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Gleichstellung

Wir brauchen mehr „revolutionäre Geduld“!

Gleichstellungspolitik ist keine Symbolpolitik. Sie muss jetzt gegen die Angriffe von Rechtsaußen verteidigt werden.

Frauke Gützkow, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands, AB Frauen-, Gleichstellungs-, Geschlechterpolitik (Foto: Alice End)

Es gibt schon allerhand Kurioses in der deutschen Geschichte, wenn es um die Gleichberechtigung von Frau und Mann geht. Vor 70 Jahren zum Beispiel wurde in der alten Bundesrepublik ein Erlass veröffentlicht, der besagte: Eine Frau kann den Behörden gegenüber eine schriftliche Erklärung abgeben, wenn sie nicht mit „Fräulein“ angesprochen werden will. Für unverheiratete Frauen war die Bezeichnung „Fräulein“ üblich, sie klebte ihnen eine Art Etikett auf: Stehe dem Heiratsmarkt zur Verfügung! Erst zu Beginn der 1970er-Jahre wurde diese Anrede offiziell in behördlichen Schreiben abgeschafft; in der DDR konnten Frauen schon seit 1951 auch ohne staatliche Erlaubnis die Bezeichnung „Frau“ führen. Eine männliche Entsprechung für den Begriff gab und gibt es nicht.

Der Mann ist so etwas wie die Standardeinstellung, an der sich die Frau messen lassen muss.

Was das mit Gleichberechtigung im 21. Jahrhundert zu tun hat? Viel. Denn es offenbart ein Muster, das bis heute wirkt: Der Mann ist so etwas wie die Standardeinstellung, an der sich die Frau messen lassen muss. Wenn Frauen in den Männerclubs von Politik oder Wirtschaft aufsteigen, nennt man sie Quotenfrauen. Dass sie durch Qualifikation und Leistung dahin gekommen sind, wird ausgeblendet. Mittelbare Diskriminierung zu bekämpfen, braucht Zeit. Oder, wie die Juristin, Gewerkschafterin und Feministin Heide Pfarr sagt: „revolutionäre Geduld“. Sie meint damit, dass wir in der Gleichstellungspolitik neue Wege gehen und Beharrlichkeit zeigen müssen: „Ihr werdet uns nicht los, wir machen weiter.“

Denn um auch die subtilen Diskriminierungen zu beseitigen, brauchen wir einen Wandel tief verwurzelter Einstellungen. Nehmen wir das Erwerbsleben, den wichtigsten Motor für Gleichstellung: Die Erwerbstätigenquote von Frauen ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in den vergangenen 20 Jahren von 58,8 Prozent (2003) auf 73,6 Prozent (2023) gestiegen, allerdings arbeiten 50 Prozent der Frauen in Teilzeit (Männer: 13 Prozent), und nur 28,7 Prozent der Führungspositionen sind von Frauen besetzt; der unbereinigte Gender Pay Gap liegt bei 16 Prozent (2024).

Langsam ändern sich Einstellungen im Westen

Die GEW setzt sich daher für gleiches Geld für gleiche und gleichwertige Arbeit ein, sie kämpft für gute Gleichstellungsgesetze und starke Gleichstellungsbeauftragte. Nur wenn Frauen genau wie Männer eine Perspektive am Arbeitsplatz haben, ihre Kompetenz entfalten können, sich zugehörig fühlen, wird sich die Arbeitswelt verändern. Das wird auch die Geschlechterverhältnisse im Privaten verändern. Dahin kommen wir nur, wenn es uns gelingt, mit revolutionärer Geduld beides gleichzeitig zu verändern: die Einstellungen und die Strukturen.

Wie eng beides miteinander verwoben ist, lässt sich mit Blick auf die Geschichte der Frauenerwerbstätigkeit in Ost- und Westdeutschland zeigen. In der DDR war die werktätige Mutter Symbol einer leistungsfähigen sozialistischen Gesellschaft, in der BRD dominierte das Zuverdienstmodell. Entsprechend war im Osten Vollzeiterwerbstätigkeit die Norm, im Westen nicht. Dies prägte die Strukturen noch nach der Vereinigung in den 1990er-Jahren: ein dichtes Netz an Kitas und Ganztagsschulen Ost, ein löchriger Flickenteppich West.

Auch mehr als 35 Jahre nach dem Mauerfall hat sich daran bemerkenswert wenig geändert. Die Teilzeitquote von Frauen ist in Ostdeutschland rund 15 Prozentpunkte niedriger als jene im Westen der Republik. Immerhin, langsam ändern sich im Westen die Einstellungen. Das hat auch mit dem Ausbau von Kinderbetreuung und Ganztagsschulen im ganzen Land zu tun. Eine kluge Gleichstellungspolitik muss dieses Wechselspiel von Rahmenbedingungen und Einstellungen, von Normen und Strukturen im Kopf haben, um Erfolge zu erzielen.

Der Antifeminismus der Neuen Rechten

Dieser doppelte Blick ist wichtiger denn je. Denn die Kräfte in der Gesellschaft, die Gleichstellung als Bedrohung sehen, sind wieder stärker geworden. Antifeminismus gehört zu den zentralen Bestandteilen der Erzählungen der Neuen Rechten. Dieses Narrativ trägt dazu bei, rechtsextreme Positionen gesellschaftsfähig zu machen. Es baut eine Brücke ins konservative Lager – auf traditionelle Familien- und Frauenbilder kann man sich am ehesten einigen. 

Dieser neue Antifeminismus gefährdet nicht nur Frauen, er bedroht auch unsere Demokratie. Denn verwoben mit Autoritarismus will er ebenso die Rechte von Schulen und Universitäten beschneiden. Genderstudies und Geschlechterforschung werden zum Feindbild. Es ist Aufgabe auch der Gewerkschaften, ein Bollwerk gegen diesen neuen Antifeminismus zu bilden, die weltoffene Gesellschaft ebenso zu schützen wie die Rechte der Beschäftigten.

Männer mit in den Blick zu nehmen, wird in diesen Zeiten wichtig, um unsere offene, diverse Gesellschaft zu verteidigen. Gerade weil sich in Zeiten der Unsicherheiten und Krisen ein Teil der Männer auf tradierte Vorstellungen von Männlichkeit stützt. Rechtsextreme und rechtspopulistische Kräfte befeuern das durch Propaganda und Inszenierung von kollektiver Männlichkeit. Aber es gibt sie, die Männer, die sich nicht auf überkommene Geschlechtererwartungen festtackern lassen, sondern ihren Teil der Haus-, Erziehungs- und Sorgearbeit leisten, weil ihnen eine Partnerschaft auf Augenhöhe wichtig ist. Sie können zu Brückenbauern werden.

Gleichstellungspolitik ist keine Symbolpolitik. Sie hat Missstände analysiert, Rechte erkämpft und mit Konzepten für Geschlechtergerechtigkeit und Vielfalt vorgelegt. Viel ist geschafft, noch mehr bleibt zu tun. Lasst uns an einem Strang ziehen, um den Rollback durch die Kräfte von Rechtsaußen zu verhindern.