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Tarifrunde Bund und Kommunen 2025

„Wir haben ein Recht auf ein gutes Leben“

Was sagen die Beschäftigten zu den Forderungen der Gewerkschaften in der Tarifrunde TVöD 2025? Was ist ihnen wichtig? Zwei Porträts.

Vinzenz Glaser, Sozialarbeiter (Foto: 18frames)

Aktuell läuft die Tarifrunde für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen (TVöD). Die Gewerkschaften fordern 8 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 350 Euro mehr pro Monat zusätzliche freie Tage und weitere Maßnahmen.

„Wir haben ein Recht auf ein gutes Leben“

Vinzenz Glaser, Sozialarbeiter

Vinzenz Glaser zieht seine Pause jetzt doch noch ein bisschen in die Länge, schließlich gibt es am Ende des längeren Gespräches noch etwas Grundsätzliches zu besprechen. Ihn ärgert es zutiefst, dass sein Berufsstand von Außenstehenden noch allzu oft abschätzig beurteilt wird. Mit der Zuschreibung, er sei einer, der „irgendwie mit Kindern spielt“, kann er sich nach fünf Jahren Ausbildung und Studium nicht identifizieren. Diese Mischung aus Ahnungslosigkeit und Arroganz, mit der sein Berufsstand oft betrachtet werde, habe mit den derzeitigen Tarifauseinandersetzungen zu tun, betont er. 

Von der aktuellen Tarifrunde im TVöD erhofft sich der 32-Jährige Freiburger einen Bewusstseinswandel. „Ich habe die leise Hoffnung, dass solche Aktionen auch das Ansehen von Sozialberufen steigern können“, sagt er. „Allein in Baden-Württemberg fehlen zigtausende Erzieherinnen und Erzieher. Da wäre es nicht schlecht, wenn die Leute mitkriegen, was dieser Beruf wirklich erfordert.“ Jedes GEW-Plakat an der Kita-Wand, jede Flyer-Aktion in der Fußgängerzone könne da der Einstieg in aufklärende Gespräche sein, hofft Glaser, der in der offenen Kinder- und Jugendarbeit arbeitet. An drei Standorten im Freiburger Umland betreut er Jugendtreffs. Die sind in provisorischen Behausungen, etwa einem Wohnwagen oder einem umgebauten Schiffscontainer untergebracht. Die Herangehensweise ist niedrigschwellig; die 10- bis 18-Jährigen kommen und gehen, wann sie wollen, in die Ausarbeitung der Konzepte werden sie einbezogen.

„Auf allen Ebenen fehlt die Anerkennung, unsere Arbeitsbedingungen sind schlecht, und die Bezahlung sowieso.“

Allerdings steht auch bei Glasers Arbeit die Weiterfinanzierung immer wieder auf tönernen Füßen. Zum Teil, weil nicht jeder Gemeinderat den Wert von präventiver offener Jugendarbeit erkennt. Vor allem aber, weil die „Kommunen peu à peu kaputtgespart“ würden. „Und oft wird dann da gespart, wo es aus sozialarbeiterischer Sicht katastrophale Folgen hat“. Doch auch hier ist Glaser dezent optimistisch: „Ich hoffe, dass nach dem Ende der Ampel-Koalition die Erkenntnis wächst, dass diese Sparpolitik ein Ende haben muss.“ Auch ihn selbst träfe es hart, wenn die drei Projekte auf den Prüfstand gerieten. Denn da er selbst noch in der Befristung arbeitet, wäre sein Träger nicht verpflichtet, ihn im gleichen Umfang anderswo einzusetzen.

Auf den ersten Blick mag es verwundern, warum Glaser eine solch große Hoffnung auf die Tarifrunde setzt, Schließlich ist er selbst bei einem kirchlichen Träger angestellt. Doch zum einen ist er nun mal ein politischer Mensch, einer, der „viel Freizeit damit verbringt, für bessere Arbeitsbedingungen zu streiten.“ Und zum anderen werde ein guter Abschluss, so hofft er, genügend Druck aufbauen, damit die Ergebnisse nach und nach auch von den freien Trägern übernommen werden. 

So wie bisher könne es jedenfalls nicht weitergehen. „Auf allen Ebenen fehlt die Anerkennung, unsere Arbeitsbedingungen sind schlecht, und die Bezahlung sowieso“. Letzteres weiß er jetzt auch ganz genau, seit er seine Scheu abgelegt hat und auch im Freundes- und Bekanntenkreis über Geld redet. „Seitdem weiß ich, dass ich wohl nie im Biomarkt einkaufen und mehrfach im Jahr in Urlaub fahren kann. Aber ich finde schon, dass man es sich auch in unserem Beruf leisten können müsste, ein gutes Leben zu führen.“

Die Forderung nach acht Prozent mehr Lohn oder mindestens 350 Euro mehr seien durchaus angemessen, findet er. Und auch die Forderungen nach mindestens drei zusätzlichen freien Tagen und dem „Meine-Zeit-Konto“ seien wichtig. „Gerade wenn man Familie hat, erhöht mehr Freizeit die Lebensqualität enorm“, sagt Glaser, der nur allzu gerne öfter mal über ein verlängertes Wochenende wegfahren würde. „In unserer Branche gibt es leider viele, die dazu neigen, sich aufzuopfern und darüber vergessen, dass auch sie selbst und ihre Kollegen legitime Interessen haben.“

In den Tarifverhandlungen mit dem Bund und den Kommunen fordern die Gewerkschaften kräftige Gehaltserhöhungen für die Beschäftigten sowie wirksame Maßnahmen zur Entlastung:

