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Ethische Grundwerte pädagogischer Professionen

„Wichtiger denn je“

Position beziehen: Eine GEW-Tagung macht klar, warum es gerade in diesen Zeiten unbedingt ethische Grundwerte pädagogischer Professionen braucht.

Foto: Jörg Scheibe

Ein Junge in der Kita mag keine Matschhose anziehen und darf deshalb nicht mit den anderen Kindern nach draußen gehen. Wenn er nicht mehr „bockig“ sei, dürfe er hinterherkommen, ruft ihm die Erzieherin beim Weggehen noch zu. In Kitas kommt es immer wieder zu Verhaltensweisen, die die Rechte der Kinder verletzen. Eine bundesweite GEW-Tagung am 8. und 9. November in Kassel widmete sich deshalb ethischen Grundwerten pädagogischer Professionen. Im Kern gehe es um die Frage: „Wann ist ein Handeln richtig, wann falsch“, sagte die Professorin für frühkindliche Bildung, Regina Remsperger-Kehm, von der Hochschule Fulda. Wie lässt es sich begründen? Und: „Wie positioniere ich mich, wenn ein Handeln nicht mehr als angemessen angesehen wird?“

Mit Blick auf die aktuellen politischen Entwicklungen betonte die Wissenschaftlerin, dass es schon im „ganz, ganz Kleinen“, im pädagogischen Alltag, gelte, Stellung zu beziehen. „Das ist wichtiger denn je.“ Ihre Co-Referentin Astrid Boll, die eine Vertretungsprofessur für Kindheitspädagogik an der Hochschule Rhein-Waal Kleve innehat, fügte hinzu: „Wenn viele an kleinen Schrauben drehen, passiert unglaublich viel.“ Sie verwies auf die schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren, die in ihrer Rede beim Erhalt des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1978 fragte, wie Frieden möglich sein solle, wenn Kinder gewaltvoll erzogen werden.

„Wir müssen mit klarer Haltung vorangehen und sind gefordert, uns einzumischen.“ (Doreen Siebernik)

Die Tagung war mit einem Zitat des brasilianischen Pädagogen Paulo Freire überschrieben: „Es gibt keine andere als die politische Pädagogik!“ Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied Jugendhilfe und Sozialarbeit, betonte, wie wichtig gerade in diesen Zeiten ein politischer Kompass sei. „Wir müssen mit klarer Haltung vorangehen“, sagte die Gewerkschafterin, „und sind gefordert, uns einzumischen.“

Wenn es um ethische Grundwerte im Kita-Alltag geht, nähmen Leitungskräfte und Fachberatungen eine Schlüsselposition ein. Sie könnten Prozesse anregen und wertvolle Impulse ins Team tragen, betonte Siebernik. Doch dafür benötigten sie Kompetenzen, eine professionelle pädagogische Haltung – und die nötigen Rahmenbedingungen.

Kindern mit Wertschätzung und Respekt begegnen

Remsperger-Kehm und Boll machten deutlich, dass die Ansprüche an die Fachkräfte hoch seien. Diese müssten Kindern mit Wertschätzung und Respekt begegnen, Partizipation und Selbstbestimmung seien wichtig. Trotzdem passiere es, dass Fachkräfte im Kita-Alltag nicht immer so handeln. Vor allem in Situationen, die anstrengend und emotionsgeladen seien, bemerkte Remsperger-Kehm. In solchen Momenten sei es schwierig, Ruhe zu bewahren und sich darauf zu besinnen: Mit welcher Einstellung wollen wir dem Kind begegnen? Belastend sei so eine Szene auch für Kolleginnen und Kollegen, die das Verhalten beobachteten und nicht eingriffen. Auch diese würden ihren ethischen Grundwerten nicht gerecht. Zumal ein Kind durch Wegschauen doppelt verletzt werde.

Oft steckten die Kolleginnen oder Kollegen in einem Dilemma: Sie wollten loyal sein, hätten Angst davor, dass es Konflikte im Team gibt oder sie isoliert dastehen. „Da brauche ich jemanden, der mir Orientierung und Halt gibt“, betonte Remsperger-Kehm. In Einrichtungen gelte es, über Werte ins Gespräch zu kommen, ergänzte Boll. Oft fehle ein gemeinsamer Kodex. In jeder Kita sollte gesetzt sein, dass sie dem einzelnen Kind verpflichtet ist. Die beiden Wissenschaftlerinnen haben eine Handlungshilfe für professionelles und ethisches Handeln in der kindheitspädagogischen Praxis mitentwickelt, die im Februar 2025 unter dem Titel „Position beziehen – mutig handeln“ als Buch veröffentlicht werden soll.

„Die Kinder von heute sind die Demokratinnen und Demokraten von morgen.“ 

Remsperger-Kehm und Boll betonten, dass der Personalmangel in Kitas ein großes Problem sei, der es schwer mache, in belastenden Situationen die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Deshalb, so Siebernik, sei es wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen sich gemeinsam für bessere Arbeits- und Rahmenbedingungen stark machen.

Am zweiten Tag der Veranstaltung stellte Michaela Rißmann, Professorin für Erziehungswissenschaften an der Fachhochschule Erfurt und Leiterin des Thüringer Instituts für Kindheitspädagogik, die „Reckahner Reflexionen“ vor: Das Manifest umfasst zehn Leitlinien für pädagogische Berufe und bringt auf den Punkt, was ethisch begründet ist – und was nicht. Solche Leitlinien stärkten nicht nur die pädagogischen Fachkräfte, ergänzte GEW-Expertin Siebernik, sie kämen auch den Kindern und der gesamten Gesellschaft zugute: „Die Kinder von heute sind die Demokratinnen und Demokraten von morgen.“