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Bildungs(unter)finanzierung

Wir brauchen mehr Schulden!

Von der Kita bis zur Hochschule und Erwachsenenbildung: Überall fehlt Geld im Bildungssystem. Schuld daran sind klamme Kassen in den Kommunen und die Schuldenbremse.

Ganz offensichtlich gibt Deutschland an vielen Stellen zu wenig Geld für Bildung aus. (Foto: GEW)

Achtung, Binsenweisheit: Jeder Euro für die Bildung der Kinder und Jugendlichen ist ein gut investierter Euro. Das lässt sich sogar eiskalt durchrechnen. Je besser die Bildung, desto produktiver die Volkswirtschaft, desto höher der Wohlstand, die Löhne, die Gewinne – und am Ende auch die Steuereinnahmen. Ein Win-Win-Win für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und den Staat.

Für eine alternde Wissensgesellschaft wie die deutsche ist diese Binsenweisheit besonders wichtig. Die deutsche Wirtschaft lebt von klugen Köpfen, nicht von bestimmten Rohstoffen. Und das Land altert. Nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes wird 2040 ein Viertel der Bevölkerung älter als 67 Jahre sein, heute ist es ein Fünftel, 2000 war es ungefähr ein Siebtel. Und auch im internationalen Vergleich ist Deutschland eine „Altenrepublik“. Unter den großen Industrieländern hat nur Japan (49 Jahre) einen größeren Altersmedian als Deutschland (45 Jahre). Das mittlere Alter in Frankreich liegt beispielsweise bei 42 Jahren, das in den USA bei 38 Jahren.

Für den Arbeitsmarkt hat das gravierende Auswirkungen: Bis 2035 werden 18 Millionen Menschen den Arbeitsmarkt verlassen und in Rente gehen, aber nur elf Millionen Junge nachrücken. Macht eine Lücke von sieben Millionen Erwerbstätigen im Jahr 2035. Um die zu kompensieren, braucht es deutlich mehr Zuwanderung und Produktivitätszuwächse. Beides wiederum erfordert eine Investitionsoffensive in das Bildungssystem.

Deutschland gibt zu wenig Geld für Bildung aus

Das deutsche Bildungssystem ist das Rückgrat unseres Wohlstandes, hat aber derzeit mit mehreren Bandscheibenvorfällen zu kämpfen. Es fehlen Hunderttausende Plätze in Kitas und Ganztagsgrundschulen, Schulgebäude und Turnhallen sind marode, Kita-Gruppen und Klassen überfüllt, Lehrkräftezimmer unterbesetzt – und Studienergebnisse wie PISA oder der Bildungstrend des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) zunehmend schockierend. Die Liste ließe sich weiterführen: Es fehlen Studienplätze für Bildungsberufe, das BAföG steht zu wenigen zur Verfügung und bedeutet oft Studieren in Armut, das Studiendarlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ist eine teure Schuldenfalle, vor der selbst Verbraucherzentralen warnen.

Ganz offensichtlich gibt Deutschland an vielen Stellen zu wenig Geld für Bildung aus. In den Kommunen beläuft sich der Investitionsstau laut KfW-Kommunalpanel 2024 bei Schulgebäuden auf rund 55 Milliarden Euro und für Kindertagesstätten auf knapp 13 Milliarden. In Summe also 68 Milliarden Euro. Allein für die Infrastruktur in den Kommunen. Und wohlgemerkt: Mit dem Geld ließe sich die verkommene Infrastruktur nur wieder in Schuss bringen. Nicht aber große Fortschritte realisieren, mit denen Bildungsgebäude zu den modernsten und besten Gebäuden der Städte und Gemeinden würden. Dabei wäre genau das für eine alternde Gesellschaft aber angemessen.

Noch dramatischer ist die Situation in den Kitas

Hinzu kommt der Personalmangel. Laut Länderangaben fehlten 2023 in Deutschland fast 15.000 Vollzeitstellen in den Lehrkräftezimmern. Noch dramatischer ist die Situation in den Kitas. Hier betrug die Lücke im vergangenen Jahr fast 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Personalkosten machen den Großteil der Bildungsausgaben aus und werden im Wesentlichen von den Ländern und Kommunen getragen.

