Zum Inhalt springen

Krise der Demokratie

Wie funktionieren Falschnachrichten?

Fabian Wörz ist Medienpädagoge beim Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. E&W führte das Gespräch kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine.

Fabian Wörz (Foto: JFF/Anja Berg)

Fabian Wörz ist Medienpädagoge beim JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Das JFF folgt dem Anspruch, die Forschung über Medienphänomene mit Projekten zur Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu verbinden. Wörz arbeitet an der Schnittstelle von Medienpädagogik und politischer Bildung, in Projekten wie RISE oder bildmachen. E&W führte das Gespräch kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine.

  • E&W: Über die Zunahme von Falschnachrichten im Internet wird inzwischen viel gesprochen. Lassen sich gerade jetzt besonders viele Falschmeldungen beobachten?

Fabian Wörz: Ich sehe schon, dass auch auf Plattformen, die bei jüngeren Menschen beliebt sind, wie TikTok oder reddit, vermehrt Akteure unterwegs sind, die gezielt Desinformation verbreiten. Diese großen, professionellen Desinformationskampagnen wie sie auch im Wahlkampf des Ex-USA-Präsidenten Donald Trump Thema waren, sind meiner Erfahrung nach etwas in Vergessenheit geraten. Gleichzeitig ist es in der pädagogischen Arbeit zwar selbstverständlich wichtig, sich mit solchen Ereignissen auseinanderzusetzen, aber fast noch wichtiger ist die allgemeine Förderung der Medien- und Informationskompetenz. Ziel ist es, dass Menschen selbstständig kompetent mit Desinformation umgehen können. Bildungsarbeit sollte optimalerweise stattfinden, bevor die Probleme entstehen, sodass keine Feuer gelöscht werden müssen.

  • E&W: Wie funktionieren Falschnachrichten heute und wieso werden sie zu einem gesellschaftlichen Problem?

Wörz: Ich spreche immer dann von Desinformationen, wenn Falschnachrichten gezielt eingesetzt werden, um Meinungen in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen. Wenn sie dazu dienen sollen, eine Gesellschaft zu spalten oder weiter auseinander zu treiben. Aber häufig ist es schwierig, da klare Grenzen zu ziehen, weil man das in der Mediennutzung gar nicht richtig unterscheiden kann. Gerade bei TikTok habe ich nur ein paar Sekunden Zeit, bevor das nächste Video kommt. In dieser Zeit kann ich gar nicht lange hinterfragen: „Wer oder welche Absicht steckt jetzt dahinter?“

  • E&W: Gezielte Desinformationen gehen also immer auch mit Meinungsbildung einher. Welche Rolle spielen Ressentiments wie Antisemitismus, Rassismus oder Antiziganismus für ihre Verbreitung?

Wörz: Für die Meinungsbeeinflussung werden häufig jugendnahe, niedrigschwellige Formate benutzt. Gerade Memes, also Bilder mit einem kurzen Text, werden gezielt eingesetzt, um antisemitische Narrative zu verbreiten. Memes sind dabei häufig zynisch und ein politischer Hintergrund wird nicht immer auf den ersten Blick erkannt. Es ist erschreckend, wie leicht man im Internet unter dem Deckmantel des Humors auf niedrigschwellige Hassbotschaften stoßen kann. Gleichzeitig konsumiert man auf TikTok oder Instagram sehr viel, sehr kurz nacheinander – im Unterschied zu einem Film, den man sich länger anschaut und danach vielleicht darüber spricht. Gerade die Neue Rechte nutzt das gezielt, um unterschwellig und an der Grenze zur Volksverhetzung problematische Narrative zu verbreiten, die nach und nach normalisiert werden.

  • E&W: Wie prägen diese Entwicklungen Ihre medienpädagogische Arbeit mit Jugendlichen?

Wörz: In unseren Projekten machen wir aktive Medienarbeit, das heißt die Jugendlichen produzieren selbst Medien und setzen sich so aktiv mit den Themen auseinander. Wir reden danach mit ihnen gemeinsam darüber: Was wolltet ihr damit aussagen und wie verstehen das die Anderen? Die Funktionsweisen der Medien und die kritische Auseinandersetzung mit Medien sollen so durch die Produktion eigener Inhalte verinnerlicht werden. Damit dieser Prozess langfristig bei den Jugendlichen gestärkt wird, ist es wichtig, auch die Lehrkräfte an den Schulen mit einzubinden. Ich bin regelmäßig als Dozent im Rahmen des Projekts weitklick tätig, mit dem ich Lehrkräfte für Themen wie Falschnachrichten und Verschwörungsmythen sensibilisiere. In den Fortbildungen erlebe ich, dass es einen großen Bedarf für praxisnahe Materialien und Methoden zu diesen Themen gibt.

  • E&W: Wie kommen die Angebote bei den Schülerinnen und Schülern an?

Wörz: Auf der einen Seite findet eine gewisse Reflexion auf hohem Level statt, aber andererseits werden Probleme, gerade bei Formaten wie Memes oder kurzen Videos, oft nicht als Problem wahrgenommen. Die Jugendlichen meinen dann, dass es ja nur lustig gemeint sei.

  • E&W: Wie reagieren Sie in solchen Situationen?

Wörz: Bei der pädagogischen Arbeit ist es wichtig, dem nicht gleich den Riegel vorzuschieben, so nach dem Motto: „Das geht ja gar nicht. Was habt ihr euch dabei gedacht?“ Meiner Meinung nach ist entscheidend, dass man solche Anlässe gemeinsam reflektiert, gerade weil in diesen Formaten mit relativ wenig Inhalt sehr viel ausgesagt werden kann. Solche Anlässe für Reflexion gibt es im Alltag sehr selten, aber weil sich Memes so schnell erstellen lassen, bieten sie gute Ansätze, um beispielsweise auch in der Schule pädagogisch damit zu arbeiten.

  • E&W: Lassen sich Ihre Erfahrungen darauf übertragen, wie man im Privaten damit umgehen sollte, wenn zum Beispiel Freunde oder Verwandte im Internet Falschnachrichten verbreiten?

Wörz: Was ich auch da wichtig finde: Wertschätzung. Manchmal schüttelt man ja einfach nur den Kopf, wenn man sieht, was Menschen aus dem Bekanntenkreis teilen und verbreiten. An der Stelle sollte man trotzdem erstmal wertschätzend bleiben und nachfragen, um ins Gespräch zu kommen und den anderen Menschen zum Nachdenken zu bringen. Für die weitere Diskussion gibt es aber auch gute Anlaufstellen, die Faktenchecks anbieten. Ich denke da beispielsweise an Faktenfuchs des Bayerischen Rundfunks, Faktenfinder von der Tagesschau oder aber auch Mimikama, die sich auf Falschnachrichten in den sozialen Medien spezialisiert haben.