Auch am letzten Tag des Weltkongresses standen noch immer zahlreiche Anträge und dringliche Resolutionen zur Beratung an. Früh zeichnete sich jedoch ab, dass es nicht möglich sein würde, alle Anträge abschließend zu behandeln. Noch nie in der Vergangenheit hatte ein Weltkongress der Bildungsinternationale ein so umfangreiches Arbeitsprogramm zu bewältigen. Hinter den Kulissen war die Antragberatungskommission in den vergangenen fünf Kongresstagen intensiv darum bemüht, die regulären 48 Anträge und etwa 150 Änderungs- und Ergänzungsanträge inhaltlich zu konsolidieren und zusammenzufassen, um den Delegierten so die Beratung und Entscheidungsfindung zu erleichtern. Besonders heftig wurde um die Anträge zu Israel und Palästina gerungen, die vom BI-Vorstand und verschiedenen Gewerkschaften aus Großbritannien und Südafrika eingebracht worden waren.
Nicht nur der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne hatte sich um eine Vermittlung der verschiedenen Positionen bemüht. Am Ende stand ein Kompromiss, der sowohl mit der israelischen Gewerkschaft Histadrut Hamorim wie auch der palästinensischen GUPT abgestimmt war. Darin wird das Existenzrecht Israels wie auch eines eigenständigen palästinensischen Staates anerkannt. Israel wird zudem aufgefordert, die Blockade des Gazastreifens zu beenden und die illegalen Siedlungen im Westjordanland zu räumen. Kritisiert wird in dem Antrag außerdem die Praxis Israels, jugendliche Palästinenser ohne vorherige Information ihrer Eltern zu verhaften und vor israelischen Gerichten zu Gefängnisstrafen zu verurteilen. Die britische NUT und die südafrikanische SADTU zogen daraufhin ihre ursprünglichen Anträge zurück, nicht ohne zu betonen, dass man eine schärfere Verurteilung Israels und internationale Sanktionen vorgezogen hätte. Einmütig verliefen demgegenüber die Beratungen zum Antrag gegen Kinderarbeit, der von der GEW gemeinsam mit ihrer niederländischen Partnergewerkschaft AOb eingebracht worden war. Mehrere Redner aus Marokko, den USA, Frankreich und dem Senegal unterstützten das Ansinnen des Antrags und betonten, dass die Überwindung von Kinderarbeit eine gewerkschaftliche Aufgabe und notwendige Vorraussetzung zur Verwirklichung des Millenniumsziels ‚Bildung für alle’ sei. Der Antrag wurde schließlich von den Delegierten einstimmig angenommen. Nicht mehr zur Beratung kamen zwei Anträge der AOb und der dänischen DLF, die eine Überprüfung der existierenden Strukturen der Bildungsinternationale mit dem Ziel größerer Transparenz und Partizipation forderten. Über diesen und weitere Anträge wird daher der neue Vorstand der Bildungsinternationale entscheiden müssen.
Am Rande des letzten Kongresstages nutzte der GEW Vorsitzende Ulrich Thöne die Gelegenheit zu einem Treffen mit dem Generalsekretär der neuen, unabhängigen ägyptischen Lehrergewerkschaft ISTT, Ashrf El Hefny, an dem auch ein Vertreter der dänischen DLF teilnahm. „Die Revolution in Ägypten ist noch lange nicht beendet“, berichtete El Hefny. Die ISTT wurde im letzten Jahr gegründet und ist seit März 2011 Mitglied der Bildungsinternationale. Sie sei jetzt mit der doppelten Herausforderung konfrontiert, gleichzeitig die neue Gewerkschaft und eine demokratische Gesellschaft in Ägypten aufzubauen. Im Oktober diesen Jahres soll in Kairo ein Workshop zur Zukunft der ISTT stattfinden, zu dem auch GEW und DLF eingeladen sind. GEW und DLF sicherten El Hefny ihre Unterstützung zu und luden die ISTT zu Besuchen nach Deutschland und Dänemark ein. Zum Abschluss des Kongresses konnten die Delegierten sich noch einmal an der Vielfalt südafrikanischer Kultur und Musik erfreuen. Jugendliche Südafrikaner boten ein buntes Finale mit Tanz und Perkussion, das die Kongressteilnehmern mit stehendem Applaus honorierten. Unmittelbar im Anschluss daran hatte die GEW Vertreter der beiden polnischen Gewerkschaften Solidarnosc und ZNP, der israelischen Histadrut Hamorim und der deutschen Beamtenbundorganisation VBE zum Mittagessen eingeladen, um mit ihnen über eine gemeinsame Holocaust-Gedenkveranstaltung im nächsten Jahr in Polen zu sprechen. Bereits in den Jahren 2008 und 2010 hatten auf Initiative der GEW aus Anlass des internationalen Holocaustgedenktags am 27. Januar gewerkschaftliche Veranstaltungen in Krakau und Auschwitz stattgefunden. Auch im kommenden Jahr wollen die Gewerkschaften aus den Ländern der Opfer und Täter wieder ein gemeinsames Gedenken an den Holocaust vorbereiten und dann insbesondere junge Gewerkschaftsfunktionäre für die Teilnahme ansprechen.
Abschließend bleibt festzustellen, dass die Bilanz des sechsten Weltkongresses der Bildungsinternationale aus Sicht der GEW gemischt ist. Inhaltlich waren wir in allen Punkten erfolgreich, in denen die GEW sich aktiv einbringen konnte: Ablehnung von Studiengebühren ohne wenn und aber, Klimaschutz nur durch regenerative Energien und ohne Atomkraft, Kampf gegen Kinderarbeit als notwendige Vorraussetzung zur Verwirklichung des Millenniumsziels ‚Bildung für alle“. Auch konnten wir in zahlreichen Gesprächen am Rande des Kongresses unsere bilateralen Beziehungen mit Gewerkschaften aus Südafrika, Ägypten, Palästina, Israel, der Türkei, Großbritannien, Frankreich, Polen, Kolumbien und den USA vertiefen und Verabredungen für die weitere Zusammenarbeit treffen. Bitter ist allerdings, dass die GEW als Gründungsmitglied der Bildungsinternationale im neuen Vorstand nicht mehr vertreten sein wird. Ursache war die fehlende Unterstützung der großen amerikanischen Gewerkschaft NEA, die allein über zwanzig Prozent der Stimmen beim BI-Kongress verfügt, sowie mehrerer britischer und skandinavischer Gewerkschaften. Die Gründe dafür müssen noch sorgfältig analysiert werden. Trotz dieser Niederlage wird sich die GEW auch weiterhin international für gute Bildung für alle und für Menschen- und Gewerkschaftsrechte engagieren.