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Gewerkschaften haben einen schweren Stand in der Türkei. „Unsere Mitglieder werden verfolgt und inhaftiert,“ beklagte Unsal Yildiz, der Vorsitzende der türkischen Bildungsgewerkschaft Egitim Sen. Er und seine Kollegen Abdullah Karahan und Hasan Olgun waren auf Einladung von GEW und Friedrich-Ebert-Stiftung vom 18. – 29. September zu Besuch in Deutschland. ‚Gewerkschaftssrechte unterm Halbmond’ – unter dieser Überschrift berichteten die drei Gewerkschafter in verschiedenen Städten über ihre gewerkschaftliche Arbeit in der Türkei. Egitim Sen steht in Opposition zur AKP Regierung unter Ministerpräsident Erdogan. Zahlreiche gewerkschaftliche Aktivisten befinden sich in türkischen Gefängnissen. Selbst während des Besuchs in Deutschland wurden weitere Gewerkschafter in der Türkei verhaftet. „Wir lassen uns nicht einschüchtern“, meint Yildiz. „Unsere Gewerkschaft wurde schon in den neunziger Jahren von den Militärregierungen verfolgt. Was wir hier in Deutschland über die Türkei sagen, kritisieren wir auch öffentlich zu Hause.“ Mehr als zweihundert Personen nahmen in München, Karlsruhe, Frankfurt, Köln, Düsseldorf, Bremen, Hannover und Berlin an acht Abendveranstaltungen in Gewerkschaftshäusern teil und diskutierten mit den Kollegen aus der Türkei über ihre Lage.
Yildiz kritisierte das türkische Bildungswesen, dem es sowohl an Qualität wie auch an Inhalt mangele. Der Staat spare an der Bildung und lege den Eltern immer neue Gebühren auf. Wer beim Prüfungsmarathon an den Schulen mithalten will, benötigt Nachhilfe – und die kostet Geld. So werden Kinder aus armen Familien benachteiligt und erlangen seltener einen höheren Schulabschluss. Der türkische Staat verfolge zudem eine nationalistisch-islamistische Erziehung. Grundschüler müssen jeden Morgen in der Schule einen Eid auf das Türkentum ablegen „Ein Volk, ein Glaube, eine Sprache“ – unter dieser Prämisse sind wir gezwungen, in der Türkei zu unterrichten“, so Yildiz. Seine Gewerkschaft Egitim Sen wehrt sich gegen den in der Türkei für alle Kinder verpflichtenden islamischen Religionsunterricht und fordert zudem das Recht auf muttersprachlichen Unterricht für nationale Minderheiten. Das macht sie aus Sicht des türkischen Staates verdächtig. „In meiner Grundschulklasse sprechen alle Kinder kurdisch. Viele von ihnen sind auch Alleviten,“ erzählte Hasan Olgun. Er ist Egitim Sen Vorsitzender in Tunceli, einer Stadt im Osten der Türkei. Die Einwohner benutzen weiterhin den kurdischen Namen Dersim. „Ich muss Türkisch mit ihnen reden, obwohl sie die Sprache nicht verstehen. Wenn ich das nicht tue, werde ich strafversetzt oder sogar angeklagt und ins Gefängnis gebracht.“ In diesem Jahr seien schon mehrere seiner Kollegen in weit entfernte Gegenden der Türkei versetzt worden, weil sie sich für muttersprachlichen Unterricht eingesetzt hätten. Für die Grundschüler ist es eine demütigende und nicht selten traumatische Erfahrung, in der Schule nicht mehr die Sprache sprechen zu dürfen, die sie zu Hause mit ihren Eltern und Geschwistern sprechen. Auch für die Lehrer sei die Situation sehr belastend.
Etwa 700.000 Lehrerinnen und Lehrer unterrichten an türkischen Schulen. Die meisten von ihnen sind Beamte des türkischen Staates. Sie verdienen monatlich etwa 600 – 650 Euro. Ihre angestellten Kolleginnen und Kollegen erhalten jedoch oft nur die Hälfte. Noch schlechter geht es den rund 400.000 arbeitslosen Lehrkräften, die auf eine Anstellung in den Staatsdienst warten. Ihre Zukunft ist ungewiss. Wie die GEW in Deutschland kämpft auch Egitim Sen in der Türkei für das Streikrecht der Lehrer im öffentlichen Dienst..„Beamte haben in der Türkei kein Streikrecht. Tarifverhandlungen verweigert die Regierung auch“, erklärt Abullah Karahan, Schatzmeister im Vorstand der Egitim Sen. „Es gibt zwar Gespräche mit dem Ministerium, wo wir unsere Vorschläge machen dürfen.
Bei unterschiedlichen Positionen entscheidet dann aber ein sogenannter Schlichtungsrat, der der Regierung verpflichtet ist.“ Der Vorsitzende Unsal Yildiz zeigte sich überzeugt, das dies nicht so bleiben wird. Die türkische Regierung habe zunächst auch versucht, den verbeamteten Lehrkräften die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft zu verbieten. Ohne Erfolg. Trotz Unterdrückung und Verfolgung ihrer Mitglieder existiert Egitim Sen seit mehr als zwei Jahrzehnten als nationale Gewerkschaft und setzt sich für eine laizistische, kostenlose, demokratische und muttersprachliche Bildung ein. Sie vertritt rund 116.000 Mitglieder in staatlichen Schulen und Hochschulen und ist in allen Provinzen der Türkei mit über hundert lokalen Niederlassungen präsent. „Wir vertrauen auf unsere Kraft“, gab sich Yildiz optimistisch: „Wir werden das Recht auf Streik und Tarifverhandlungen für Lehrer in der Türkei erkämpfen.“