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Medienkompetenz

Wie muss eine gute digitale Bildungstechnologie aussehen?

Bildungsforscherinnen und -forscher machen sich für pädagogische Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) für digitale Bildungstechnologien stark. Prof. Sigrid Hartong von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg erklärt, was dahintersteckt.

Prof. Sigrid Hartong (Foto: privat)
  • E&W: Was meinen Sie mit pädagogischen AGB genau?

Prof. Sigrid Hartong: Wir stellen uns ein Dokument vor, wie wir es von AGB kennen, aber in einer Sprache, die für Lehrkräfte anschlussfähig ist. Inhaltlich geht es nicht nur darum, wohin fließen die Daten, sondern welches lerntheoretische Verständnis steckt in der Technologie, welche Nutzermodellierung gibt es, wird künstliche Intelligenz eingesetzt, welche Gestaltungsmöglichkeiten habe ich. Wir wollen es Lehrkräften leichter machen, abzuwägen und zu entscheiden, was sie für ihren Unterricht nutzen wollen.

  • E&W: Warum sind diese Informationen wichtig?

Hartong: Man kann digitale Bildungstechnologien (EdTech) nur einschätzen und pädagogisch gestalten, wenn man ansatzweise versteht, was für eine Modellierung drinsteckt. Wenn ich zum Beispiel eine Learning-Analytics-App habe, von der ich weiß, dass sie das Engagement der Schülerinnen und Schülern anhand der Dauer des Logins misst, kann ich entscheiden, ob das meinem Verständnis von Engagement entspricht.

  • E&W: Nutzen Lehrkräfte EdTech oft nicht, weil sie zu wenig Wissen darüber haben?

Hartong: Es gibt natürlich immer noch Lehrkräfte, die Abstand von digitalen Technologien nehmen, weil sie ihnen nicht geheuer sind oder weil sie den Mehrwert nicht sehen. Das ist aber nicht unsere Zielgruppe. Wir haben den Eindruck, dass viele Lehrkräfte den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen und sagen, es gibt 5.000 Apps, welche soll ich jetzt nutzen? Und dann finden sie irgendwo vielleicht was zum Datenschutz der App, aber nichts zum pädagogischen Ansatz oder der Passung auf die Schülerinnen und Schüler.

  • E&W: Wie muss eine gute digitale Bildungstechnologie aussehen?

Hartong: Das ist schwierig zu beantworten, weil das immer vom Ziel des Unterrichts abhängt. Eine Technologie, die stark auf das Wiederholen von Inhalten ausgerichtet ist, mag für Kontexte geeignet sein, in denen ich schlichtweg üben muss. Aber wenn ich kollaboratives oder exploratives Lernen fördern will, dann brauche ich etwas anderes.

  • E&W: Haben Sie Favoriten?

Hartong: Ich finde Technologien spannend, die nicht in dem Modus operieren, den wir eigentlich mit der digitalen Transformation überwinden wollen: Ich stelle eine Aufgabe, mache eine Benotung und gehe weiter zur nächsten Aufgabe. Leider reproduzieren viele Apps genau diesen Ablauf im digitalen Format. Viel interessanter sind für mich zum Beispiel Lerntechnologien in Form von Serious Games: Wenn im Geschichtsunterricht versucht wird, Inhalte in Spielformate mit Zeitzeuginnen und -zeugen zu übersetzen, dann haben die Schülerinnen und Schüler das Gefühl, Teil der Geschichte zu sein – und verstehen den Lerninhalt ganz anders, als wenn sie darüber im Geschichtsbuch lesen.

  • E&W: Sie fordern auch, die Einschätzung von Bildungstechnologien anders zu regeln.

Hartong: Bisher bezieht sich Regulierung wie gesagt vor allem auf Datenschutz. Wir sagen: Die Abwägung von Risiken muss breiter sein. Es geht auch um Suchtgefahren durch Gamifizierung oder pädagogisch rückschrittige Lernmodelle. Es geht uns aber nicht darum zu sagen, diese und jene Bildungstechnologie dürft ihr nicht nutzen, sondern darum, diese pädagogisch zu hinterfragen.

  • E&W: Wer übernimmt bei Ihrem Konzept der pädagogischen AGB welche Aufgabe?

Hartong: Die AGB sollten von den EdTech-Anbietern kommen, aber staatlich geprüft werden. Zur Idee staatlicher Prüfstellen gibt es auch schon Ansätze, beispielsweise von den Bundesländern das Pilotprojekt EduCheck digital (EDCD); hieran könnte man anknüpfen.

  • E&W: Sie plädieren für mehr Zusammenarbeit von Techbranche und pädagogischer Praxis.

Hartong: Meine persönliche Erfahrung ist, dass es zunehmend Technologieunternehmen gibt, die Pädagogik ernsthafter einbinden möchten – aber nicht so richtig wissen wie. Andererseits haben wir auf der wissenschaftlichen Seite schon oft versucht, mit Programmiererinnen und Programmierern oder Designerinnen und Designern ins Gespräch zu kommen. Aber auch das ist schwierig, weil jede Seite in ihrer Sprache und Denkweise verhaftet ist. Die Idee der pädagogische AGB ist entsprechend auch mit der Hoffnung verbunden, ein Forum zu schaffen, mehr miteinander zu reden.