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Arm und reich in Deutschland

„Wir haben tolle Möglichkeiten“

Aquarium-AG, Billardtische und überall Smartboards: Die Philipp-Reis-Schule in Friedrichsdorf/Taunus zeigt, wie gut Bildungseinrichtungen ausgestattet sein können, wenn Kommunen über die nötigen Finanzmittel verfügen.

Regale voller Bücher, Arbeitsplätze mit Laptop und WLAN – so kann gute Bildung aussehen, wenn nicht am Geld gespart werden muss. (Foto: Christoph Boeckheler)

So schön kann Schule sein: In jedem Klassenzimmer gibt es Smartboard und WLAN, die Schülerinnen und Schüler sitzen auf höhenverstellbaren Drehstühlen, blicken durch bodentiefe Fenster auf Apfelbäume. Außenjalousien halten die Sonne fern, Schallschutzplatten dämpfen den Lärm. In Aquarien flitzen glitzernde Fische aus aller Welt zwischen Algen umher. Die Kinder können nach Herzenslust in Laboren experimentieren, in der Werkstatt eigenhändig aus Holz Möbel zimmern, Theater auf großer Bühne spielen, im Orchester musizieren, Roboter programmieren – und, und, und. „Wir haben tolle Möglichkeiten“, sagt Schulleiterin Ellen Kaps. Die Philipp-Reis-Schule in Friedrichsdorf im hessischen Hochtaunuskreis ist ein Beispiel dafür, was möglich ist, wenn nicht am Geld gespart wird. Das hat sich auch in der Corona-Krise ausgezahlt. Da Smartboards, Laptops & Co. ohnehin schon lange zum Schulalltag gehören, konnte die kooperative Gesamtschule sehr schnell digitalen Unterricht anbieten.

Dabei kommt der Ganztagsschule zugute, dass sie im reichen Hochtaunuskreis liegt. „Der Kreis ist so clever, viel Wert auf ordentliche Schulen zu legen“, sagt Kreissprecherin Andrea Nagell. Alle 59 Schulen im Hochtaunuskreis könnten sich sehen lassen. Allein der Neubau der Philipp-Reis-Schule kostete rund 70 Millionen Euro. „Dafür gehört die Schule aber auch noch nach über zehn Jahren zu den Vorreitern.“ Die Sprecherin hebt hervor, dass der Kreis bewusst einen Schwerpunkt auf die Schulen setze. „Das ist eine politische Entscheidung. Wir brauchen Geld, um Neubauten von Schulen finanzieren zu können“, meint Nagell.

Hohe Steuereinnahmen

Allerdings eröffnen hohe Steuereinnahmen dem Hochtaunuskreis auch ganz andere finanzielle Spielräume. „Der Unterschied zu anderen Kreisen ist enorm“, sagt Kai Eicker-Wolf von der GEW Hessen. Der Hochtaunuskreis befindet sich im Speckgürtel rund um Frankfurt am Main und gehört zu den reichsten Landkreisen in Deutschland. Die Nähe zur Bankenmetropole in Kombination mit idyllischer Natur lockt -viele Menschen mit hohem Einkommen an. Fast jeder zehnte Steuerpflichtige verdiene jährlich mehr als 125.000 Euro, so die GEW Hessen. Eine Studie des Landesverbands zeigt, dass der Wert eng mit der Höhe der Investitionen in Schulgebäude zusammenhängt. So gab der Hochtaunuskreis zwischen 1992 und 2018 für Bau und Erhalt der Schulen pro Jahr durchschnittlich 1.444 Euro pro Schülerin und Schüler aus. Fünfmal so viel wie die Stadt Kassel: Dort waren es nur 267 Euro.

Die Sozialstruktur sehe im Hochtaunuskreis völlig anders aus, gibt Eicker-Wolf zu bedenken, der Anteil armer Haushalte sei viel geringer. Auffällig sei auch, dass es in dem Kreis relativ viele und teure Privatschulen gebe. In Kassel hingegen sorgten Schimmel im Klassenzimmer, -kaputte Fenster und undichte Decken für Proteste.

