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Schulen im Kosovo

Zu wenige Handwerker

20 Jahre nach Ende des Unabhängigkeitskrieges gilt der Aufbau des neuen Schulsystems im Kosovo als abgeschlossen. Doch Licht und Schatten prägen das Bild. Probleme macht dem jüngsten Land Europas vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit.

An der Nazim-Gafurri-Schule im Kosovo lernen 1.150 Schülerinnen und Schüler. Fotos: Luis Anoush Nouri

Es gibt viele Schulen im Kosovo. Die Nazim-Gafurri-Schule in einem Außenbezirk von Pristina ist eine von ihnen – und doch eine besondere. Stolz verweist Schulleiterin Ardianë Makolli auf die im Foyer aufgebauten Klassenarbeiten. Aus verschiedensten Abfallmaterialien wie Kronkorken, Verpackungen, Plastikverschlüssen haben die Schülerinnen und Schüler kleine Dioramen gebastelt – ihre Visionen eines schöneren Lebensumfeldes. In einem kosovoweiten Wettbewerb hat die neunklassige Schule damit den ersten Preis geholt. „Das Geld werden wir dafür verwenden“, so Makolli, „den Schulhof weiter zu begrünen.“

Die Schule tut sich nicht das erste Mal hervor. Möglich macht das die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten: Lehrkräfte, Schulleitung, Eltern, Schulamt – und nicht zuletzt der Schülerinnen und Schüler. Auch deshalb hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) die Schule als eine von 20 in ihr Programm „Champion-Schulen“ aufgenommen. Die GIZ verfolgt seit Anfang des Jahres eine neue Strategie. In den vergangenen zehn Jahren hatte sie sich darauf konzentriert, das Ministerium zu unterstützen sowie Lehrkräfte und Direktoren fortzubilden. „Um nachhaltige Resultate zu bekommen, wollen wir künftig alle zentralen Akteure einer Schule, darunter natürlich auch die Lehrkräfte, weiterqualifizieren“, sagt Boris Scharlowski, der das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geförderte Programm verantwortet. 

Unterricht im Schichtbetrieb

60 Lehrerinnen und Lehrer unterrichten 1.150 Kinder und Jugendliche – gelernt wird im Schichtbetrieb: vormittags die Großen, nachmittags die Kleinen. Eine erhebliche Verbesserung: Vor zehn Jahren hatte die Schule noch 3.000 Schülerinnen und Schüler. Der 1983 erbauten Schule sieht man das Alter nicht an. Alles wirkt sauber, aufgeräumt, modern. Graffiti an den Wänden? Fehlanzeige! Dazu trägt auch das Engagement der Eltern bei, die versuchen, den Schülerinnen und Schülern ein positives Lernumfeld zu schaffen, wie Ekrem Ahmeti von der Elternvertretung erläutert.

„Deutschland hat uns mit beweglichen Schultafeln ausgestattet“, erzählt Direktorin Makolli. „Als Gegenleistung mussten die Eltern die Schulräume streichen. Pinsel und Farbe stellte die GIZ bereit.“ Auch mit der Teilnahme am „Champion-Schulen-Programm“ geht die Einrichtung neue Verpflichtungen ein. Als Mentor-Schule gibt sie in einer „Lerngemeinschaft“ mit vier weiteren Schulen die Richtung vor. „Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die Elternvertreter, sollen sich auf regelmäßigen Treffen austauschen und voneinander lernen“, erläutert Makolli.

„Unsere vordringlichste Aufgabe ist es nun, die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schulleitungen zu qualifizieren.“ (Shpresa Shala)

Shpresa Shala, die Leiterin des Schulamtes der kosovarischen Hauptstadt, begrüßt die GIZ-Initiative: „Unsere vordringlichste Aufgabe ist es nun, die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schulleitungen zu qualifizieren.“ Serbien hatte 1989 die Autonomie des Kosovo aufgehoben und den Ausnahmezustand verhängt. Schulen mussten den serbischen Lehrplan übernehmen. Albanische Sprache, Geschichte, Literatur wurden auf ein Mindestmaß reduziert. Lehrerinnen und Lehrer durften die Schule nur betreten, wenn sie ihr Einverständnis zum neuen Lehrplan erklärt hatten. Viele Lehrkräfte führten daraufhin den Unterricht in privaten Räumen fort.

