Konferenz „Für eine feministische Zeitpolitik der GEW“
Zeit zur „Herzensangelegenheit“ machen
Covid-19 hat Tausende Beschäftigte ins Homeoffice versetzt. Inoffiziell fand so die wohl bisher größte Studie zur Vereinbarkeit von Arbeit und Familie statt. Die jüngsten Erfahrungen befeuern auch die Zeitpolitik-Debatten in der GEW.
Die Corona-Pandemie, der Lockdown und die Schließungen von Kitas und Schulen haben die Entwicklung von mehr Geschlechtergerechtigkeit bei der Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit nach Ansicht der Frauen in der GEW ausgebremst. Kinderbetreuung und Lernbegleitung seien in den vergangenen Monaten meist auf die Frauen verlagert worden, die laut Statistik ohnehin schon in der Hälfte der Familien allein für Kinder, Haushalt und Pflege zuständig seien, sagte Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied für Frauenpolitik, zum Auftakt der zweitägigen Fachkonferenz „Für eine feministische Zeitpolitik der GEW“.
„Feminismus bedeutet für mich auch, parteiisch zu sein und das Thema Zeitpolitik aus der Sicht von Frauen und ihrer Situation in dieser Gesellschaft zu betrachten.“ (Frauke Gützkow)
Bezahlte versus unbezahlte Sorgearbeit war entsprechend das Schwerpunktthema der Onlinetagung. Verstärkt durch die jüngsten Erfahrungen während der Corona-Pandemie wurden auch das Recht auf Homeoffice und damit verbundene Fragen intensiv diskutiert. „Feminismus bedeutet für mich auch, parteiisch zu sein und das Thema Zeitpolitik aus der Sicht von Frauen und ihrer Situation in dieser Gesellschaft zu betrachten,“ sagte Gützkow.
„Alle Kolleginnen und Kollegen sollten das Thema Zeit zu einer Herzensangelegenheit machen“, forderte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. „Die Arbeit ist zu belastend. Wir brauchen andere Zeitmodelle.“ Tepe kündigte an, die Gewerkschaftsmitglieder per Umfrage an der Diskussion darüber, wie sich Leben und Arbeiten in der Zukunft bestmöglich zusammenbringen ließen, zu beteiligen. Zu dieser Debatte gehört ihrer Ansicht nach auch das Thema Grundeinkommen.
„Homeoffice ist also per se kein allgemeines Instrument zur Erhöhung der Geschlechtergerechtigkeit.“ (Kai-Uwe Müller)
Vorträge und Workshops der Fachkonferenz machten derweil deutlich: Das lange als Instrument für eine bessere Vereinbarkeit von Kindern und Job gepriesene Instrument der Heimarbeit kann ursprüngliche Erwartungen nicht erfüllen. Frauen, die ins Homeoffice wechselten, machten im Mittel zwei Stunden Sorgearbeit pro Woche mehr – und darüber hinaus Überstunden im Job, sagte der Leiter der Nachwuchsgruppe Zeitpolitik in der Abteilung Staat am DIW Berlin, Kai-Uwe Müller, mit Verweis auf Daten aus den Jahren 1997 bis 2014. Männer im Homeoffice leisteten dagegen im Mittel eine Stunde pro Woche mehr Sorgearbeit. „Homeoffice ist also per se kein allgemeines Instrument zur Erhöhung der Geschlechtergerechtigkeit“, betonte er. „Es kommt sehr auf die Konstellation an.“
Positiven Effekten wie der Flexibilisierung von Arbeitszeit stehe das Problem der zeitlichen und räumlichen Entgrenzung entgegen, sagte die Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, Miriam Beblo, die in der Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zur geschlechtergerechten Gestaltung der digitalen Arbeit mitarbeitet. „Es gibt Chancen, es gibt Risiken.“ Die bisherigen Analysen der Fachleute, die ihren Bericht im kommenden Jahr vorlegen wollen, ergaben auch: Der sogenannte Gender Care Share reduziere sich nur, wenn allein der Mann im Homeoffice sei. „Bleiben beide zuhause, ändert sich nichts.“
