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FES-Studie

Wie rechts ist die Mitte?

Die Ende April veröffentlichte „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) schlägt Alarm: Die politische Mitte erodiere, rechtsextreme und -autoritäre Einstellungen würden zunehmend salonfähig.

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Foto: imago images/Ikon Images

Wer gehört in Deutschland zur politischen Mitte? Die Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Die klassischen Volksparteien SPD und CDU/CSU nehmen seit jeher für sich in Anspruch, die Mitte zu vertreten. Vereinfacht gesagt: Alle Einstellungen, die zwischen den extremen linken und rechten politischen Rändern liegen, werden als zur Mitte zugehörig betrachtet. Es ist daher ein Alarmsignal, wenn in dieser Mitte rechte Meinungen auf fruchtbaren Boden fallen. So kam die Bertelsmann Stiftung im vergangenen Jahr in ihrem Populismusbarometer zu dem Schluss, dass populistische Einstellungen in der Mitte zunähmen und vor allem die rechtsnationalistische AfD davon profitiere.

Doch wie rechts denkt die Mitte in Deutschland wirklich? Darauf versucht die SPD-nahe FES seit 2006 in einer Studien-Reihe eine Antwort zu finden. Alle zwei Jahre untersucht ein Autorenteam die Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland. Ende April wurde die jüngste Erhebung vorgestellt. Sie trägt den Titel Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Für die 327 Seiten umfassende aktuelle repräsentative Erhebung wurden 1.890 Menschen mit deutschem Pass telefonisch befragt. Sie mussten zu einem Katalog von Aussagen Stellung nehmen und den Grad ihrer Zustimmung ausdrücken, von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „stimme voll und ganz zu“.

Die erste Ausgabe vor 13 Jahren war mit „Vom Rand zur Mitte“ überschrieben, 2008 lautete der Titel „Bewegung in der Mitte“, zwei Jahre später „Die Mitte in der Krise“, 2012 „Die Mitte im Umbruch“, 2014 („Fragile Mitte“) kam der Untertitel „Feindselige Zustände“ dazu, die Erhebung 2016 wurde mit dem Titel „Gespaltene Mitte“ veröffentlicht. Jetzt also ist die Mitte, folgt man den Studienmachern, bereits verloren.

Dabei sind die Aussagen dazu in der Studie längst nicht so eindeutig. So ist die Islamfeindlichkeit in der aktuellen Erhebung deutlich geringer ausgeprägt als früher; heute stimmen 18,7 Prozent abwertenden Aussagen zu Muslimen zu, 2016 lag der Wert unwesentlich niedriger bei 18,3 Prozent, 2014, also vor der sogenannten Flüchtlingskrise, bei 17,5 Prozent, in den 2000er-Jahren wurden jedoch deutlich höhere Werte erreicht: 30,3 Prozent (2006) und 22,4 (2008).

Beate Küpper vom Autorenteam der Studie betont allerdings gegenüber E&W, dass diese Aussagen im Zusammenspiel mit anderen Indikatoren betrachtet werden müssten. Es habe sie und ihre Kollegen überrascht, wie sehr eine Anti-Establishment-Haltung, wie sie etwa in der Zustimmung zu Aussagen wie „Man muss sich gegen die aktuelle Politik wehren“ oder „Es ist Zeit, mehr Widerstand gegen die aktuelle Politik zu zeigen“ zum Ausdruck komme, mittlerweile mit illiberalem Demokratieverständnis und kollektiver Wut (insbesondere gegen Zuwanderer) einher gehe.

„Auch jenseits von Politikunterricht muss Demokratie geübt und erfahrbar gemacht werden und sein, zum Beispiel bei Entscheidungen in Klassen oder Schülerparlamenten.“ (Beate Küpper)

Besorgniserregend sind diesbezüglich die Werte hinsichtlich der Einstellung zu Asylsuchenden, zu Muslimen oder zur Minderheit der Sinti und Roma. Mehr als die Hälfte der Befragten (54,1 Prozent) hat eine negative Meinung zu Geflüchteten, ein Viertel (25,8 Prozent) stimmt feindlichen Äußerungen zu Sinti und Roma zu. Während die Werte zu den Sinti und Roma in den Vorgängerstudien 2014 und 2016 ähnlich hoch ausfielen, war die Flüchtlingsfeindlichkeit 2014 mit 44,3 Prozent niedriger ausgeprägt als heute. Allerdings können hier keine Vergleiche zu den 2000er-Jahren angestellt werden, da entsprechende Daten erst seit 2011 erhoben werden.

Die Studie legt zudem nahe, dass negative Einstellungen gegenüber Minderheiten vom Bildungsgrad abhängen. So sind fremdenfeindliche Haltungen bei 28,3 Prozent der Befragten mit formal niedriger Schulbildung (maximal Hauptschulabschluss) festzustellen, wohingegen lediglich 6,7 Prozent der Menschen mit hoher Schulbildung (mindestens Fachabitur) fremdenfeindlichen Aussagen zustimmen. Ähnlich sind die Ergebnisse mit Blick auf antisemitische Ressentiments (klassischer Antisemitismus 7,4 gegenüber 1,9 Prozent) oder etwa die Abwertung homosexueller Menschen (15,7 zu 1,3 Prozent).

Die Schlussfolgerung, dass Ressentiments durch ein höheres Bildungsniveau gedämpft werden können, wird von den Studienmachern aber nur eingeschränkt geteilt. Sie weisen darauf hin, dass höher Gebildete eher um die gesellschaftliche Norm wissen, sich öffentlich nicht rassistisch oder antisemitisch zu äußern, als Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen.

Dennoch betonen sie nachdrücklich den Wert der politischen Bildung für die Demokratie. Hier liege einiges im Argen, kritisiert Küpper. Der Politikunterricht in den Schulen sei „oft sehr zusammengeschrumpft“. Dies gelte für alle Schulformen, vor allem aber für die Berufsschulen, in denen die wenigen Politik- und Geschichtsstunden für spezielle Prüfungsvorbereitungen auf die Hauptfächer verwendet würden.

Wie groß diesbezüglich die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind, zeigt das Ranking Politische Bildung 2017 der beiden Sozialwissenschaftler Reinhold Hedtke und Mahir Gökbudak von der Universität Bielefeld. Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I an Gymnasien in Hessen und Schleswig-Holstein haben acht Mal mehr Zeit für politische Bildung in der Schule als Gymnasiasten in Bayern. Auch in Thüringen und Berlin friste der Politikunterricht ein Schattendasein.

Es komme aber nicht allein auf die Quantität des Unterrichts an, sagt Küpper. „Auch jenseits von Politikunterricht muss Demokratie geübt und erfahrbar gemacht werden und sein, zum Beispiel bei Entscheidungen in Klassen oder Schülerparlamenten.“ Dazu gehöre, dass Lehrkräfte vermitteln, „warum sich solch ein mühseliges, anstrengendes und kompliziertes Unterfangen wie Demokratie lohnt“.