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„Wir können die Welt verändern!“

Mehr als dreitausend Menschen haben die Veranstaltungen mit den chilenischen Studentenvertreterinnen Camila Vallejo und Karol Cariola und dem Gewerkschafters Jorge Murúa besucht, die auf Einladung von GEW und Rosa-Luxemburg-Stiftung vom 27. Januar bis 8. Februar in Deutschland waren.

Foto: Manfred Brinkmann

Das Auditorium Maximum der Humboldt Universität in Berlin ist voll besetzt. Sogar auf den Emporen müssen die Menschen noch Platz suchen, um Camila Vallejo, Karol Cariola und Jorge Murúa zu folgen, die auf Einladung von Rosa-Luxemburg-Stiftung und GEW vom 27. Januar bis 8. Februar auf Deutschlandreise waren. Ob in Dresden, Würzburg, Frankfurt, Saarbrücken, Hamburg, Dortmund, Bremen, Braunschweig, München oder Berlin – überall stießen die zwei chilenischen Studentenvertreterinnen und der Gewerkschafter auf großes Interesse. Weit mehr als 3.000 Personen hatten die Veranstaltungen unter dem Titel „Wir können die Welt verändern besucht.

Der Medienrummel, vor allem um die eloquente Camila Vallejo, war enorm - und nahm teilweise auch sexistische Züge an. „Wir konnten uns vor Interviewanfragen kaum retten“, berichtet der GEW-Kollege Janis Klusmann, der die Gruppe in mehreren Städten begleitet und für sie übersetzt hatte. „Lehr uns revoltieren, Comandante Camila!“, hatte der Spiegel in seiner Online-Ausgabe gleich zum Auftakt des Reiseprogramms getitelt. Nein, vorrevolutionäre Verhältnisse würden in Chile auch nach den Massenprotesten gegen die Bildungsmisere im letzten Jahr nicht herrschen, so die 23jährige Geografiestudentin Camila Vallejo. Doch sei es gelungen, die Hegemonie des Neoliberalismus in den Köpfen der Menschen zu brechen. „In Chile ist alles privat: Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung wurden in den siebzehn Jahren der Pinochet-Diktatur den Profitinteressen unterworfen. Nur wer Geld hat, kann sich bei uns heute ein Studium oder eine gute medizinische Versorgung leisten. Dagegen begehrt die Bevölkerung jetzt auf.“ Mehr als eine Million Menschen hatten 2011 in der Hauptstadt Santiago und anderen Städten des Landes an den Protesten teilgenommen. Was als studentische Aktionen gegen Studiengebühren begann, ist längst zu einer sozialen Bewegung geworden, die auch Gewerkschaften und indigene Bevölkerungsgruppen wie die Mapuche mit einschließt. „Das Land ist sozial tief gespalten“, berichtet Jorge Murúa, Metallgewerkschafter und Mitglied im Vorstand des chilenischen Gewerkschaftsbundes CUT. „Im Westen staunt man über die wirtschaftlichen Erfolge Chiles, dass inzwischen sogar Mitglied der OECD ist. Doch Millionen Arbeitnehmer in unserem Land müssen mit einem Mindestlohn von nur 283 € im Monat über die Runden kommen. Das reicht hinten und vorne nicht zum Leben.“ Die CUT hatte die studentische Protestbewegung im vergangenen Jahr mit einem Generalstreik unterstützt.

Wie ist es gelungen, in Chile ein so breites, gemeinsames Bündnis von Studentenorganisationen, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ins Leben zu rufen und was können wir in Deutschland daraus lernen? Diese Fragen zogen sich während der dreistündigen Abendveranstaltung im Audimax wie ein roter Faden durch die Rede- und Diskussionsbeiträge der chilenischen Gäste und der mehr als 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. „Die Aktionseinheit von Studenten und Arbeitnehmern in Chile ist nicht über Nacht gekommen. Sie entsteht in der Praxis und ist ein Ergebnis der Erfahrungen gemeinsamer Kämpfe“, so Karol Cariola, die in Concepción Geburtshilfe studiert. „Die Probleme im Bildungswesen betreffen die ganze chilenische Gesellschaft: Schüler, Studenten, Eltern und Lehrkräfte. Dazu kommt, dass wir die erste Generation nach dem Ende der Diktatur sind, die keine Angst mehr hat. In unseren Familien und auf der Straße wird wieder über Politik diskutiert.“ Paula Rauch vom Studierendenverband DieLinke.SDS berichtete über die studentischen Aktionen für freie Bildung an deutschen Hochschulen. Dabei hätte es in den letzten Jahren durchaus Erfolge gegeben. "Heute gibt es nur noch zwei Bundesländer, in denen Studiengebühren erhoben werden", so Rauch. Allerdings hätten gerade diese Erfolge der Bewegung auch den Wind aus den Segeln genommen. Für Andreas Keller, im GEW-Vorstand zuständig für Hochschule und Forschung, ist die Privatisierung von Bildung eine weltweite Bedrohung und nicht auf Chile beschränkt. „Es sind internationale Akteure wie OECD, IWF und Weltbank, die die Kommerzialisierung und Privatisierung von Bildung zielgerichtet vorantreiben. Dieser globalen Herausforderung müssen wir als globale Bewegung entgegentreten.“

Die GEW arbeite deshalb aktiv in der Bildungsinternationale mit, dem Dachverband von 400 Bildungsgewerkschaften mit 30 Millionen Mitgliedern weltweit. „Gesellschaftliche Widersprüche brechen heute in Klassenzimmern und Hörsälen auf, weil so viele Menschen davon betroffen sind und weil sich in der Frage der Bildung die Zukunft unserer Gesellschaften entscheidet.“ Was man denn konkret tun könne, um die Welt zu verändern, wie es der Titel der Veranstaltung verspricht, wollte eine Teilnehmerin aus dem Publikum zum Abschluss der Veranstaltung wissen. Es gibt darauf nicht die eine Antwort, erwiderte Camila Vallejo. In jedem Land seien die Bedingungen unterschiedlich. „Wichtig ist, dass wir weiter an der Basis arbeiten, uns zusammenschließen und unsere Organisationen stärken. Dafür brauchen wir einen langen Atem.“ Und Jorge Murúa ergänzt: „Verhindert das weitere Vordringen des Neoliberalismus in Europa. Damit übt ihr Solidarität mit uns und mit euch selbst.“