Gesunde Ernährung in Kita, Schule und Hochschule
Zäher Kampf gegen Döner und Fischstäbchen
Die Qualitätsstandards für Kita- und Schulessen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) werden in immer mehr Bundesländern umgesetzt. Doch gegen den Siegeszug von Fastfood und künstlichen Aromen hat es gesunde Ernährung schwer.
Wer mit seiner Familie essen geht, macht zuweilen eine erstaunliche Erfahrung. Während die Erwachsenenkarte nüchtern die Gerichte aufzählt, wird es bei den Kindern lyrisch. Doch unter der Rubrik „Für die kleinen Genießer“ findet sich meist höchst Banales wie Fischstäbchen („Aus Neptuns Reich“) oder Pommes („Biene Maja“). Einen anderen, schonungslos ehrlichen Weg geht das Restaurant „Matsch“ im sächsischen Plauen. Hier heißen die Kindergerichte „Ich will das nicht“ (Fischstäbchen mit Kartoffelstampf und Gemüse) oder „Hab keinen Hunger“ (Nudeln mit Tomatensauce).
Kinder, das wissen nicht nur die genervten Restaurantchefs, gehören zu den schwierigsten Essern. Umso anspruchsvoller ist es, für sie in einer Kita- oder Schulmensa zu kochen. Zumal es sich die Verantwortlichen für den Speiseplan nicht so einfach machen können wie mancher Gastronom, der schamlos auf Pommes und Tiefkühlklassiker setzt. Denn die gleichen Eltern, die im Restaurant bereitwillig kapitulieren, würden auf die Barrikaden gehen, wenn die fettstarrenden Kalorienbomben in der Schulmensa serviert würden.
15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig
Und das aus gutem Grund. Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS), eine Langzeitstudie des Robert-Koch-Instituts, kommt zum Ergebnis, dass in Deutschland 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig sind, 6,3 Prozent sind adipös. Grund dafür ist eine von der Lebensmittelindustrie geförderte viel zu fette, viel zu süße Ernährungsweise. Das sagt der Ernährungsjournalist Manfred Kriener in seinem Buch „Leckerland ist abgebrannt, Ernährungslügen und der rasante Wandel der Esskultur“ (Verlag S. Hirzel, 2020). Ein 250-Gramm-Becher Kirschjoghurt enthalte elfeinhalb Würfelzucker, ein Liter Orangensaftgetränk 80 Gramm Zucker – beides sind Lebensmittel, die in Tests von Eltern als „eher gesund“ eingestuft wurden.
Kochexperten wie Johann Lafer oder Sarah Wiener, die unter anderem in Schulen kochen, klagen denn auch darüber, dass viele Kinder zum Teil in zweiter Generation nicht mehr mit wirklich selbst zubereitetem Essen in Berührung gekommen sind. Mit der fatalen Folge, dass ihnen eine echte Erdbeere im Vergleich zum penetranten Geschmack des „Frucht“-Gummis als unecht vorkommt. Kriener schreibt das der Lebensmittelindustrie zu, die die Kids mit riesigen Werbeetats auf Zucker, Fett und künstliche Aromen eiche.
„Die Akzeptanz kann nur steigen, wenn das Angebot die Geschmacksvorlieben der Schüler berücksichtigt.“ (Ernestine Tecklenburg)
Dass diese Essgewohnheiten den gesellschaftlichen Rahmen bilden, in dem die Ernährung in Schulen und Kitas stattfinden muss, macht die Aufgabe nicht leichter. Der Qualitätsstandard für Kita- und Schulessen, den die DGE 2018 vorgestellt hat, versucht, all dem trotzdem Rechnung zu tragen: „Die Akzeptanz kann nur steigen, wenn das Angebot die Geschmacksvorlieben der Schüler berücksichtigt“, sagt -Ernestine Tecklenburg, Leiterin des Referats Gemeinschaftsverpflegung der DGE. Neben einer „appetitanregenden Präsentation“ und einer 60-minütigen Pausenzeit empfiehlt die DGE Getreide, Obst und Gemüse als Hauptbestandteile, mageres Fleisch oder Fisch bilden die Ergänzung, nicht die Hauptbestandteile der Gerichte.
Bei Nudeln sind Vollkornprodukte zu bevorzugen. Tiefkühlgemüse ist natürlich möglich, da es jede Kantine überfordern würde, für Hunderte Kinder Brokkoli zu putzen. Der Einsatz von Fertigsaucen oder Obstkonserven ist aber nicht angeraten. „Durch die Gewöhnung an einen standardisierten Geschmack, zum Beispiel durch Geschmacksverstärker, kann der Sinn für die Geschmacksvielfalt natürlicher Lebensmittel verloren gehen“, so die Begründung der DGE, die hier ganz im Sinne von Kriener argumentiert.