Im Hochtaunuskreis leben viele Menschen mit einem hohen Einkommen. Fast jeder zehnte Steuerpflichtige verdient mehr als 125.000 Euro im Jahr. Die Steuersäckel der Kommunen sind daher gut gefüllt – und diese können deshalb in Bildung investieren. Zwischen 1992 und 2018 gab der Kreis für Bau und Erhalt der Schulen pro Jahr durchschnittlich 1.444 Euro pro Schüler aus. Fünfmal so viel wie Kassel. (Foto: Christoph Boeckheler)

Großes Freizeitangebot

In der Philipp-Reis-Schule wird viel Wert darauf gelegt, dass sich die Schülerinnen und Schüler wohlfühlen. Bei der Planung für den Neubau brachten Lehrkräfte und Schulleitung ihre Wünsche ein: „Das Gebäude ist aufgebaut wie ein Dorf mit verschiedenen Höfen“, berichtet Kaps. Jede Klassenstufe hat ihren eigenen Bereich. So spielen die Schülerinnen und Schüler der 5. Klasse auf einem separaten Schulhof mit Fußballfeld, Basketballkörben und Klettergerüst, umringt von Bäumen. Auch die Lehrkräfte haben eigene Teamräume, ausgestattet mit Computern, Teeküche und Schaukelstuhl. „Hier können sie sich zurückziehen, Elterngespräche führen oder die Arbeitsplätze nutzen“, sagt die Schulleiterin.

Besonders stolz ist sie auf das Freizeitangebot der Ganztagsschule: Im Trakt für die 5. und 6. Klassen gibt es Tischkicker und Billardtische, daneben einen Ruheraum. Die Liste der AGs ist lang: Zu den Angeboten gehören beispielsweise Big Band, Garten, Aquarium, Orchester, Ski & Snowboard, Töpfern, Theater oder junge Forscher. Überall in der Schule finden sich idyllische Innenhöfe voller Bäume, Sträucher und Kletterpflanzen. Unter einem Birnbaum steht eine Sitzecke aus Holz, von Schülerinnen und Schülern selbst gebaut. Die Schulleiterin öffnet die Tür zur Bibliothek: Regale voller Bücher reihen sich aneinander, jeder Arbeitsplatz am Fenster verfügt über Laptop samt WLAN.

Die Schule hat eine über 1.000 Quadratmeter große Mensa samt Bühne für Feste, Konzerte oder Theateraufführungen. Die beiden Sporthallen haben Solarzellen auf dem Dach, das komplette Gebäude ist in Passivbauweise errichtet – und selbstverständlich barrierefrei: Es gibt einen Aufzug, und für Menschen im Rollstuhl stehen eigene Toiletten zur Verfügung. Natürlich seien Gebäude und Ausstattung großartig, betont Kaps. „Wir freuen uns über die Möglichkeiten.“ Aber das allein reiche nicht. „Wir müssen damit arbeiten, uns den Raum nutzbar machen“, erklärt die Schulleiterin.

„Wir haben uns früh auf den digitalen Weg gemacht.“ (Ellen Kaps)

Das gilt zum Beispiel für die technische Ausstattung. Als die Schule vor zehn Jahren ins neue Gebäude einzog, verabschiedete sie sich komplett von Kreidetafeln – und schaffte über 100 Smartboards an. „Wir haben uns früh auf den digitalen Weg gemacht“, sagt die Schulleiterin und öffnet die Tür zu einem Klassenzimmer: Mit dem Zeigefinger tippt Deutschlehrerin Stephanie Schön auf der digitalen Tafel auf einen Text über Haustiere, öffnet kurz darauf mit ein paar Klicks ein neues Arbeitsblatt. „Ich möchte die Smartboards nicht missen“, sagt die Lehrerin. „Sie erleichtern das Arbeiten enorm.“ Die Kinder können auch per Hand mit einem Stift auf die Tafel schreiben. Und statt nach der Stunde alles mit einem Schwamm wegzuwischen, wird das Tafelbild gespeichert. Als die Pandemie alle Schülerinnen und Schüler in den Distanzunterricht schickte, fackelte die Schulleitung nicht lange: „Wir wussten, dass wir es können.“

