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Zeitverträge in der Wissenschaft

Linke und Grüne halten Regierung auf Trab

Mit den Stimmen der Großen Koalition hat der Bundestag eine zweite Coronanovelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes abgelehnt. Mit Anträgen und Anfragen halten Linke und Grüne die Bundesregierung weiter auf Trab und greifen GEW-Forderungen auf.

(Foto: GEW)

Kurz vor Ostern schmetterten die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD den Entwurf für eine zweite Corona-Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) ab. Wer ab 1. April einen Neuvertrag bekommt, geht leer aus – obwohl die Coronapandemie keine Anstalten macht aufzuhören. Die GEW findet das ungerecht und beharrt auf Unterstützung.

„Gerade in der Coronakrise haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aktive Unterstützung durch den Bund bitter nötig.“ (Andreas Keller)

„Statt die Hände in den Schoß zu legen, sollte die Große Koalition die verbleibende Zeit in dieser Wahlperiode nutzen, um die Weichen für faire Beschäftigungsbedingungen, verlässliche Karrierewege und gleichen Chancen für alle zu schaffen. Gerade in der Coronakrise haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aktive Unterstützung durch den Bund bitter nötig“, sagte der GEW-Hochschulexperte Andreas Keller.

Die Oppositionsinitiative hatte sich vergeblich dafür stark gemacht, die Regelungen für die pandemiebedingte Verlängerung von Zeitverträgen mit wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auszudehnen. Die Fraktionen der Grünen, der FDP und der Linken hatten für den Entwurf gestimmt.

Parteien greifen Forderungen der GEW auf

Doch die Themen Zeitverträge und Karriereweg in Hochschule und Forschung bleiben auf der Agenda des Parlaments. Dafür haben die Fraktionen von Linken und Grünen mit je einer Kleinen Anfrage gesorgt. Die Linksfraktion hat außerdem einen Antrag „Gute Arbeit in der Wissenschaft – Befristungspraxis beenden, akademische Karrieren reformieren“ (Bundestags-Drucksache 19/27963) in den Bundestag eingebracht.

Der Linken-Antrag greift zahlreiche Forderungen auf, die die GEW seit dem Templiner Manifest, zuletzt mit der Petition „Dauerstellen für Daueraufgaben“ formuliert hat:

  • Stellen vor Stipendien,
  • Vollzeitstellen statt Zwangsteilzeit,
  • Wissenschaft als Beruf neben der Professur,
  • Department- statt Lehrstuhlstruktur,
  • Zielquoten für Wissenschaftlerinnen,
  • Umwandlung von Lehraufträgen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse,
  • Tarifverträge für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte.

Das gilt auch für die im Linken-Antrag formulierten Anforderungen an eine umfassende Reform des WissZeitVG, für die die GEW eintritt:

  • klare Definition des Qualifizierungsbegriffs,
  • verbindliche Mindestvertragslaufzeiten,
  • Befristung nach der Promotion nur mit Tenure Track,
  • verbindliche Ausgestaltung der familien- und behindertenpolitischen Komponente des Gesetzes.

In ihrer Kleinen Anfrage „Befristete Beschäftigungsverhältnisse an öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen in der COVID-19-Pandemie“ (Bundestags-Drucksache 19/28064) hakt die Linksfraktion nach, warum sich die Bundesregierung gegen die von der GEW geforderte zweite Corona-Novelle positioniert hat.

Minutiös listet die Regierung Gespräche und Korrespondenz mit der GEW auf, bleibt aber am Ende bei ihrer Aussage: „Die Bundesregierung wird möglichen gesetzgeberischen Anpassungsbedarf im WissZeitVG auf Grundlage der Evaluation des WissZeitVG gemäß § 8 WissZeitVG prüfen.“

Regierung schiebt Verantwortung ab

Mit der Vorlage des Evaluationsberichts ist jedoch frühestens im zweiten Quartal 2022, also ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl zu rechnen. Das ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen „Von Vertrag zu Vertrag – Planungssichere Karrierewege in der Wissenschaft schaffen“ (Bundestags-Drucksache 19/27096).

Weiter bekennt sich die Regierung in ihrer Antwort ausdrücklich zu einem „Ausbau unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse an Hochschulen und Forschungseinrichtungen“, schiebt den Schwarzen Peter dafür aber an die Wissenschaftseinrichtungen ab: „Es liegt zuvorderst in der Verantwortung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Quoten für ein angemessenes Verhältnis von befristeten und unbefristeten Arbeitsverhältnissen zu definieren.“

Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen geleugnet

Führt die Coronapandemie zu einer weiteren Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen? Die Bundesregierung bestreitet das. Es seinen „keine neuen gleichstellungsrechtlichen Tatbestände bzw. Grundlagen sichtbar geworden, die ein staatliches Eingreifen im Wissenschaftsbereich auf Bundesebene begründen würden“ antwortet die Bundesregierung der Grünen-Fraktion. Es gebe auch „keine Belege dafür, dass die These einer Retraditionalisierung durch die Pandemie auf die Mehrzahl der Familien zutrifft.“ Dabei hat erst kürzlich eine Expertise der Hans-Böckler-Stiftung analysiert, wie die Corona-Krise die Gender-Gaps an den Hochschulen vertieft.

GEW: Bund verschließt Augen vor Problemen

Für die GEW sind die Antworten der Bundesregierung ein Beleg dafür, dass der Bund zunehmend die Augen vor den Problemen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen verschließt.

„Zwar darf mittlerweile in fast keiner Rede der Bundesforschungsministerin mehr die Forderung nach mehr Dauerstellen in der Wissenschaft fehlen, aber die Bundesregierung erklärt sich selbst dort für unzuständig, wo sie klare Gestaltungskompetenzen hat. Eine Änderung des WissZeitVG fällt ebenso in die Zuständigkeit des Bundes wie er die Möglichkeit hat, die milliardenschwere Finanzierung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen über Programme, Pakte und Drittmittel an die Einhaltung von Mindeststandards guter Arbeit und wirksamer Gleichstellung zu knüpfen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der GEW, Andreas Keller.