Belgrad hat die 2008 erklärte Unabhängigkeit des Amselfeldes mit seiner überwiegend albanischen Bevölkerung nie akzeptiert. Heute existieren das neue kosovarische und ein serbisches Schulsystem nebeneinander. Bis heute finanziert der serbische Staat die Schulen und die Gesundheitsversorgung im mehrheitlich von Serben bewohnten Nordkosovo sowie in den serbischen Enklaven. Bis heute wird dort nach serbischen Plänen unterrichtet.

Über 40 Prozent arbeitslos

Viele Konflikte verlaufen weiterhin entlang ethnischer Trennungslinien. Doch noch mehr drückt im Alltag die wirtschaftliche Misere. Die GIZ beziffert die Arbeitslosigkeit auf mehr als 40 Prozent. Bei jungen Erwachsenen liegt sie noch deutlich höher. Eine politisch brisante Situation, stellt doch die Altersgruppe der Menschen, die jünger als 25 Jahre sind, die Hälfte der Bevölkerung. Die Lage wird noch dadurch verschärft, dass der Kosovo eine enorme Hochschuldichte hat. Auf 1,9 Millionen Einwohner kommen sieben öffentliche und mehr als 30 private Hochschulen. Doch für die vielen Absolventen gibt es keine adäquaten Jobs.

Die Wirtschaft braucht eher Handwerker und Facharbeiter. Hier fehlt es an Ausbildungsplätzen. Hinzu kommt die unbefriedigende Qualität der Grundbildung: Bei der PISA-Studie 2015 belegte die Republik Kosovo den drittletzten Platz. Auch die Lehrerinnen und Lehrer sind damals von dem schlechten Abschneiden überrascht worden, sagt Rrahman Jasharaj, der Präsident der Lehrergewerkschaft SBASHK. Beim PISA-Test 2018 – er wird im Dezember veröffentlicht – erwartet er ein besseres Ergebnis. Jasharaj sieht noch erheblichen Nachholbedarf: „Das Bildungssystem hat sich positiv verändert. Aber Ausstattung der Schulen und die Bezahlung der Lehrkräfte sind nach wie vor ungenügend.“

„Höhere Gehälter für Lehrerinnen und Lehrer sowie eine bessere materielle Ausstattung der Schulen sind zwei Seiten einer Medaille.“ (Rrahman Jasharaj)

92 Prozent der etwa 27.000 Lehrkräfte sind Jasharaj zufolge gewerkschaftlich organisiert. Seit Jahren streitet SBASHK mit der Regierung um eine bessere soziale Absicherung. Zuletzt hat die Gewerkschaft im Januar drei Wochen lang alle Bildungseinrichtungen bestreikt. 430 Euro verdient eine Lehrkraft im Durchschnitt. Viel zu wenig, findet SBASHK. Lehrkräfte stünden damit auf der untersten Stufe der im öffentlichen Dienst beschäftigten Akademiker. Ebenso wenig kann Jasharaj akzeptieren, dass sich Kolleginnen und Kollegen bei Krankheit verschulden müssen, um die Kosten zu decken. Eine Krankenversicherung gibt es nicht.

Die nächste Konfrontation ist so nur eine Frage der Zeit. SBASHK sieht die Schuld bei der Regierung, die sich an keine Vereinbarung halte. Das zwinge die Gewerkschaft zum Handeln. Jasharaj: „Höhere Gehälter für Lehrerinnen und Lehrer sowie eine bessere materielle Ausstattung der Schulen sind zwei Seiten einer Medaille.“