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Mangel an Lehrkräften

Wut über die Mehrbelastung

Mit einer „Vorgriffsstunde“ verlangt Sachsen-Anhalts Landesregierung von nahezu allen Lehrkräften seit Mitte April eine zusätzliche Unterrichtsstunde. Die GEW wehrt sich vehement gegen das unabgesprochene Vorgehen.

Wegen des akuten Lehrkräftemangels verlangt Sachsen-Anhalt von Lehrerinnen und Lehrern seit April eine „Vorgriffsstunde“.

Mit einer „Vorgriffsstunde“ wurden alle Kolleginnen und Kollegen bis 62 Jahren und mit unbefristeten Verträgen jetzt dazu verpflichtet, in den kommenden fünf Jahren eine Stunde pro Woche mehr zu unterrichten. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hatte den Schritt auf einem sogenannten Bildungsgipfel im Januar als Maßnahme zur Sicherung der Unterrichtsversorgung verkündet. Zusätzlich erteilte Stunden würden vergütet oder einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben, hieß es. Seit Mitte April muss die neue Pflichtstunde nun tatsächlich erteilt werden – plus Vor- und Nachbereitungszeit.

„Die ,Vorgriffsstunde‘ bedeutet eine Mehrbelastung, die mit niemandem abgesprochen, sondern in großherzoglicher Manier vom Ministerpräsidenten einfach verfügt wurde.“

(Eva Gerth)

Die Kolleginnen und Kollegen der GEW laufen Sturm gegen die plötzliche und unabgesprochene Arbeitszeiterhöhung. Zu Großdemonstrationen in Magdeburg und Halle kamen bereits mehrere tausend Menschen, inzwischen haben erste Lehrkräfte auch Musterklagen eingereicht. In zwei Normenkontrollverfahren soll die Rechtmäßigkeit der geänderten Verordnung überprüft werden. Die Klagen mit Unterstützung der GEW betreffen eine beamtete und eine tarifbeschäftigte Lehrkraft. Auch die von der EU festgelegte wöchentliche Höchstarbeitsgrenze dürfte dabei eine Rolle spielen.

„Wir werden gerichtlich prüfen lassen, ob der Rechtsrahmen überschritten wurde“, sagt die GEW-Landesvorsitzende Eva Gerth. Teilzeitbeschäftigte könnten zudem darum kämpfen, ihre zum Schuljahresbeginn vereinbarten Teilzeit entsprechend anzupassen. Die GEW stellt dafür die notwendigen Formulare zur Verfügung. Zudem werden die GEW-Mitglieder in den Stufenvertretungen versuchen, Mitbestimmungsverfahren zur Umsetzung der Verordnung zu erwirken. Die Personalräte klagen dazu nun auch vor dem Verwaltungsgericht in Magdeburg. „Die ,Vorgriffsstunde‘ bedeutet eine Mehrbelastung, die mit niemandem abgesprochen, sondern in großherzoglicher Manier vom Ministerpräsidenten einfach verfügt wurde“, sagt Gerth.

Andere Lösungsvorschläge wurden von der Landesregierung ignoriert.

An den allgemeinbildenden Schulen in Sachsen-Anhalt arbeiten rund 14.000 Lehrerinnen und Lehrer – doch etwa 1000 Stellen sind derzeit nach GEW-Schätzungen nicht besetzt. Entsprechend groß ist der Personalmangel an vielen Schulen. Die Landesregierung kann jedoch die Zahl der Unterrichtsstunden im Rahmen des Beamtengesetzes einseitig festlegen. Für tarifbeschäftigte Lehrkräfte gelten dann die gleichen Bedingungen und Anforderungen.

„In den Schulen herrschen große Enttäuschung und Wut darüber, dass die bisherige oft sehr engagierte Arbeit, die vielen Vertretungsstunden, die Diskussion über andere Unterrichtsmodelle und die Lösungssuche in den Schulen derart von der Landesregierung ignoriert werden“, sagt Gerth. „Leider scheint es die einzige Lösung zu sein, die Lehrkräfte und die Beschäftigten in den Schulen noch mehr zu belasten.“ Nach jahrelanger verfehlter Personalpolitik werde einfach der Druck auf das vorhandene Personal erhöht – dabei seien eigentlich Entlastungen des pädagogischen Personals und attraktivere Jobbedingungen in den Schulen dringend nötig.

Angesichts des großen Ärgers an den Schulen appelliert die GEW zugleich an alle Lehrkräfte, sich mit Briefen an das Bildungsministerium oder an das Landesschulamt zu wenden und eine Streichung der „Vorgriffsstunde“ zu verlangen. Ein Hinweis auf die laufenden Normenkontrollverfahren sei dabei durchaus möglich. Zwar sei die Neuregelung zunächst auf fünf Jahre bis Sommer 2028 befristet. Doch ob sich die Personalmisere bis dann verbessert oder eine Gewöhnung an die „Vorgriffsstunde“ eingestellt hat, sei offen, argwöhnt die Landesvorsitzende der GEW.