Gute digitale Ausstattung

Vom ersten Tag an lautete die Devise, weiter Unterricht nach Stundenplan zu halten, inklusive Sport und Kunst. „Dafür haben wir uns ein neues Videosystem gegönnt“, berichtet Kaps. Die Finanzierung sei kein Problem gewesen. „Aber man braucht auch Lehrkräfte, die es zum Laufen bringen.“ Vor Weihnachten brach der Server zusammen, aber nach den Ferien klappte es mit dem digitalen Unterricht. Die Kinder konnten von zu Hause aus live verfolgen, was die Lehrkraft an die Tafel schrieb, und sich per Headset an Gesprächen beteiligen. „Rein technisch ist relativ viel möglich“, meint Kaps. Größer sei die pädagogische Herausforderung.

Der GEW-Kreisvorsitzende Rolf Helms-Derfert berichtet, dass der Hochtaunuskreis bereits vor der Corona-Krise Hunderte interaktive digitale Tafeln im Wert von zigtausend Euro für die Schulen angeschafft habe. Im Zuge der Pandemie seien zudem mehrere tausend iPads und Laptops für Lehrkräfte und auch zum Ausleihen an bedürftige Schülerinnen und Schüler finanziert worden. Allerdings gebe es bisher längst nicht in allen Klassenzimmern WLAN. Eine Ausstattung wie an der Philipp-Reis-Schule sei auch im Hochtaunuskreis nicht üblich. „Das sollte aber eigentlich Standard sein“, findet der Personalrat.

„So sollte es eigentlich in allen Schulen aussehen.“ (Rolf Helms-Derfert)

Natürlich laufe auch sonst im Schulalltag nicht alles perfekt, fügt Helms-Derfert hinzu: Handwerker kämen mit Reparaturen nicht hinterher, Sanierungen -zögen sich in die Länge, und der Kreis könne die wachsenden Schülerzahlen an einigen Standorten kaum bewältigen. Aber alles in allem gelte: „Der Kreis investiert schon lange und kontinuierlich in den Bau neuer Schulgebäude“, sagt er. „Auch in puncto digitale Ausstattung passiert viel.“ Allerdings betont Helms-Derfert, dass die Ausstattung der Schulen im Hochtaunuskreis kein Luxus sei. „Sie haben nur das, was man für guten Unterricht braucht“, so der Gewerkschafter. „So sollte es eigentlich in allen Schulen aussehen.“

Die Richtschnur für die Maßnahmen in der Schule sollen nach Ansicht der GEW die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts sein. Dafür schlägt die GEW ein Fünf-Punkte-Programm vor:

5-Punkte-Programm zum Gesundheitsschutz an Schulen
Ab der 5. Klasse muss das gesellschaftliche Abstandsgebot von 1,5 Metern gelten. Dafür müssen Klassen geteilt und zusätzliche Räume beispielsweise in Jugendherbergen gemietet werden.
Um die Schulräume regelmäßig zu lüften, gilt das Lüftungskonzept des Umweltbundesamtes. Können die Vorgaben nicht umgesetzt werden, müssen sofort entsprechende Filteranlagen eingebaut werden.
Die Anschaffung digitaler Endgeräte für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler muss endlich beschleunigt werden. Flächendeckend müssen eine datenschutzkonforme digitale Infrastruktur geschaffen und IT-Systemadministratoren eingestellt werden. Zudem müssen die Länder Sofortmaßnahmen zur digitalen Fortbildung der Lehrkräfte anbieten.
Für die Arbeitsplätze in den Schulen müssen Gefährdungsanalysen erstellt werden, um Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler besser zu schützen.
Transparenz schaffen: Kultusministerien und Kultusministerkonferenz müssen zügig ihre Planungen umsetzen, wöchentlich Statistiken auf Bundes-, Landes- und Schulebene über die Zahl der infizierten sowie der in Quarantäne geschickten Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler zu veröffentlichen. „Wir brauchen eine realistische Datenbasis, um vor Ort über konkrete Maßnahme zu entscheiden“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. 

Übersicht: Alles, was sich an Bildungseinrichtungen mit Blick auf den Gesundheitsschutz in Corona-Zeiten ändern muss.