DGE-Standard für Schulen erst in drei Bundesländern
Um dem erwartbaren Argument zu begegnen, dass Großküchen, die nach dermaßen ambitionierten Kriterien kochen, ein Kostenproblem bekommen, hat die DGE ihren Qualitätsstandard in der „Studie zu Kosten- und Preisstrukturen in der Schulverpflegung“ (KuPS), durchgerechnet. Mit dem Ergebnis, dass in den unterschiedlichen Bereichen – abhängig von der Zahl der gekochten Mahlzeiten und dem Grad an eingesetzten Convenience-Produkten – die Kosten nur marginal steigen. So erhöht sich der „kalkulatorische Preis“, der die Selbstkosten deckt, um lediglich vier Cent – und das beim Einsatz von immerhin 20 Prozent Bioprodukten. Die von der DGE aufgestellte Kostenrechnung geht allerdings nur auf, wenn eine Mindestanzahl an Schulessen nicht unterschritten wird. Je höher die Akzeptanz, desto besser also für die Finanzen auch der öffentlichen Haushalte.
Derzeit sind es nach Angaben der DGE allerdings erst drei Bundesländer, die den DGE-Standard für Schulen verpflichtend vorgeschrieben haben: Hamburg, Berlin und das Saarland. Bremen geht noch einen Schritt weiter und will bis 2022 das Kantinenessen komplett auf Bio umstellen. Baden-Württemberg und Bayern gewähren Zuschüsse für Kommunen, die den Standard einführen wollen. Ulrike Arens-Azevedo, Professorin für Ernährungswissenschaften in Hamburg, weiß, dass 50,3 Prozent aller Schulen den DGE-Standard gegenüber dem Caterer einfordern. Immerhin.
Konkurrenz durch Fastfood
Dass die Umsetzung der 2018 vorgestellten Standards vielerorts noch langsam vonstatten geht, dürfte weniger an den nur geringfügig höheren Kosten liegen als an der Tatsache, dass in den meisten Kitas und Schulen nicht selbst gekocht wird: 57,7 Prozent der Einrichtungen vertrauen auf die „Anlieferung von Warmverpflegung*“, so Stephanie Klein von der DGE. Arens-Azevedo hat zudem errechnet, dass in 80,8 Prozent der Schulen eine Vorbestellung nötig ist. Das ist ungünstig, denn um die Zahl der Mensa-Mahlzeiten zu erhöhen, sollten auch spontane Esser bedient werden können. Dass die Pausenzeit oft nur bei 20 oder 30 Minuten liegt, statt der empfohlenen 60 Minuten, ist auch nicht eben förderlich. Wer nicht einmal eine Viertelstunde Zeit zum Essen hat, entscheidet sich eher für Fastfood als für Hauptgang, Salat und Dessert.
Überhaupt Fastfood: Die Konkurrenz durch Döner, Pizza und Burger scheint selbst dort manchmal übermächtig, wo die flächendeckende Einführung gesunden Schulessens gelungen ist. Das zeigt das Beispiel Offenburg, das die „Badische Zeitung“ recherchiert hat. In der 60.000-Einwohner-Stadt beliefert ein Caterer zehn Schulmensen und sieben Kinderbetreuungseinrichtungen nach DGE-Standard und bietet zwei Menüs an, davon ein vegetarisches. Bei 8.800 Essen pro Tag liegt der Preis für die Eltern bei 3,85 Euro pro Menü, seit September zahlt die Stadt 2,84 Euro zu.
„Nur weil es gesundes Essen gibt, ernähren sich Kinder nicht gesund.“ (Süddeutsche Zeitung)
3,85 Euro mögen am oberen Ende dessen sein, was manche Familien ausgeben können, teurer als die in der Mittagszeit so beliebten Döner ist die Schulmahlzeit aber nicht. Das weiß auch der Offenburger CDU-Politiker Jess Haberer. Die nach DGE-Kriterien zubereiteten Mahlzeiten seien qualitativ gut. Man müsse allerdings in Rechnung stellen, „dass es viele Ungehorsame gibt, die zum nächsten Döner gehen“. Auch die „Süddeutsche Zeitung“ fragt, ob die Essgewohnheiten der Jugendlichen einer gesünderen Schulernährung nicht Grenzen setzten: „Nur weil es gesundes Essen gibt, ernähren sich Kinder nicht gesund. Der Weg von Fischstäbchen und Schnitzeln bei Mama zu Kabeljau und Wirsing in der Großkantine ist weit.“