Kampagne „100 Million“
„Wir können wirklich etwas bewegen“
Schluss mit Kinderarbeit weltweit - das fordert die Kampagne „100 Million“ des indischen Friedensnobelpreisträgers Kailash Satyarthi. Wie dieses Ziel erreicht werden solle, erklärt Christina Margenfeld, Koordinatorin der Kampagne in Deutschland.
- Frau Margenfeld, ist das Ziel der Kampagne utopisch?
Christina Margenfeld: Nein, „100 Million“ fordert, dass allen Kindern dieser Welt ihr Recht auf Freiheit, Schutz und Bildung gewährt wird – und sie möchte im Rahmen der UN-Nachhaltigkeitsziele einen Beitrag dazu leisten, alle Formen der Kinderarbeit bis 2025 zu beenden. Das ist nicht utopisch, das ist erklärtes Ziel der Staatengemeinschaft.
- Aber wie soll dieses Ziel erreicht werden?
Margenfeld: Die Kampagne will weltweit 100 Millionen junge Menschen mobilisieren, sich aktiv für Kinderrechte einzusetzen und das Thema in der Öffentlichkeit und in der Politik zu platzieren. Die Akteure der Kampagne sind die Jugendlichen selber. Sie entwickeln in jedem Land eigene Aktivitäten, um auf das Thema Kinderarbeit aufmerksam zu machen. Der Schwerpunkt liegt dabei in den Ländern des Globalen Südens, wo Kinderarbeit immer noch weit verbreitet ist: von Indien und Bangladesch über Somalia und DR Kongo bis hin nach Brasilien und Peru.
- Wer steht hinter der Kampagne?
Margenfeld: Kailash Satyarthi, der indische Friedensnobelpreisträger, hat sie 2016 ins Leben gerufen. Aktuell beteiligen sich mehr als 30 Länder an der Kampagne. In Deutschland sind Brot für die Welt und die GEW Träger der Kampagne. Sie engagieren -sich auf drei Ebenen: Erstens informieren und sensibilisieren -sie die Öffentlichkeit. Zweitens schaffen -sie konkrete Aktionsangebote für Jugendliche, sich zu beteiligen: von einem Post auf Facebook oder Instagram (#1von100Millionen) bis hin zu Diskussionen mit Abgeordneten. Und drittens sprechen -sie Politikerinnen und Politiker auf das Thema an und fordern -diese auf, ausbeuterische Kinderarbeit zu bekämpfen.
- Gibt es ein konkretes politisches Ziel in Deutschland?
Margenfeld: Wir setzen uns für wirksame Gesetze gegen Kinderarbeit ein. Beispielsweise soll die Einfuhr von Produkten, die unter Mitwirkung von Kindern hergestellt wurden, verboten -werden. Auch im Rahmen eines größer angelegten Lieferkettengesetzes, das deutsche Unternehmen dazu verpflichtet, im Ausland Menschenrechts- und Umweltstandards einzuhalten, kann Kinderarbeit bekämpft werden. Das aktuelle Freiwilligkeitsprinzip der deutschen Wirtschaft reicht nicht.
- Wie kann ich mitmachen?
Margenfeld: Zunächst einmal können Sie sich über das Thema Kinderarbeit informieren, zum Beispiel anhand des Dokumentarfilms „The Price of Free“, der auf YouTube verfügbar ist. Er dokumentiert das Leben und Schaffen von Kailash Satyarthi und die Aktivitäten seiner Organisation Bachpan Bachao Andalan (BBA), die Kinder aus ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen befreit und ihnen so eine Zukunftsperspektive eröffnet. Oder Sie organisieren eine Filmvorführung mit Freunden, Familie, in der Schule oder an der Universität. Die Jugendlichen können auch eigene Aktivitäten planen - vom Workshop bis zur Straßenaktion. Wir helfen gern bei der Umsetzung, ein Anruf im Kampagnenbüro genügt. Außerdem können junge Menschen ihre Gedanken und Träume, aber auch politische Forderungen zu Kinderrechten auf Facebook oder Instagram posten. Oder sie laden Politikerinnen und Politiker aus dem eigenen Wahlkreis ein und überlegen gemeinsam, mit welchen politischen Maßnahmen Kinderarbeit -gestoppt werden kann.
- Nehmen die sich denn dafür überhaupt Zeit?
Margenfeld: Bis jetzt sind unsere Erfahrungen sehr gut. Vor einem Jahr haben wir mit einer Gruppe von Brot-für-die-Welt-Jugendlichen unter anderem Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU), die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth (Grüne) und die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Bärbel Kofler getroffen. Die Jugendlichen haben erzählt, weshalb es sie so wütend macht, dass es im Jahr 2020 immer noch Kinderarbeit gibt. Und sie haben sich dafür ausgesprochen, dass Deutschland als drittstärkste Wirtschaftsmacht der Welt seiner Verantwortung in globalen Lieferketten gerecht wird. Die Politikerinnen und Politiker haben -die Forderungen ernst genommen und versprochen, sich um das Thema zu kümmern.
- Und: Haben sie es dann auch wirklich gemacht?
Margenfeld: Sie haben zumindest damit begonnen. Am 14. November 2019 hat der Bundestag einem Koalitionsantrag zugestimmt, dessen Ziel es ist, ausbeuterische Kinderarbeit zu überwinden. An diesem Tag haben wir mit den Jugendlichen auf der Besuchertribüne des Bundestages gesessen und miterlebt, wie der Antrag angenommen wurde. Das war auch für die Jugendlichen ein ganz großer Moment. Sie haben erfahren: Wir können etwas bewegen. Auch wenn der Antrag zunächst nur Prüfaufträge enthält. Aber wir bleiben dran und werden darauf drängen, dass der Beschluss auch umgesetzt wird.
- Engagiert sich Kailash Satyarthi auch selbst in der Kampagne?
Margenfeld: Ja, Ende November 2019 sind wir mit ihm und rund 200 Schülerinnen und Schülern aus ganz Deutschland zum Bundestag gezogen und haben den Abgeordneten symbolisch einen Gesetzesparagraphen übergeben - mit der Forderung, ihren Worten auch Taten folgen zu lassen. Kailash Satyarthi ist eine beeindruckende Persönlichkeit, ein Mann, der sich seit 40 Jahren für die Rechte von Kindern einsetzt und dabei mehrfach sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hat. Mit seiner Organisation hat er nicht nur mehr als 80.000 Kinder aus sklavenähnlichen, ausbeuterischen Verhältnissen befreit, sondern auch auf politischer Ebene viel erreicht. Für die Jugendlichen ist er ein großes Vorbild. Täglich ist er mit seinem Team in einem anderen Land der Welt unterwegs, um für die Kampagne zu werben.
- Was hat Sie persönlich bislang am meisten beeindruckt?
Margenfeld: Mich begeistert der Elan der Jugendlichen. Denn die sind vielbeschäftigt und haben zum Teil mehr Termine als wir Erwachsenen. Ich finde es beeindruckend zu sehen, wie engagiert zum Beispiel 17- oder 18-Jährige sind, die kurz vor dem Abitur stehen und trotzdem noch an Workshops teilnehmen wollen. Und mit wie viel Engagement und Ernsthaftigkeit sie an Themen dranbleiben.