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Krise der Demokratie

Zukunft als Katastrophe?

Dass sich Heranwachsende Sorgen um ihre Zukunft machen, wird verstärkt durch Stimmungen aus ihrem persönlichen Umfeld, auf die sie reagieren. In Verantwortung für Kinder und Jugendliche steht die Schule vor großen Herausforderungen.

Es ist ein Vorzug westlicher Demokratie, dass Kritik am Bestehenden – selbst im Grundsätzlichen – möglich ist. Dass wir in einer Klassengesellschaft leben, in der einer Minderheit von Superreichen eine wachsende Zahl von Menschen gegenübersteht, die in prekären Verhältnissen lebt – das pfeifen die Spatzen von den Dächern. Und an das Wort Krise ist man schon gewöhnt.

Jetzt haben wir die Corona-Krise, eine neue Finanzkrise scheint nicht weit, die geopolitische Krise hat sich mit dem Krieg in der Ukraine zugespitzt. Die Klimakrise bleibt uns allemal. Wird es aus all dem einen Ausweg geben? Was sind die Folgen, wenn die Demokratie in einer Vertrauenskrise steckt? Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt: Weniger als die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist zufrieden mit Regierung, Staat und Politik. Und laut Körber-Stiftung hat ein Drittel der Menschen in die Demokratie wenig oder gar kein Vertrauen. „Wir spüren, nach zwei Jahren macht sich Frust breit, Gereiztheit, Entfremdung und leider auch offene Aggression.“ Das bezog Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Weihnachtsansprache 2021 auf Covid-19, doch reicht die Einschätzung weit darüber hinaus.

Kinder nehmen ihre Umwelt sensibler wahr, als Erwachsene oft meinen.

Ressentiment wurzelt in Entfremdung. Und die trifft vor allem jene, für die sich das rechtliche Gleichheitsversprechen in der ökonomischen Realität nicht erfüllt. Aber nicht nur sie allein, sondern auch andere Gesellschaftsschichten reagieren, von Ängsten bedroht gerade in diesen Zeiten, mit Groll auf die Abgehobenheit der politischen Kaste und überhaupt auf ein Staatswesen, das sie immer weniger durchschauen. Wobei mögliche Protestpotenziale (bislang) nicht systembedrohend scheinen. In ihren Zielrichtungen zersplittert, bergen sie indes die Gefahr einer „Feindseligkeit aller gegen alle“, wie der Kultur- und Medienwissenschaftler Joseph Vogl in seinem Band „Kapital und Ressentiment“ feststellt.

Von all dem können Heranwachsende nicht unberührt bleiben. Kinder nehmen ihre Umwelt sensibler wahr, als Erwachsene oft meinen. Von Geburt an ist es existenziell für sie, sich darauf einzustellen. Nicht alle bekommen aus ihren Elternhäusern jenes Grundvertrauen mit, das ihnen auch später Halt geben kann. Dass sie die Zukunft vor sich hätten, sagt man gern. Da müssen sie sich fragen: Was für eine Zukunft wird das sein?

Aufregungsproduktion ist profitabel

Das wirkmächtige Narrativ einer Klimakatastrophe kann Kinder um ihr Leben fürchten lassen, und es treibt einen Keil zwischen die Generationen. Wer anders soll denn schuld sein als „die Erwachsenen“? Worüber zudem in der Öffentlichkeit zu wenig gesprochen wird: Viele Länder sind inzwischen so hochgerüstet, dass im Ernstfall alle Bemühungen um Umwelt- und Klimaschutz zunichte würden. Aber an Waffenlieferungen wird verdient und an Umwelttechnologien ebenso.

Andere und gefährlichere Viren, die von Tieren auf Menschen übergehen? Oder Bedrohungen, die wir überhaupt noch nicht kennen? „Unsere Gegenwart gefällt sich darin, Zukunft als Katastrophe zu denken, in Kino, Wissenschaft und Literatur“, heißt es im Buch „Zukunft als Katastrophe“ von Eva Horn. Detailliert untersucht wird darin, wie die Unterhaltungsindustrie von realen oder imaginären Ängsten lebt. Derlei Filme und Videospiele sind schon inflationär. Sie faszinieren auch Heranwachsende, weil sie Spannung in den Alltag bringen und Ängste ins Fiktive heben.

Aufregungsproduktion ist profitabel – überall, wo geistige Produkte zu verkaufen sind. Befürchtungen bezüglich der Zukunft sind nicht grundlos, aber es gibt eben auch Gründe, warum sie genährt werden. Zukunft als Katastrophe? Was ist Realität und was Gespenst? Auch Lehrende nehmen mit in ihre Klassen, was sie im Alltag bedrückt. Dies als Alarmismus weiterzugeben, wäre fatal. Wie aber findet man zu Gelassenheit?

Schule kann Hilfestellung geben

Auch brisante gesellschaftliche Probleme gehören in den Unterricht – aber nicht, indem man sie aufdrängt, sondern indem man unterstützend auf Fragen eingeht. Schule als Ort der Ermächtigung. Wissen gegen die Ohnmacht. Mit den Lehrenden beginnt es, ihrem Durchblick, was gesellschaftliche Verhältnisse und globale Herausforderungen betrifft. Da sind die Gesellschaftswissenschaften viel weiter als der öffentliche Diskurs, allerdings oft in abgehobener Sprache verfasst. Zu empfehlen sind Publikationen von Andreas Reckwitz, aber auch die Bundeszentrale für politische Bildung bietet Bemerkenswertes.

Erwachsene müssen sich nicht als allwissend darstellen. Doch Heranwachsende merken wohl, ob sie selbstständig, integer sind. Genau diese Selbstständigkeit, diese Integrität brauchen sie ja selbst, um angesichts künftiger Herausforderungen Resilienz zu entwickeln. Wenn nicht Gefahren, so hält die Zukunft doch womöglich manche Enttäuschung bereit. Um Leistung zu stimulieren, werden Aufstiegswünsche geweckt, die für manche auch trügerisch sein können. Wird mein Wert nach meinem Job bemessen? Das wäre ein Thema für sich. Kindern und Jugendlichen inneren Halt zu vermitteln, darf gegenüber konkreten Bildungsinhalten nicht zu kurz kommen.

Spaltung der Gesellschaft, Krise der Demokratie – die Schule kann Probleme nicht lösen, aber der Erkenntnis Hilfestellung geben, auf Zusammenhänge verweisen, auch auf das Widersprüchliche, das zur Realität gehört. Sie sollte ein Ort der Verständigung sein, um in bewusster Distanz zu verbreiteter Affektkommunikation in den sozialen Medien einer Radikalisierung entgegenzuwirken und den Umgang mit fremden Meinungen zu üben. Ein Ort des Nachdenkens über persönliche Verantwortung und schwindendes Gemeinschaftsgefühl – über Menschlichkeit und den Sinn des Lebens. Mit derlei Fragen nicht allein zu bleiben, wäre auch für viele Erwachsene wichtig. Aber die bekommt man nicht auf die Schulbank.  

Die Autorin hat in der DDR den Beruf der Diplom-Lehrerin für -Russisch und Englisch erlernt; anschließend war sie bis zum Ruhestand vor wenigen Jahren Literaturredakteurin der Tageszeitung „neues deutschland“.