Zum Inhalt springen

Fachkräftemangel in Schule, Kita, Jugendhilfe und Hochschule

„Wir wollen keine Billiglösungen für Grundschulen“

Ab 2025 soll bundesweit ein Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen gelten: So haben es Union und SPD 2018 in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben. Der Bedarf an Fachkräften wird dadurch weiter steigen.

Die Bundesregierung wollte mit dem Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung an Grundschulen hoch hinaus. Wegen der Finanzierungsprobleme und des Fachkräftemangels ist das Ziel aber noch in weiter Ferne. (Foto: Kay Herschelmann)

Bildung ist Ländersache: Das gilt in diesem Fall aber nur bedingt. Für die Ausgestaltung des geplanten Rechtsanspruchs will die Bundesregierung das Sozialgesetzbuch VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) nutzen, um so eine bundesweite Regelung zu erreichen. Doch wer zahlt letztlich die Umsetzung? Und vor allem: Woher sollen die benötigten Fachkräfte kommen? Fragen, um die aktuell auf allen politischen Ebenen gerungen wird.

Was die zu erwartenden Kosten angeht, hat voriges Jahr eine Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) für Aufschluss gesorgt. Soll der berechnete Bedarf von 1,1 Millionen zusätzlichen Ganztagsbetreuungsplätzen für Kinder im Grundschulalter gedeckt werden, fallen dafür bis 2025 Investitionskosten von insgesamt 7,5 Milliarden Euro sowie ab 2025 Betriebskosten von jährlich 4,5 Milliarden Euro an. Die Bundesregierung hat bisher 3,5 Milliarden Euro zugesagt, um die Länder beim Ausbau der kommunalen Bildungsinfrastruktur zu unterstützen. Allerdings soll der größte Teil des Geldes erst dann ausgezahlt werden, wenn das den inhaltlichen Rahmen setzende Ganztagsförderungsgesetz verabschiedet ist. Bis dahin können weder die Länder noch die Kommunen mit konkreten Vorbereitungen beginnen.

„Der Rechtsanspruch auf Ganztag an den Grundschulen wird den Fachkräftemangel noch beschleunigen.“ (Stefanie Hubig)

„Gute Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und deshalb ist es folgerichtig, dass sich der Bund einbringt, wenn er die Einführung des Ganztagsanspruchs beschließt“, betont Stefanie Hubig (SPD), Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz und derzeit Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK). In den Ländern würden die Gespräche zum beschleunigten Ganztagsausbau derzeit auf Ebene der Regierungschefinnen und -chefs laufen. Alle Länder seien sich der angespannten Lage im Grundschulbereich bewusst. Klar sei aber auch: „Der Rechtsanspruch auf Ganztag an den Grundschulen wird den Fachkräftemangel noch beschleunigen.“

Davon ist auch Björn Köhler, GEW-Vorstandsmitglied Jugendhilfe und Sozialarbeit, überzeugt. Aus gewerkschaftlicher Sicht steht fest, dass es zur Umsetzung des Rechtsanspruchs gut ausgebildetes Personal braucht. „Mindestens auf dem Niveau von Erzieherinnen und Erziehern, und das natürlich bei tariflicher Bezahlung“, macht Köhler deutlich. Ein wichtiger Schritt sei aus seiner Sicht, die Ausbildung attraktiver zu gestalten: „Zum Beispiel wäre es eine gute Möglichkeit, die praxisintegrierte Ausbildung weiter zu stärken. Momentan ist es ja so, dass in der vollschulischen Ausbildung teilweise noch Geld mitgebracht werden muss.“

Mit Blick auf die Deadline 2025 wird allerdings die Zeit schon jetzt langsam knapp. Köhler hält es daher für denkbar, den Rechtsanspruch gegebenenfalls zunächst für die ersten Klassen einzuführen und dann sukzessive auszubauen. Was aus seiner Sicht dagegen indiskutabel ist: die von einigen Seiten vorgebrachte Idee, zumindest zu Beginn nicht zwingend mit pädagogisch ausgebildeten Fachkräften zu arbeiten. „Diese Debatte um eine Verschiebung der Qualität halte ich für gefährlich. Mit dem Ganztag lässt sich sowohl Bildungsungerechtigkeit als auch Kinder- und Familienarmut entgegenwirken – aber nur dann, wenn er gut gemacht ist.“

Kommunen sind skeptisch

Beim Bund arbeiten das Bildungsministerium und das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) an dem Thema. Unter Leitung des Kanzleramtschefs Helge Braun (CDU) habe eine Arbeitsgruppe zwischen Juli und September einen Beschlussvorschlag zur Einführung und Ausgestaltung des Rechtsanspruchs sowie zu Fragen der Finanzierung erarbeitet, teilt eine Sprecherin des BMFSFJ mit. Dieser Vorschlag befinde sich derzeit in Abstimmung (Stand Ende September) – unmittelbar nach Entscheidung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länderchefs solle sich das Gesetzgebungsverfahren anschließen.

„Länder und Kommunen haben mehrere Jahre Zeit, die Einführung vorzubereiten“, so die Sprecherin, die mit Blick auf die Gewinnung von Fachkräften auf das Bundesprogramm „Fachkräfteoffensive Erzieherinnen und Erzieher“ sowie das neue Aufstiegs-BAföG verweist. Weitere Ansätze seien nun wichtig, um die Fachkräftebasis in den kommenden Jahren zu sichern. Potenziale würden unter anderem bei Menschen mit Migrationshintergrund schlummern, deren Anteil an den pädagogischen Fachkräften derzeit noch vergleichsweise klein sei.

Bei der Planung konkreter Umsetzungsschritte sollen die kommunalen Spitzenverbände mit einbezogen werden: So steht es im Koalitionsvertrag. „Momentan diskutieren Bund und Länder allerdings ohne die Kommunen, das ist für uns absolut nicht nachvollziehbar“, berichtet Ursula Krickl, Leiterin des Referats Soziales, Jugend und Gesundheit beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. „Ein Rechtsanspruch, der über die Köpfe der Städte und Gemeinden eingeführt wird, kann nicht funktionieren.“ Es sei entscheidend, jetzt auf Grundlage von Ist-Analysen und Bedarfsprognosen ein Konzept zu erarbeiten, das Fragen der nachhaltigen Finanzierung, der Personalgewinnung sowie der Sicherstellung baulicher und kapazitärer Voraussetzungen beantwortet.

„So lange ein solches Konzept nicht vorliegt, kann vor Ort nichts umgesetzt werden“, betont Krickl. Was das benötigte Personal angehe, so könnten die Kommunen schon jetzt wegen des Fachkräftemangels die Kita-Betreuung nicht weiter ausbauen. „Da müssen sich die Länder bei der Ausbildung etwas einfallen lassen. Wir wollen keine Billiglösung für Grundschulen, wir wollen kein fachfernes Personal einstellen.“ Angesichts der derzeitigen Voraussetzungen halte sie es für nicht sehr realistisch, dass der Rechtsanspruch tatsächlich ab 2025 gelten könne.