/22 und C-185/22), dass Teilzeitbeschäftigte in den vorgelegten Fällen aufgrund ihres Geschlechts durch diese tarifvertragliche Regelung diskriminiert werden. Da die vom Tarifvertrag betroffenen Teilzeitbeschäftigten überwiegend Frauen sind, sah der EuGH in der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Dem schloss sich das BAG in seiner Entscheidung an. In den Leitsätzen der Entscheidung heißt es: „Eine tarifvertragliche Regelung, die für das Verdienen von Überstundenzuschlägen auch bei Teilzeitarbeit das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmers voraussetzt, behandelt in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer wegen der Teilzeit schlechter als vergleichbare Vollzeitarbeitnehmer. Sie verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung von in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmern nach Paragraf 4 Abs. 1 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz, Anm. d. Red.), wenn es an sachlichen Gründen für die Ungleichbehandlung fehlt.
Liegen sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung nicht vor, bewirkt eine solche tarifvertragliche Regelung zugleich eine gegen Paragraf 7 Abs. 1 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Anm. d. Red.) verstoßende mittelbare Benachteiligung weiblicher Arbeitnehmer wegen des Geschlechts, wenn innerhalb der Gruppe der in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmer signifikant mehr Frauen als Männer vertreten sind.“
Der teilzeitbeschäftigten Klägerin steht nach der Entscheidung des BAG eine Stundengutschrift in Höhe der Überstundenzuschläge zu, und sie hat Anspruch auf eine geringfügige Entschädigung aufgrund der Diskriminierung.
Folgen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst
Das Urteil hat nach Einschätzung der GEW auch Folgen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Zwar befand das BAG in einem Urteil aus dem Jahr 2021 (6 AZR 253/19), dass Teilzeitbeschäftigte durch die Mehrarbeitsregelung im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen (TVöD) nicht ungleich behandelt würden, da es bereits an einer Vergleichbarkeit von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten fehle. Doch gegen diese Entscheidung ist eine Verfassungsbeschwerde beim BAG anhängig (1 BvR 1198/22). So findet sich dieselbe Regelung auch im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und im Tarifvertrag für das Land Hessen (TV-H) wieder.
Nach Einschätzung der GEW sind auch diese Regelungen im Lichte der jüngsten Entscheidung des BAG neu zu bewerten und verstoßen voraussichtlich ebenfalls gegen Unionsrecht. Für verbeamtete Lehrkräfte gelten allerdings die beamtenrechtlichen Arbeitszeitregelungen, sodass das Urteil auf sie nicht direkt anzuwenden ist.
Gemeinsam mit der verhandlungsführenden Gewerkschaft ver.di hat die GEW schon in der Vergangenheit mehrfach gefordert, diese diskriminierende Regelung aus den Tarifverträgen für den öffentlichen Dienst zu streichen. Dies war auch eine Forderung in der gerade abgeschlossenen Tarifrunde zwischen den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und den Arbeitgebern in Bund und Kommunen. Doch die Arbeitgeber haben erneut die Chance verpasst, das Problem sozialpartnerschaftlich zu lösen und die diskriminierende Regelung aus dem Tarifvertrag zu entfernen. Sie wollen es auf eine Klage ankommen lassen. Betroffene GEW-Mitglieder erhalten weitere Informationen und Beratung in ihrer GEW-Landesrechtsschutzstelle.