  • 8 Prozent mehr Gehalt – mindestens 350 Euro
  • höhere Zuschläge für Überstunden und besondere Arbeitszeiten
  • drei zusätzliche freie Tage pro Jahr
  • ein „Meine-Zeit-Konto“, in dem die Beschäftigten Entgelterhöhungen und Zuschläge ansparen können, um sie zur Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit oder für zusätzliche freie Tage beziehungsweise längere Freistellungsphasen zu nutzen
  • einen weiteren freien Tag pro Jahr für Mitglieder
  • eine Wiederaktivierung der Regelungen zur Altersteilzeit

Damit der öffentliche Dienst attraktiv bleibt, müssen die Gehälter rauf und die Arbeitsbedingungen stimmen. Die Beschäftigten haben immer noch an der Belastung durch die hohe Inflation zu knabbern. Gerade im Sozial- und Erziehungsdienst gibt es bundesweit einen großen Fachkräftemangel. Um für junge Fachkräfte attraktiv zu sein, brauchen wir dringend wirksame Entlastung, damit die Kolleginnen und Kollegen gesund bis zur Rente arbeiten können.

Deborah Hemmerich-Droß, Erzieherin (Foto:18frames)

„Es braucht einen langen Atem“

Deborah Hemmerich-Droß, Erzieherin

Wenn Deborah Hemmerich-Droß eines an ihrer Arbeit hasst, dann ist es das Gefühl, bei der Arbeit zu sein ohne wirklich das zu tun, was ihre Profession ausmacht: die frühkindliche Bildung. Für ihren Geschmack hat sie dieses Gefühl derzeit deutlich zu oft. „Wir haben auch hier in der Einrichtung immer mehr Kinder mit sehr hohem Förderbedarf. Das bedeutet allein schon bergeweise Papierkram, bis die Förderung überhaupt durch ist.“ In allen Bereichen wachse die Bürokratie exponentiell. „Dann sitzt du am Schreibtisch und denkst: Ich würde jetzt so gerne mit den Kindern arbeiten.“ 

Seit 2021 arbeitet die 31-Jährige als Erzieherin in einer Kita in Mittelhessen. Davor war sie acht Jahre in der vollstationären Kinder- und Jugendpflege beschäftigt. Die Erfahrungen aus beiden Bereichen konvergieren bei ihr in einem Punkt: „Es brauchte überall viel mehr Zeit für die frühkindliche Bildung. Aber wie soll das gehen, wenn den Beschäftigten immer mehr abverlangt wird – vor allem über die Arbeitszeit am Kind hinaus?“

Eine fachlich gute Vorbereitung, wie sie ihrem Anspruch entspräche, sei auch in ihrer Einrichtung, die „völlig am Limit“ sei, in der Arbeitszeit oft schlicht nicht zu schaffen. Also bleibe sie zuweilen länger, mal eine halbe Stunde, mal eine ganze. Doch wenn zehn Überstunden zusammengekommen sind, muss ein freier Tag genommen werden. Ob der nun zu den privaten Plänen passt oder nicht. Ein Unding findet das Hemmerich-Droß, die auch deshalb die Forderung der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in der Tarifrunde Bund und Kommunen nach drei zusätzlichen freien Tagen begrüßt – wie das gesamte Team, mit dem sie ausführlich über das gesamte Forderungspaket gesprochen hat.

„Es können noch so viele Neubauten eingeweiht werden, wenn es keine guten Leute sind, die den Job mit Überzeugung machen, bringt auch eine neue Kita wenig.“

Wobei es wohl noch einen langen Atem braucht, bis das größte derzeitige Problem gelöst ist: Hemmerich-Droß ist der festen Überzeugung, dass die frühkindliche Bildung ohne mehr Fachkräfte vor die Wand fährt. „Es gibt ja vielerorts kaum noch Leute, die den Laden am Laufen halten. Schon gar keine examinierten.“ Genau deshalb müsse jetzt endlich wieder die Qualität der Arbeit in den Vordergrund rücken. „Was der derzeitige Fachkräftemangel mit der Qualität der Arbeit macht, sehen wir leider alltäglich. Das nähert sich immer mehr einer Minimalversorgung an.“ Die Politik verspreche zwar immer mehr Kitaplätze, tue aber zu wenig gegen den Fachkräftemangel in diesem Bereich. „Es können noch so viele Neubauten eingeweiht werden, wenn es keine guten Leute sind, die den Job mit Überzeugung machen, bringt auch eine neue Kita wenig.“

Es brauche finanzielle Anreize, um mehr Fachkräfte für den Bereich zu gewinnen, betont sie. Daher sei ein guter Tarifabschluss wichtig, der mehr Geld und mehr Freizeit bringt. Sie ist zuversichtlich, dass das gelingen kann: Mit Kolleginnen und Kollegen, die immer kämpferischer würden. Und mit einem wachsenden Bewusstsein dafür, wie wichtig die Menschen sind, die von der Krippe bis zur Jugendhilfe im Bildungssystem arbeiten. „Ich habe schon die leise Hoffnung, dass wir bald wieder auf einen besseren Weg kommen.“

Drei Verhandlungsrunden

In der Tarifrunde wird für rund 2,5 Millionen Tarif-Beschäftigte verhandelt, die im öffentlichen Dienst beim Bund und in den Kommunen arbeiten. In der GEW gilt das beispielsweise für Erzieher*innen, Sozialarbeiter*innen sowie Sozialpädagog*innen.

Verhandlungsauftakt war am 24. Januar 2025 in Potsdam. Die zweite Runde ist für den 17./18. Februar geplant, die dritte Runde soll vom 14. bis 16. März stattfinden, ebenfalls in Potsdam.