Bitter ist in Sachen Ausgaben auch der internationale Vergleich. Die jüngsten Vergleichszahlen des Statistischen Bundesamtes stammen aus dem Jahr 2020. In diesem Jahr gaben die öffentlichen Haushalte 4,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Bildung aus. Damit lag Deutschland unter dem Schnitt der Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von 5,1 Prozent und weit hinter den skandinavischen Spitzenreitern Norwegen (6,8 Prozent) und Island (6,3 Prozent) sowie Schweden, Dänemark und Finnland mit jeweils knapp 6 Prozent. Frankreich investierte 5,5 Prozent, die USA lagen bei 6,1 Prozent.

Viele Kommunen sind überschuldet

Die zwei größten Hemmschuhe für größere finanzielle Anstrengungen sind klamme Kassen in den Kommunen und die Schuldenbremse. Viele Gemeinden, Städte und Kreise sind überschuldet, müssen zum Teil schon ihre Personalausgaben aus teuren Kassenkrediten wuppen. Besonders betroffen sind jene Kommunen, die mit Strukturwandel zu kämpfen haben: etwa in Nordrhein-Westfalen, im Saarland und in Brandenburg. Die derzeitige Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag eine Altschuldenlösung für überforderte Kommunen vorgenommen. Weil aber die Verhandlungen mit den Ländern stocken, die die Hälfte der Altschulden übernehmen sollen, passiert nichts.

Noch dramatischer ist das Grundproblem der Kommunen: Einnahmen und Ausgaben passen nicht zusammen. Der Großteil der Einnahmen geht auf Steuern zurück, am zweitwichtigsten sind Zuweisungen des Bundes und der Länder. Die wichtigsten Steuern für die Kommunen sind die Einkommensteuer, die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer. Die Krux: Die Einnahmen boomen, wenn die Konjunktur gut ist und die Wirtschaft läuft – und brechen andersherum in der Krise weg. Die Ausgaben wiederum sind entweder unabhängig von der Konjunktur, etwa Kosten für Busfahrer, Kitas, Jugendzentren oder die Aufnahme Geflüchteter; oder sogar antizyklisch, steigen also, wenn die Wirtschaft kriselt. Bestes Beispiel: die Sozialausgaben. Wenn die Wirtschaft schlecht läuft, gibt es mehr Arbeitslose und entsprechend mehr Sozialausgaben. Das Ergebnis: Schwächelt die Wirtschaft, sinken die Einnahmen, während die Ausgaben teilweise steigen.

Reform der Kommunalfinanzen oder der Schuldenbremse nötig

Und dann ist da noch die Schuldenbremse. Besser gesagt: die Schuldenbremsen. Denn seit 2020 haben auch die Länder eine Schuldenbremse. Die ist strenger als die des Bundes, verbietet nämlich bis auf wenige Ausnahmen neue Schulden. Der Bund darf dagegen 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als strukturelle Schulden aufnehmen.

Das Problem: Ausgerechnet die Länder tragen fast 70 Prozent der Bildungsausgaben. Das Bildungssystem ist deshalb so stark von der Schuldenbremse betroffen wie kaum ein anderer Bereich. Zum Vergleich: Investitionen in die Bundeswehr oder Bahnschienen werden zum Großteil über den Bund abgewickelt, der erstens eine lockerere Schuldenbremse hat und zweitens Ausnahmen wie Sondervermögen oder Eigenkapitalerhöhungen (laufen an der Schuldenbremse vorbei) nutzt. Der Druck auf die Länderhaushalte wirkt sich außerdem auch auf die Kommunen aus: weil die Länder die zweitwichtigste Einnahmequelle für die Kommunen sind und Aufgaben an diese abtreten, um selbst Geld zu sparen, aber die Kommunen nicht entsprechend ausstatten.

Ohne eine Reform der Kommunalfinanzen oder der Schuldenbremse wird die massive Unterfinanzierung im Bildungsbereich nicht zu lösen sein. Möglichkeiten gibt es viele: Bund und Länder können die Altschulden übernehmen, die Zuweisungen an die Kommunen erhöhen, die Gewerbesteuerumlage (von den Kommunen an den Bund) streichen, die Schuldenbremse lockern oder ein Sondervermögen Bildung auflegen – so wie für die Bundeswehr. Es geht um nicht weniger als den Wohlstand einer alternden Gesellschaft! 

Maurice Höfgen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Linken im Deutschen Bundestag und betreibt den YouTube-Kanal „Geld für die Welt“.