Zum Inhalt springen

Coronavirus

„Wir haben mit den digitalen Möglichkeiten längst noch nicht aufgeschlossen“

Die Schließungen wegen der Coronavirus-Krise zeigen deutlich: Deutsche Schulen hinken der Digitalisierung weiter hinterher. Fachleute fordern mehr Investitionen. Bildungsungerechtigkeiten sollen sich nicht weiter verschärfen.

Ein echtes Weiterbildungsgesetz muss die Defizite in den institutionellen, finanziellen, zeitlichen und organisatorischen Voraussetzungen für gutes Lehren und Lernen verbessern, so die GEW. (Foto: Pixabay / CC0)

Die Coronavirus-Krise rückt das Digitalisierungsdefizit an deutschen Schulen nach Ansicht der Schulpädagogin Birgit Eickelmann nochmal stärker in den Fokus. „Deutlich wird, dass wir mit den digitalen Möglichkeiten längst noch nicht aufgeschlossen haben“, sagte die Leiterin der ICILS-Studien und Professorin an der Universität Paderborn im Interview mit „Friedrichs Bildungsblog“ der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Die aktuellen Erfahrungen zeigten, „dass in Deutschland in der Fläche zukunftsorientiertes Lernen, von dem die Nutzung digitaler Möglichkeiten einen wichtigen Teil ausmacht, noch nicht Fuß gefasst hat“.

„Es bleiben die zurück, die zu Hause keine für das Lernen und Arbeiten ausreichende Ausstattung vorfinden. Ich hoffe nicht, dass die digitale Spaltung in Deutschland noch größer wird.“ (Birgit Eickelmann)

Die Expertin betonte: „Dass wir mehr Geld in Bildung investieren müssen und auch in digitale Bildung, müsste uns spätestens jetzt klar geworden sein. Das betrifft Anstrengungen, die bundesländerübergreifend sind. Aber auch Anstrengungen auf der regionalen Ebene.“ Laut ICILS-2018-Studie seien die Schulen im Mittel in Deutschland nicht ausreichend ausgestattet. Während der aktuellen Krise könne nur ein Teil der Schülerinnen und Schüler mit eigenen digitalen Lerngeräten arbeiten. „Es bleiben die zurück, die zu Hause keine für das Lernen und Arbeiten ausreichende Ausstattung vorfinden. Ich hoffe nicht, dass die digitale Spaltung in Deutschland noch größer wird.“

Digitale Mindestausstattung der Schulen kostet 21 Milliarden Euro

Die GEW fordert seit langem mehr Geld für die Digitalisierung der Schulen. Die eingeplanten 5,5 Milliarden Euro des Digitalpaktes decken laut einer im September 2019 veröffentlichten GEW-Studie nur knapp ein Viertel des Gesamtbedarfs aller Schulen. Allein für die Mindestausstattung der Berufsschulen seien eine Milliarde Euro pro Jahr erforderlich. Für die allgemeinbildenden Schulen werden demnach in den kommenden fünf Jahren 15,76 Milliarden Euro benötigt, für die berufsbildenden Schulen 5,265 Milliarden Euro. Daraus ergibt sich ein Gesamtbedarf von 21,025 Milliarden Euro und mit Blick auf die bisher eingeplanten Mittel eine Differenz von rund 15 Milliarden Euro.

Die GEW fordert daher eine Verstetigung des Digitalpaktes. „Die Digital-Pakt-Mittel reichen rechnerisch gerade aus, um in den nächsten fünf Jahren die digitale Mindestausstattung der berufsbildenden Schulen zu finanzieren. Für die allgemeinbildenden Schulen bliebe dann kein Cent mehr übrig“, sagt der Leiter des Organisationsbereiches Berufliche Bildung und Weiterbildung beim GEW-Hauptvorstand, Ansgar Klinger.

Kreative Schulen und Lehrkräfte

Mit Blick auf die Coronavirus-Krise würdigte Eickelmann indes, es sei „enorm, mit wie viel Engagement sich die Schulen und die Lehrkräfte jetzt einbringen. Man muss ja immer bedenken, dass jede und jeder Einzelne im System auch im privaten Kontext nun auf Herausforderungen stößt“. Schulen und Lehrkräfte seien derzeit sehr kreativ. 

Dennoch seien nun die Länder gefragt, bei der Digitalisierung Tempo zu machen und Schulen zügig eine niedrigschwellige IT-Infrastruktur bereitzustellen. Wichtig sei aber auch, dass den Schülerinnen und Schülern nicht nur Material bereitgestellt werde, sondern diese auch in den Lernprozessen begleitet würden. „Da muss Schule am Ball bleiben. Verlagert man das auf die Elternhäuser, geht die Bildungsschere in Deutschland weiter auseinander.“