Viele Fragen zum Homeoffice offen
Eine Absage an die Heimarbeit wollten die Expertinnen und Experten damit aber keinesfalls aussprechen: Homeoffice könne die Vereinbarkeit dann verbessern oder erleichtern, wenn die Rahmenbedingungen stimmten. Dazu gehörten fest vereinbarte Arbeits- und Erreichbarkeitszeiten. Die DIW-Studien kommen laut Claire Samtleben aus der Nachwuchsgruppe „Zeitpolitik“ zudem zu dem Schluss: „Ein Schritt zu mehr Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt führt über eine gerechtere Verteilung von Sorgearbeit.“
Trotz der mehrmonatigen Erfahrungen während des Lockdowns bleibt das Homeoffice derweil weiter ein sehr theoretisches Konzept, bei dem in der Praxis noch viele Detailfragen offen sind, wie die teils sehr präzisen Fragen der Konferenzteilnehmerinnen im Chat zeigten. Unterstützt der Arbeitgeber – der im Fall von Lehrkräften meist noch nicht mal ein Dienstlaptop zur Verfügung stellt - beispielsweise bei der Einrichtung eines ergonomischen Arbeitsplatzes? Wie wird die Arbeitszeit erfasst? Und inwiefern wird mit Blick auf die Vereinbarkeit von Job und Kindern die Situation von Alleinerziehenden berücksichtigt?
„Lehrkräfte arbeiten schon immer im Homeoffice, sie haben schon immer die Probleme, die jetzt diskutiert werden.“ (Gesa Bruno-Latocha)
Die Referentin für Tarif- und Beamtenpolitik im GEW-Hauptvorstand, Gesa Bruno-Latocha, machte zudem darauf aufmerksam: „Lehrkräfte arbeiten schon immer im Homeoffice, sie haben schon immer die Probleme, die jetzt diskutiert werden.“ Dies werde in der öffentlichen Debatte sowie in empirischen Studien jedoch kaum berücksichtigt – was die DIW-Forscherinnen und Forscher zugaben. Sie kündigten an, sich die Berufsgruppe der Lehrkräfte künftig stärker anzuschauen.
Doch wohin soll die feministische GEW-Zeitpolitik nun gehen? Die Teilnehmerinnen kamen mit einer Vielzahl von Ideen aus den insgesamt acht Workshops – von der Ausweitung der Partnermonate bei der Elternzeit über Sorgearbeit als Pluspunkt in der Bewerbung bis zu dem Versuch, mehr feministische Männer als aktive Mitglieder zu gewinnen.
Bruno-Latocha forderte: „Man muss das Recht auf Homeoffice und die Frage der Zeiterfassung miteinander verknüpfen – gedanklich und im gesetzgeberischen Prozess.“ „Für den Schulbereich heißt das: unsichtbare Arbeit sichtbar machen“, sagte Ute Wiesenäcker aus dem Leitungsteam des Bundesfrauenausschusses (BFA) der GEW. Dazu sollten die Ergebnisse der „Studien zur Arbeitszeit von Lehrkräften in Deutschland“ herangezogen werden. Die Analyse der GEW Niedersachsen hatte ergeben, dass ein hoher Prozentsatz der Lehrkräfte sich im Bereich gesundheitsgefährdender „überlanger Arbeitszeiten“ von mehr als 48 Stunden in der Schulwoche bewege.
Gützkow kündigte an, einer der zukünftigen Schritte sei es, die frauenpolitischen Positionen mit der Tarif- und Beamtenpolitik zusammenzubringen. Der Kommentar einer Teilnehmerin im Chat ging noch darüber hinaus: „Tarifverhandlungen für Care-Arbeit - warum eigentlich nicht?“