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Malawi

„Wunden, die oft nur schwer heilen“

In manchen Regionen Afrikas ist es extrem schwer, Jungen und Mädchen aus der Kinderarbeit zu holen und in die Schule zu bringen. Das fair-childhood-Projekt in Malawi schafft es.

Kinderarbeit ist in Malawi nicht nur auf den Tabakplantagen weit verbreitet, sondern auch in der Fischerei am Malawi-See. (Foto: Samuel Grumiau)

Lange vor Sonnenaufgang stehen sie auf, gehen zum Strand und schieben die schweren Holzboote ins dunkle Wasser des Malawi-Sees. Wenn die Jungs später die vollen Netze aus dem Wasser des drittgrößten Sees Afrikas ziehen und die zappelnden Fische für den Markt sortieren und räuchern, hat der Unterricht an der Schule im Dorf längst begonnen. Ohne sie.

Kinderarbeit ist in Malawi nicht nur auf Tabakfeldern weit verbreitet, sondern auch in den Fischereizonen des Landes. 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die jünger als 17 Jahre sind, müssen eine schwere oder gefährliche Arbeit verrichten, so die Bildungsgewerkschaft Teachers Union of Malawi, kurz TUM, ein Partner der GEW-Stiftung fair childhood. Viele der Jungen und Mädchen haben die Schule ohne Abschluss verlassen. Oder nie eine besucht.

„Kinderarbeit ist in Malawi verboten; sie verletzt die Rechte unserer Kinder.“ (Pilirani Kamaliza)

TUM gelingt es bereits in zwei Zonen, in denen unter anderem Tabak angebaut wird, Kinderarbeit deutlich zu reduzieren. Seit einem Jahr gibt es ein weiteres Projekt in der Region Salima am Malawi-See. Es arbeitet mit Familien, die fast ausschließlich vom Fischfang leben. „Kein leichtes Projekt“, sagt Koordinator Pilirani Kamaliza. Zum einen, weil die überwiegend armen Familien auf die Mitarbeit vor allem ihrer Söhne angewiesen sind. 

Zum anderen: „Für die Menschen ist Fischerei ein Teil ihrer Tradition, sie sind stolz darauf, diese Fähigkeiten an ihre Söhne weiterzugeben – zumal viele die gemeinsame Arbeit auf dem Meer lieben.“ Was sie jedoch vergessen: „Kinderarbeit ist in Malawi verboten; sie verletzt die Rechte unserer Kinder.“ Und viele Kinder auch physisch: „Die spitzen Gräten verursachen Wunden, die oft nur schwer heilen“, sagt Kamaliza.

Alternativen zur Fischerei nötig

Um dies zu ändern, arbeitet TUM mit Dorf-Chiefs, Eltern, Besitzern von Fischfabriken, Lehrkräften. TUM klärt sie über die Rechte von Kindern auf und darüber, wie wichtig Bildung ist, um die Region zu entwickeln, auch wirtschaftlich. „Viele Fischer wissen das nicht – sie haben durch den Fang ja meist etwas zu essen oder zu tauschen.“ Aber sie bleiben in ihrer Armut gefangen. Auch deswegen, so Kamaliza, „sagen inzwischen viele Dorf-Chiefs: Wir können uns nicht nur auf die Fischerei verlassen, wir müssen weiterdenken“. Zumal der Wasserpegel des Malawi-Sees seit Jahren sinkt.

Die Bilanz des Projekts in Salima nach nur einem Jahr macht Mut. 367 ehemalige Kinderarbeiter – 190 Jungen und 177 Mädchen –, gehen nicht mehr arbeiten oder früh eine Ehe ein, sondern besuchen jetzt den Unterricht. Außerdem konnten die Lehrkräfte 574 weitere Kinder aus extrem armen Familien dazu bringen, die Schule nicht abzubrechen. 

„Wir bräuchten doppelt so viele Pädagogen.“

„Es ist beeindruckend, wie unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort ihre Actionplans gegen Kinderarbeit verfolgen und was sie in dieser großen Not alles leisten, damit Schule attraktiv wird“, sagt Marlis Tepe. Die ehemalige GEW-Vorsitzende hat das Projekt im Dezember vergangenen Jahres besucht, sie sitzt im Vorstand von fair childhood. „Aber wenn sie viele Kinder aus Arbeit in die Schule holen, brauchen sie auch mehr Klassenräume und mehr Lehrkräfte. Dann müssen sie dafür noch Lobbyarbeit machen.“ Auch für mehr Mittel. Grundschullehrkräfte verdienen in Malawi im Monat umgerechnet 80 Euro.

„Wir bräuchten doppelt so viele Pädagogen“, sagt Kamaliza. Doch die Wege in die Dörfer sind weit, die Transportkosten hoch, der Liter Benzin kostet in Malawi 1,30 Euro, hat Tepe beobachtet. Wissen zu vermitteln, fällt schwer: Laut Gesetz darf eine Lehrkraft maximal 60 Kinder unterrichten. Sind es mehr, muss eine neue Klasse aufgemacht werden. Die Realität ist eine andere: Im Bezirk Salima liegt der Betreuungsschlüssel im Schnitt bei 1 zu 100. Und oft sogar weit darüber.