Wenn ein voll berufstätiger Mann hunderte Überstunden vor sich herschiebt und mit 60 einen Herzinfarkt bekommt, stimmt mit seinem Arbeitsmodell etwas nicht. Wenn eine Frau im Laufe ihres Lebens bis zu 200.000 Euro an Lohn verliert, weil sie sich auch um Kinder kümmert, dann stimmt mit ihrem Arbeitsmodell ebenfalls etwas nicht. Es besteht Handlungsbedarf. An neuen Ideen, wie Erwerbsarbeit und unbezahlte Hausarbeit gerechter zu verteilen wären, mangelt es nicht. In der Märzausgabe der "E&W" stellt Heide Oestreich einige vor.
- Familienarbeitszeit
Die Familienarbeitszeit von SPD-Familienministerin Manuela Schwesig sieht vor, dass beide Elternteile in der Familienphase ihre Arbeitszeit für drei Jahre auf 28 bis 36 Stunden begrenzen und dafür ein Familiengeld von je 150 Euro erhalten. Für Familien soll es sich mehr lohnen, wenn Mütter und Väter in die so genannte "große" Teilzeit gehen, als wenn nur ein Elternteil halbtags arbeitet und der andere in Vollzeit. Das Arrangement kann für zwei Jahre in Anspruch genommen, das Angebot gilt, bis die Kinder acht Jahre als sind. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) flankiert dieses Vorhaben mit einem Gesetzentwurf, nach dem Menschen nicht nur ein Recht auf Teilzeitarbeit haben, sondern ebenso, nach einer bestimmten Frist ihre Arbeitszeit wieder aufzustocken. Zudem hat Nahles in ihrem "Weißbuch Arbeit 4.0" angeregt, mit Betriebsvereinbarungen über flexible Arbeitszeiten zu experimentieren. Länge, Lage und Ort der Arbeit sollen individuell vereinbart werden können.
- Wahlarbeitszeit
Die Richtung, in die Nahles dabei denkt, ist das Modell der Wahlarbeitszeit, das der Deutsche Juristinnenbund entwickelt hat. Danach soll sogar ein Rechtsanspruch auf die freie Wahl von Arbeitszeit und -ort eingeführt werden. Zunächst sollen einzelne Betriebe in einer Pilotphase mit der Flexibilisierung der Erwerbstätigkeit Erfahrungen sammeln. Auch der DGB ist an solchen Experimenten interessiert, lehnt aber eine Öffnung des Arbeitszeitgesetzes ab. Die Gefahr, Arbeit zu entgrenzen, sei zu groß.
- Zeitkorridor schaffen
Die Grünen fordern in einem Antrag aus dem Frühjahr 2016 (Drucksache 18/8241) das Recht, jede Vollzeitstelle auf bis zu 30 Stunden absenken zu können, also eine Art Zeit-Korridor zwischen 30 und 40 Stunden zu schaffen - inklusive eines Rückkehrrechts auf die Vollzeitstelle. Auch die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten, sollen Beschäftigte erhalten, wenn dem nicht dringende betriebliche Gründe entgegenstehen. Die Linkspartei setzt auf eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich.
- Neue Normalarbeitszeit von 32 Stunden
Die Vorschläge der Kommission "Arbeit der Zukunft" der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) werden im Juni veröffentlicht. Aber in den HBS-Diskussionen spielte die Wahlarbeitszeit des Juristinnenbundes dem Vernehmen nach eine große Rolle. So will Kommissionsmitglied Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), eine neue Normalarbeitszeit einführen, die nur noch 32 Stunden umfasst - Abweichungen nach unten oder oben sollen in verschiedenen Lebensphasen möglich sein. Allmendinger streckt allerdings die Erwerbsphase insgesamt bis zum 70. Lebensjahr und denkt daran, Auszeiten oder kürzere Arbeitszeiten durch "vorfristige Rentenansprüche" über die Rentenversicherung vor dem offiziellen Rentenbeginn zu finanzieren.
- "Demo-Fonds"
Die Gewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE) hat 2011 erstmals einen Tarifvertrag abgeschlossen, nach dem die Betriebe einen bestimmten Betrag pro Person in einen "Demo-Fonds" einzahlen. Aus diesem können dann die Lohnausfälle in Phasen beglichen werden, in denen eine Arbeitskraft nicht voll erwerbstätig sein kann oder will. Die Beschäftigten beteiligen sich über geringere Lohnzuwächse an dem Topf. Sie können für Kinder oder Pflegezeiten auf eine 80-Prozent-Stelle wechseln, aber auch ein Sabbatjahr oder die Altersteilzeit mit diesem Geld finanzieren.