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Care-Arbeit

„Wir gehen fahrlässig mit dem weiblichen Bildungspotenzial um“

Für die Gleichstellung in den privaten Haushalten zwischen Frauen und Männern brauche es eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung, meint die Soziologin Uta Meier-Gräwe im E&W-Interview.

Uta Meier-Gräwes Arbeitsschwerpunkte sind Familien-, sozio-ökonomische Haushalts- und Geschlechtersoziologie, Armuts-, Zeit- und Dienstleistungsforschung. (Foto: Uta Meier-Gräwe)
  • E&W: Frau Meier-Gräwe, wie verteilt sich die für Care-Arbeit aufgewendete Arbeitszeit zwischen Frauen und Männern?

Meier-Gräwe: Das Statistische Bundesamt befragt etwa alle zehn Jahre die Mitglieder privater Haushalte, wie viel Zeit sie für welche Tätigkeiten aufwenden. Die letzte sogenannte Zeitverwendungserhebung (ZVE) weist 60 Milliarden Stunden für die Arbeit aus, die Frauen in Deutschland im Jahr 2013 unbezahlt zur Versorgung im eigenen Haushalt geleistet haben. Das sind mehr Stunden als Männer insgesamt im produzierenden Gewerbe und in den wirtschaftsnahen Dienstleistungen arbeiten.

Ohne die Arbeit des Sich-Kümmerns um Kinder und/oder hilfebedürftige Angehörige, aber auch zur Wiederherstellung der Arbeitskraft der erwerbstätigen Familienmitglieder könnte unser Wirtschaftssystem nicht einen Tag laufen. Diese Arbeit wird immer noch gern als „Liebesdienst“ betrachtet, um die Kosten dafür möglichst gering zu halten. Es gibt immerhin seit der ersten Zeitbudgeterhebung den Wertebaustein „Haushaltsproduktion“, der den Geldwert der unbezahlten Arbeit ausweist.

„Würde die Care-Arbeit mit dem bescheidenen Nettostundenlohn einer Hauswirtschafterin von 9,25 Euro bewertet, fiele das Bruttoinlandsprodukt um 39 Prozent höher aus.“

  • E&W: Was ist diese Hausarbeit wert?

Würde diese Arbeit nur mit dem bescheidenen Nettostundenlohn einer Hauswirtschafterin von 9,25 Euro bewertet, fiele das Bruttoinlandsprodukt insgesamt um 39 Prozent höher aus! Das wird gern verschwiegen und zeigt, dass sich die grundsätzliche Abwertung der Care-Arbeit eben auch bei den Löhnen in den Frauenberufen zeigt.

„Mütter in Paarhaushalten und Alleinerziehende leisten 39 Stunden und 50 Minuten unbezahlter Care-Arbeit pro Woche, aber nur 17 Stunden und 22 Minuten für bezahlte Erwerbsarbeit. Bei Vätern ist es umgekehrt.“

  • E&W: Wie hat sich die Verteilung der Care-Arbeit zwischen Frauen und Männern in den zurückliegenden Jahren entwickelt?

Meier-Gräwe: An der Verteilung der Care-Arbeit zwischen den Geschlechtern hat sich seit der ersten Zeiterhebung 1991/92 wenig verändert. Bei der Pflege und Kinderbetreuung beteiligen sich im Haushalt lebende männliche Erwachsene seither zwar etwas mehr, aber nicht beim Waschen, Kochen, Putzen, Einkaufen und Organisieren. Frauen arbeiteten laut Statistischem Bundesamt 2015 insgesamt zu zwei Dritteln unbezahlt und nur zu einem Drittel bezahlt. Mütter in Paarhaushalten und Alleinerziehende leisten 39 Stunden und 50 Minuten unbezahlter Care-Arbeit pro Woche, aber nur 17 Stunden und 22 Minuten für bezahlte Erwerbsarbeit. Bei Vätern ist es umgekehrt.

  • E&W: Die Arbeitsbelastung der Frauen hat sich nicht geändert?

Meier-Gräwe: Nein, im Gegenteil. Zeitdruck und Belastung sind erheblich, vor allem wenn es darum geht, die unbezahlte Haus- und Sorgearbeit mit einer bezahlten Berufstätigkeit zu verbinden. Es sind die Frauen, die in der Regel neben dem Kochen, Putzen, der Kinderbetreuung und der emotionalen Zuwendung auch noch die gesamte Haushaltsorganisation am Hals haben: Sie sind es, die an die Schwimmsachen denken, das Rezept für Oma abholen oder den Partner erinnern müssen, dass noch Wasser und Fruchtsaft eingekauft werden müssen. Aufgrund dieser Allzuständigkeit bleiben Mütter weit unter ihren beruflichen Möglichkeiten, obwohl sie inzwischen – mit Blick auf die Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse– auf ähnlichem Niveau wie die Männer sind, ja beim Abitur sogar die Nase vorn haben.

  • E&W: Die besseren Bildungsabschlüsse der Frauen haben für diese keine positiven Effekte?

Meier-Gräwe: Die gute Bildung nützt nichts, wenn die gesamte Care-Arbeit weiterhin meist an den Frauen hängen bleibt. Die Folgen sind finanzielle Abhängigkeit und Altersarmut. Fazit: Heute erhalten 35-jährige Mütter mit einem Kind oder mehreren Kindern ein Lebenserwerbseinkommen, das 62 Prozent unter dem der männlichen Vergleichsgruppe liegt. Ich frage mich schon lange, warum wir so fahrlässig mit dem weiblichen Bildungs- und Beschäftigungspotenzial umgehen.

  • E&W: Wie lauten Ihre Lösungsvorschläge?

Meier-Gräwe: Eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich würde weiterführen. Mütter und Väter könnten dann zum Beispiel beide zu je 30 Wochenstunden erwerbstätig sein, dann aber fair zwischen den Geschlechtern verteilt, beide könnten sich einen Großteil der häuslichen Sorgearbeit teilen.

Darüber hinaus ist es notwendig, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Zuschüsse in Form eines staatlich finanzierten Gutscheins für haushaltsnahe Dienstleistungen nach belgischem Vorbild einzuführen. So würden auch erwerbstätige Eltern von einigen Hausarbeiten wirksam entlastet und gleichzeitig endlich sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für die vielfältigen haushaltsnahen Dienstleistungen geschaffen.

Zur Person:

Uta Meier-Gräwes Arbeitsschwerpunkte sind Familien-, sozio-ökonomische Haushalts- und Geschlechtersoziologie, Armuts-, Zeit- und Dienstleistungsforschung. Die heute 70-Jährige hatte bis zur Emeritierung 2018 die Professur für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen inne und gehörte der Sachverständigenkommission für den 2017 veröffentlichten Zweiten Gleichstellungsbericht an.

Info:

In Belgien verteilt der Staat seit 2004 Gutscheine für Haushaltshilfen und bekämpft so die Schwarzarbeit. Wer eine Haushaltshilfe beschäftigen möchte, kann dafür Gutscheine erwerben; rund zwei Drittel des Gutscheinwertes werden vom belgischen Staat getragen. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag eine vergleichbare Förderung angekündigt. Das Vorhaben wurde bislang aber noch nicht umgesetzt.